Klage gegen Luftsicherheitsgesetz:Bei Angriff Mord

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Der Bundespräsident unterschrieb das Luftsicherheitsgesetz - und zweifelte laut an der Verfassungsmäßigkeit. Jetzt kann die Prüfung beginnen: Der frühere Bundestagsvizepräsident Hirsch hat zusammen mit Innenminister a. D. Baum und etlichen Piloten Beschwerde in Karlsruhe eingelegt.

Von Heribert Prantl

Auf 22 Seiten, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, wird ausgeführt, warum das Abschuss-Anordnungsgesetz verfassungswidrig sei. Es verstoße "in krasser Weise" gegen die Menschenwürde und das Recht auf Leben, und es sei in der entscheidenden Vorschrift, die "die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt gegen ein Luftfahrzeug" erlaubt, viel zu unbestimmt.

Der Bundestag hat mit dem Luftsicherheitsgesetz seine Lehren aus den Terroranschlägen des 11. September gezogen. Wenn ein Flugzeug - wie zum Beispiel der Motorsegler, der im Januar 2003 über der Frankfurter Innenstadt kreiste (rechts) - in ein Hochhaus zu rasen droht, darf es zum Schutz der Allgemeinheit abgeschossen werden. (Foto: Foto: AP/dpa)

Der Gesetzgeber habe es unterlassen, "auch nur anzudeuten, nach welchem Maßstab sich der Verteidigungsminister bei seiner Entscheidung über Leben und Tod richten soll".

Burkhard Hirsch sagte der SZ, es sei "das erste Mal in der Rechtsgeschichte der Neuzeit", dass sich der Staat das Recht nehme, nicht nur die Straftäter zu bekämpfen, "sondern die entführten Opfer einer Straftat umzubringen".

Das Gesetz mache jeden Flugpassagier, der sich über Deutschland im Flugzeug befinde, zum potenziellen Opfer staatlicher Tötung. Das läuft, ins Laiendeutsch übersetzt, auf die Klage hinaus: Abschuss ist Mord.

Man muss gar nicht in einem entführten Flugzeug sitzen, um in eine so bedrohliche Situation zu geraten. Die Zahl der "alpha scrambles", also Gefahrensituationen in der Luft, die eine Alarmierung auslösen, ist erstaunlich hoch - mehrere pro Woche: Bei Flügen, die als irregulär erscheinen, werden die so genannten Alarmrotten der Fliegerhorste alarmiert; Abfangjäger sind schon oft von überraschten Passagieren fotografiert worden.

Viele Fragen, keine Anhaltspunkte

Die Verfassungsbeschwerde schildert mehrere dieser Fälle, der aktuellste ereignete sich am 5. Januar 2005, als eine Boeing 737 von Lissabon nach Kopenhagen unterwegs war: Die Maschine wurde von zwei Phantomjägern der Bundeswehr abgefangen und längere Zeit begleitet, weil der Funkkontakt abgerissen war.

Bei den Militärpiloten soll höchste Unruhe geherrscht haben, weil sie zu den Piloten des Zivilflugzeugs weder Funk- noch Blickkontakt hatten. Später stellte sich heraus, dass die Unterbrechung des Funkkontakts technische Gründe hatte.

Die Beschwerde meint hierzu: Nicht nur bei Entführung durch Terroristen, sondern schon bei einem Pilotenirrtum oder Instrumentenfehler bestünde Gefahr für die Passagiere, Objekt eines Angriffs der Bundeswehr zu werden.

Doch dies ist eher ein Nebenaspekt der Klage. Im Zentrum der markanten Argumentation steht die Auseinandersetzung mit dem Abschuss als Mittel zur Terrorbekämpfung: "Ein Rechtsstaat", so heißt es da, "kann seine Aufgabe, das Leben seiner Bürger zu schützen, nicht dadurch erfüllen, dass er die Opfer einer Straftat vorsätzlich tötet."

Niemand könne sagen, wie viele Menschen möglicherweise durch die Angreifer tatsächlich ihr Leben verlieren und deren Leben abwägen gegen das Leben der bei einem Abschluss mit Sicherheit getöteten Menschen: "Das Leben ist keine Sache und kein Vermögenswert. Niemand weiß, wann und wie es endet. Sein Wert hängt nicht von der vermuteten Dauer ab. Die Verfassung erlaubt dem Staat nicht, gefährdetes Leben gering zu schätzen. Man verliert nicht das Recht auf Leben, weil der Minister meint, es würde nicht mehr lang dauern und es sei für alle besser so."

Viele Fragen knüpft die Verfassungsbeschwerde an die Abschuss-Abwägungsentscheidung des Verteidigungsministers, für die es im Gesetz keine Anhaltspunkte gibt: Kommt es auf die Zahl der Insassen des Flugzeugs im Verhältnis zu der Zahl von Personen an, gegen deren Leben das Flugzeug voraussichtlich eingesetzt werden soll?

Und was, wenn die Entführer nur eine finanzielle Forderung stellen? Was ist, wenn sie erklären, sie wollten sich zwar auf das Reichstagsgebäude stürzen, aber so lange damit warten, dass es evakuiert werden kann?

Erfolgreiche Kläger

Fazit der Verfassungsbeschwerde: Das Gesetz erwecke nur den Anschein, eine Lösung zu sein. Es verführe die Kampfpiloten zum Irrtum, einem Gesetz zu gehorchen, wo sie nur dem eigenen Gewissen gehorchen könnten. Im Übrigen sei eine Ausdehnung der Aufgaben der Bundeswehr nur durch ausdrückliche Verfassungsänderung möglich.

Auf die Fragen, ob der Abschuss strafrechtlich durch mutmaßliche Einwilligung der abgeschossenen Passagiere gerechtfertigt oder übergesetzlichen Notstand entschuldigt sein könnte, gehen Hirsch&Co. nicht näher ein.

Dem Rückgriff auf mutmaßliche Einwilligung steht entgegen, dass laut Strafgesetzbuch auch eine Einwilligung in die eigene Tötung nicht rechtfertigend, sondern nur strafmildernd wirkt. Auch auf der Basis von Notstand ist ein Abschuss problematisch, da eine Handlung auch dann, wenn sie wegen Notstands entschuldigt ist, rechtswidrig bleibt. Der Minister würde also eine rechtswidrige Massentötung befehlen, gegen die Notwehr zulässig wäre.

Die Verfassungsklage wirft Fragen auf, die an die Grundlagen des Rechtsstaats rühren. Die Kläger Burkhard Hirsch und Gerhart Baum sind hier nicht zu unterschätzen: Gegen den Lauschangriff haben sie beim höchsten Gericht einen Erfolg errungen.

© SZ vom 11.02.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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