Während der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) weiter für einen härteren Umgang mit jugendlichen Gewalttätern wirbt, wird nun bekannt, welch harte Maßnahmen in seinem Bundesland bereits möglich sind: Das Jugendamt des Landkreises Gießen hat einen 16-jährigen Schüler nach Sibirien geschickt.
Der zuvor immer wieder als gewalttätig aufgefallene Junge soll dort ein Dreivierteljahr unter extremen Bedingungen leben.
Es handelt sich um eine sogenannte 1:1-Maßnahme, gemeinsam mit einem Betreuer lebt der Junge in Sibirien in einfachsten Verhältnissen. Einen entsprechenden Bericht des Hessischen Rundfunks bestätigte am Mittwoch Stefan Becker (Freie Wähler), Jugend- und Sozialdezernent des Landkreises Gießen.
Laut Becker hat der Junge kein fließendes Wasser zur Verfügung und musste sich eine behelfsmäßige Toilette selbst bauen. Die Bedingungen entsprächen "etwa dem Stand wie bei uns vor 30 oder 40 Jahren", sagte Becker der Süddeutschen Zeitung. Es gehe darum, den jungen Gewalttäter einer "möglichst reiz- und konsumarmen Umgebung auszusetzen". Er und sein Betreuer lebten "in einer dörflichen Struktur" mit etwa 5000 Einwohnern, "etwa 300 Kilometer in der Pampa".
Zuvor hätten mehrere Psychologen diesen Schritt als geeignet für den Jungen eingestuft. Etwa die Hälfte seiner Zeit in Sibirien sei bereits vorbei. Nach seiner Rückkehr solle er zunächst "langsam wieder an die Reiz- und Konsumwelt gewöhnt" werden. "Das ist keine Art der Sanktionierung, sondern eine erlebnispädagogische Maßnahme", betonte Becker - auch wenn es sich um die "Ultima Ratio" handele. Es sei aber ein Einzelfall.
Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ) sind bundesweit etwa 600 Kinder und Jugendliche in "intensivpädagogischen Auslandsmaßnahmen" untergebracht. Die Zahl stammt aus dem Jahr 2006.
Jugendämter entschließen sich zu solchen Maßnahmen auf Basis des Sozialgesetzbuches (VII, §35). Die Auslandsunterbringung, zumal außerhalb der EU, ist jedoch umstritten. Kritiker werfen den Jugendämtern eine "Entsorgungsmentalität" vor. Vor vier Jahren löste der Fall eines 14-Jährigen Debatten aus. Er hatte in Griechenland seinen Betreuer getötet. 2005 war ein 17-Jähriger mehrere Wochen in Kirgisien nicht aufzufinden.