Koalition:Merkels sanfte Ruhekissen

Lesezeit: 3 min

Einerseits ist jetzt Schluss mit den Wonnen - jetzt treten die Gegensätze hervor. Andererseits: Woran sollte das Bündnis aus Union und SPD denn scheitern?

Von Nico Fried

Sechs Stunden haben die Spitzen der Koalition zusammengesessen - und das wichtigste Ergebnis lautet, dass es kein Ergebnis gibt. Dieses Muster kennt man doch? Richtig, so war es immer, als Union und FDP noch regierten. Die Krise als Kontinuum. Die große Koalition hingegen überwand am Anfang einen Rumpelstart mitsamt Ministerrücktritt, die Edathy-Affäre. Seither aber regiert sie recht harmonisch. Ein Sonntagabend in mieser Stimmung macht da nicht gleich eine Krise.

Trotzdem tritt diese Koalition in eine neue Phase. Das Runterregieren des Koalitionsvertrags ist vorbei. Dessen Vollzug verlief weitgehend reibungslos, weil die Union erstens die SPD für die Beihilfe zum Machterhalt mit politischen Konzessionen fürstlich entlohnte. Zweitens, weil mit der bisherigen Politik praktisch keine Zumutungen verbunden waren; von den Kosten, die in die Zukunft verlagert wurden, einmal abgesehen. Und drittens, weil dank guter Konjunktur und hohen Steuereinnahmen alles bezahlbar erscheint. Jedenfalls für den Moment.

An Mindestlohn oder Euro wird dieses Bündnis kaum scheitern

Nun ist Schluss mit all den Wonnen. Allein der Blick auf das jüngste Wochenende mit den Demonstrationen für und wider die Kohlepolitik genügt, um zu sehen, dass es jetzt mehr und mehr um harte Interessengegensätze geht. Das gilt nicht nur für die Kohle, sondern für die Energiewende insgesamt. Und die Neuregelung der föderalen Finanzbeziehungen ist quasi die Mutter aller Verteilungskämpfe. Außerdem gilt: Ein Konflikt ist immer dann bedeutsam, schwierig oder beides, wenn die Kanzlerin nichts dazu sagt. Angela Merkel schweigt viel in letzter Zeit.

Es gibt Gründe, warum hie und da zwar eifrig Geld verteilt wurde, aber einige der großen Themen nicht erledigt sind. Der wichtigste Grund ist, dass es unter Merkel noch nie anders war. Die Geschwindigkeit ihres ausschließlich reaktiven Regierungsstils wird stets von der Dringlichkeit der Probleme bestimmt. Wie manche Krise gezeigt hat, ist die Kanzlerin durchaus zur Beschleunigung fähig. In innenpolitischen Fragen aber schaltet sie gerne einen Gang runter - oder gleich in den Leerlauf.

Ein wenig ketzerisch könnte man sagen, dass es zuletzt am besten lief, wenn Merkel nicht direkt beteiligt war. Die Fraktionsführungen von Union und SPD legten nach ihrer Klausur vor einigen Tagen eine ganze Reihe von konkreten Ergebnissen vor. Kurz zuvor war sogar die Blockade bei der Vorratsdatenspeicherung von den zuständigen Ministern aufgelöst worden - ohne Vermittlung des Kanzleramts, wohl aber unter maßgeblicher Beteiligung des Vizekanzlers von der SPD.

Natürlich nimmt die außenpolitische Lage die Zeit der Kanzlerin in Anspruch. Umgekehrt wird sich Merkel dafür auch stets die notwendige Zeit nehmen, weil der Eindruck von außenpolitischer Bedeutung und Besonnenheit ganz nebenbei auch das Fundament ihrer Popularität ist. Innenpolitisch aber fehlt es Merkel nicht nur an Muße, sondern an erkennbaren Ambitionen. Manches scheint ihr mittlerweile fast schon egal zu sein. Den Soli zum Beispiel erklärte sie erst für unverzichtbar, kurz darauf für abschmelzbar. Einer der wenigen innenpolitischen Auftritte, an denen sie zuletzt sichtbar Freude hatte, war die Eröffnung des Bürgerdialogs - vielleicht, weil hier nicht ihre Ideen gefragt sind, sondern die der Bürger.

Der vergleichsweise ordentliche Zustand der Koalition und die Schwäche der Opposition sind Merkels dickste Ruhekissen: Sie wird zu Hause nicht gefordert. Auch wenn CDU, CSU und SPD darüber offenkundig stundenlang streiten können, wird diese Koalition nicht zerbrechen an Dokumentationspflichten und der Abgrenzung von Ehrenämtern beim Mindestlohn. Diese Regierung wird aber auch nicht auseinanderfallen wegen großer außenpolitischer Fragen wie der Euro-Zukunft oder der Ukraine. Zu viel haben Union und SPD dort politisch investiert, zum Teil schon, als sie noch gar nicht miteinander regierten. Und zu viel haben Union und SPD gemeinsam unterlassen in Krisen wie dem Flüchtlingsdrama auf dem Mittelmeer. Auch das verbindet.

Deshalb kommen einer in der Regierung verlässlichen, in den Umfragen aber stagnierenden SPD die jüngsten Enthüllungen über den BND und die Widersprüche, in die sich das Kanzleramt dabei verwickelt hat, durchaus gelegen. Für nichts davon ist, Stand jetzt, die SPD in die Verantwortung zu nehmen. Dafür ist mit dem Kanzleramt endlich einmal Merkels Machtzentrale betroffen. Die Art, wie die Sozialdemokraten manches Urteil schon sprechen, bevor alle Fakten bekannt sind, sagt freilich auch etwas darüber aus, wie sehr sie darauf aus sind, die große Raushalterin auch mal erfolgreich in etwas reinzuziehen.

© SZ vom 28.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: