Koalitionstreffen in Berlin:Kompromiss derzeit unerwünscht

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"Die Lage ist verfahren": Union und FDP sind in zentralen Fragen der Innen- und Rechtspolitik zerstritten wie nie. Und noch dazu stehen Landtagswahlen an. Keine guten Vorzeichen für einen Koalitionsausschuss.

Stefan Braun und Susanne Höll

Union und FDP sind in zentralen Fragen der Innen- und Rechtspolitik inzwischen so zerstritten, dass die Spitzen der Koalition nach Auswegen aus der Blockade suchen müssen. Nachdem der Streit um die geplanten Steuervereinfachungen entschärft wurde, rücken nun Themen wie die Vorratsdatenspeicherung, die Visa-Warndatei und andere Projekte von Innen- und Justizressort in den Fokus der Koalition.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP): Finden die Spitzen von CDU, CSU und FDP einen Ausweg aus den zahlreichen Konflikten? (Foto: ddp)

"Die Lage ist verfahren", beschrieb ein Koalitionsvertreter die Situation. Es galt als ausgeschlossen, dass das Koalitionstreffen am Donnerstagabend in Berlin einen Durchbruch bringen würde, zumal die beiden Minister, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Thomas de Maizière (CDU), nicht an der Begegnung teilnehmen werden.

Beide hatten nach Angaben aus Koalitionskreisen bei einem Treffen am Mittwoch einvernehmlich festgestellt, dass es derzeit keinerlei Einigungschancen bei der Novelle der Datenspeicherung zu Zwecken der Strafverfolgung gibt. Die Spitzen von CDU, CSU und FDP wollen nach Angaben aus Koalitionskreisen nun versuchen, Themenpakete zu schnüren, damit die zahlreichen Konflikte im Laufe dieses Jahres nicht einzeln gelöst werden müssen und damit am Ende jede Seite bei Kompromissen auch Erfolge vorweisen kann.

Der Union schwebt vor, die Datenspeicherung zusammen mit dem Projekt einer Visa-Warndatei und den Zugangsbarrieren im Internet zu verhandeln. Die FDP erwägt dagegen, die Datenspeicherung mit der anstehenden Überprüfung der Gesetze zur Terrorismus-Bekämpfung zu verhandeln. Sie will auch den Plan de Maizières zur Fusion von Bundespolizei und Bundeskriminalamt in ein Paket behandeln und weitergehende Forderungen stellen, darunter die Einbeziehung von Zollfahndern in eine solche neue Sicherheitsstruktur.

Nach Einschätzung von Koalitionspolitikern wird es aber vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg am 27. März keinerlei Kompromisse in diesen Auseinandersetzungen geben. Die FDP muss dort um ihre Rückkehr in den Landtag bangen und will im Wahlkampf mit ihrem Einsatz für Bürger- und Freiheitsrechte werben. Aus der Union heißt es dagegen, Sicherheit sei ein zentrales Thema für CDU und CSU, an dem man nicht rütteln dürfe.

Bei der Datenspeicherung lehnt Leutheusser mit einer Ausnahme bei Internetadressen Speicherfristen ab, die CDU und CSU vehement einfordern. Bei der Visa-Warndatei, mit der die Union Missbrauch bei Einreisen verhindern möchte, ist umstritten, welche Daten gespeichert werden und wer Zugriff auf die Sammlungen haben soll. Bei der Frage, wie man den Zugang zu Kinderpornographie-Seiten im Internet möglichst effektiv verhindern kann, hatte es Ende vergangenen Jahres zwar Gespräche zwischen den Fachpolitikern beider Fraktionen gegeben, aber keine Einigung.

Diese Frage führte nun auch zu neuer Unruhe in der Unionsfraktion. Bundestagspräsident Norbert Lammert und der Vorsitzende des Bundestagsrechtsausschusses, Siegfried Kauder (beide CDU), hatten der Koalitionsspitze zuletzt einen offenen Bruch der Verfassung vorgeworfen. Dabei geht es um ein einst in der großen Koalition beschlossenes Gesetz zur Sperrung und Löschung von kinderpornographischen Seiten.

Da die FDP das Sperren entsprechender Seiten ablehnt, wurde im schwarz-gelben Koalitionsvertrag vereinbart, man werde mit dem Löschen fortfahren, das Sperren aber aussetzen. Als rechtliche Grundlage für diesen Schritt erließ de Maizière einen sogenannten Nichtanwendungserlass für das Sperren.

Lammert und Kauder halten das für einen schweren politischen Fehler, weil ein Erlass aus ihrer Sicht auf keinen Fall ein Gesetz auch nur teilweise außer Kraft setzen darf. Kauder verweist in diesem Zusammenhang auf Artikel 20 des Grundgesetzes. "Es kann nicht sein, dass die Bundesregierung und nachgeordnete Behörden ein Gesetz nicht anwenden", so der CDU-Rechtsexperte.

Lammert hatte bereits im Oktober bei der Bundesregierung interveniert - und ist nun entsprechend verärgert, weil noch immer nichts passiert ist. Zusätzliche Munition lieferte beiden offenbar der Brief eines ehemaligen Bundesverfassungsrichters, der sie zur Intervention auffordert. Nach beider Auffassung ist das Problem nur zu lösen, indem die Regierung den Erlass zurücknimmt - oder das noch unter Schwarz-Rot beschlossene Gesetz ändert.

© SZ vom 21.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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