Koalition in der Krise:Die Angst der SPD vor ihren Mitgliedern

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Das Koalitionstheater in Berlin ist nur vordergründig ein Theater. In Wahrheit ist es ein Teil des Überlebenskampfes der SPD. Denn die Partei hat unter dem Agenda- und Afghanistan-Kanzler Schröder ihre alte Identität verloren.

Die SPD ist der Kaspar Hauser der deutschen Politik; sie weiß nicht mehr, wer sie ist, sie hat Schwierigkeiten mit ihrer eigenen Geschichte. Sie ist sich selbst ein Rätsel. Sie ist nicht mehr rot, sondern rosa, sie ist nicht mehr links, sondern linkisch - und sie hat Angst vor ihren eigenen Mitgliedern.

Diese sind, so wie diverse frühere Vorsitzende auch, entweder schon weg oder höchst unzufrieden; sie wünschen sich ihre Partei ganz anders, als sie sich seit Jahren darstellt. Die Befragung der Mitglieder zum neuen Grundsatzprogramm hat der Führung der SPD ihr grundsätzliches, ihr existentielles Problem vor Augen geführt: Die Mitglieder wünschen sich eine Partei, die den demokratischen Rechts- und Sozialstaat mit Zähnen und Klauen verteidigt.

Der Parteivorsitzende Kurt Beck weiß, dass die Partei diesem Wunschbild nicht entspricht; also geht er, ersatzweise, mit Zähnen und Klauen auf den Koalitionspartner los. Das ist die Ursache für das Koalitionstheater und den Theaterdonner in Berlin.

Die Drohungen des Parteivorsitzenden Beck und des SPD-Fraktionschefs Struck mit einem Ende der Großen Koalition sind leere Drohungen, weil es dazu derzeit keine politische Alternative gibt und weil ein halbwegs plausibles Ausstiegsszenario nicht vorstellbar ist. Wie sollte es aussehen? Ein konstruktives Misstrauensvotum, das Kurt Beck mit Hilfe der FDP an Merkels Stelle zum Kanzler kürt?

Gleichwohl: Das Koalitionstheater in Berlin ist nur vordergründig ein Theater. In Wahrheit ist es ein Teil des Überlebenskampfes der SPD. Die Partei hat unter dem Agenda- und Afghanistan-Kanzler Schröder ihre alte Identität verloren. Den Vollschwenk zurück in die Vor-Schröder-Zeit wagt Kurt Beck nicht, weil die Partei dann womöglich in eine neue Glaubwürdigkeitsfalle stürzt.

Also muss Beck Zeit gewinnen, um die Partei neu zu formieren und sie programmatisch so auszurichten, dass sie für ihre Klientel wieder akzeptabel wird. Dem dient die mit Getöse begonnene Schlacht für die Erbschaftsteuer.

Eine symbolische Schlacht

Es ist eine symbolische Schlacht: Beck will, ohne die Untaten bei Hartz IV aufgreifen und ohne die Agenda 2010 auf den Prüfstand stellen zu müssen, mit der Erbschaftsteuer die soziale Gerechtigkeit wieder auf die Fahne der SPD schreiben. Das ist sicher nicht falsch. Die Erbschaftsteuer ist, wie die aufgegebene Vermögensteuer, ein Instrument, mit dem Wohlstand gerechter verteilt werden kann. Und das ist es, was die Mitglieder, unter anderem, von ihrer Partei erwarten.

Wer, wie Beck, neue Erwartungen weckt, muss sie auch befriedigen können - sonst steht er nachher noch schlechter da als vorher. Diese Befriedigung finden die Partei und ihre Wähler nicht auf dem Papier eines neuen Parteiprogramms, nicht in der Theorie also; dafür sind die alten Enttäuschungen zu groß. Ob Mindestlohn, ob Erbschaftsteuer: Es gilt der alte Satz "Hic Rhodus, hic salta". Rhodus ist die Bundesregierung. Dort muss die SPD zeigen, was sie kann.

© SZ vom 30. April und 1. Mai 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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