Kirchentag:Halleluja für den Endspurt der Eminenzen

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So verschieden die Motive fürs Kommen auch sein mögen - der erste gemeinsame Kirchentag von Katholiken und Protestanten bricht alle Rekorde. Matthias Drobinski berichtet.

Matthias Drobinski

(SZ vom 30.5. 2003) - Das Rennen auf der Carrera-Bahn im überfüllten Zelt der freikirchlichen Jugend im Tempodrom heißt: Wartburg gegen Papamobil. Ein Katholik und ein Protestant sind am Drücker. Der Katholik steuert das Papamobil, dem der segnende Miniatur-Papst leider einen ungünstigen Schwerpunkt verleiht; trotzdem ist der evangelisch gelenkte Wartburg noch ein bisschen langsamer.

Der Petersdom markiert Start und Ziel, an der Kehre thront die Wartburg, Martin Luthers Zufluchtsstätte. Jugendpastor Carsten Hokema hat das Papamobil gebaut und das Wartburg-Modell bei e-bay ersteigert - Carrera hat es kostenlos renntauglich gemacht. "Ökumene heißt nicht, immer nur die Probleme zu sehen", sagt er.

Evangelisch trifft katholisch - zum ersten Mal seit der Reformation in einer gemeinsam Großveranstaltung: "Ihr sollt ein Segen sein".

Die Vorbereitung des ökumenischen Kirchentags war zeitweise nicht sehr spaßig, sondern eher eine Art Sündenstrafe, was folgende Fragen zeigen: Darf eine Arbeitsgruppe weitermachen, wenn der evangelische Leiter mal früher gehen muss? Welche Bibelübersetzung gilt? Und wie gestaltet man die Gottesdienste, wenn die Gastfreundschaft am Tisch des Herrn auf Drängen der katholischen Bischöfe und des Vatikans unmöglich bleibt? Es war die Zeit des fein austarierten Kompromisses.

Der Herr hat die getrennten Seinen geprüft, aber er hat sie nicht hängen lassen. Er hat schönes Wetter geschickt, und er hat die Christen aufbrechen lassen in die Hauptstadt, in der sie sonst in der Minderheit sind: 200000 kommen als Dauerteilnehmer; der ökumenische Kirchentag hat 50000 Besucher mehr als die getrennten Kirchen- und Katholikentage zusammengerechnet.

Und 400000 verstopfen schon am "Abend der Begegnung" die Straßen zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz. Sie essen Bockwurst und Quarkbrot, lassen sich Posaunenklang und christlichen Rap in die Ohren pusten oder testen bei der katholischen Frauengemeinschaft den Duft des Weihrauchs und die Kühle des Weihwassers - jeder kann sich selber segnen oder sich von einem anderen segnen lassen.

Du bist nicht allein, heißt die Botschaft. Nicht allein als Christ, "nicht allein mit politischen Anliegen", wie Gundula Lembke sagt, die für ein "tolerantes Eberswalde" wirbt.

Politisches Top-Ereignis Kirchentag

Der Kirchentag macht die Christen für einige Tage zum Top-Ereignis: Kanzler Gerhard Schröder, Außenminister Joschka Fischer, Oppositions-Chefin Angela Merkel - sie alle kommen. Es liegt sozusagen ein ökumenischer Ausnahmezustand über der Stadt. Vergessen sind der graue Kirchenalltag, die schlechten Umfragewerte, die katastrophalen Finanzen im Erzbistum Berlin.

Was auffällt: Der Halleluja-Schlumpf ist ausgestorben, jene dauersingende Erscheinung früherer Jahre mit Birkenstock-Sandale. Die Jugendlichen tragen coole Sonnenbrillen und bauchfreie Shirts. Zum Beispiel die Gruppe um Tim, Mira, Claudius und den anderen aus Darmstadt, 14 bis 16 Jahre alt, morgens um vier Uhr mit dem Sonderzug losgefahren, weshalb sie nun müde auf dem Asphalt liegen.

Weshalb sie hier sind? "Weil Glauben toll ist und Berlin eine geile Stadt". Politik interessiert sie nur am Rand, der Irak-Krieg ist vorbei, "was mit Meditation" wollen sie machen. Und den Dalai Lama sehen, der zum Kirchentag kommt, klar. Den finden sie riesig, "weil der so anders ist als ein Bischof". Der Streit ums Abendmahl? Den finden sie doof. "Aber ich glaube nicht, dass sich da noch jemand groß Gedanken drum macht", sagt Moritz.

Verschiedene Motive und Erwartungen

Doch - und das zeigt, wie verschieden die Motive sind, auf den Kirchentag zu kommen: Beate und Jörg Beyer aus Tübingen machen sich Gedanken. Sie ist 42 und katholische Religionslehrerin, er 44 und studierter evangelischer Theologe, der als PR-Berater arbeitet. "Mischehe" hieß so etwas bis in die Sechzigerjahre hinein.

"Ich würde mir aber die Wurzeln abschneiden, wenn ich evangelisch würde", sagt Beate Beyer - die katholische Liturgie, die Sinnlichkeit würde sie vermissen. "Ich würde nie katholisch werden", sagt Jörg Beyer - zu viel Papst und zu wenig Freiheit des Christenmenschen.

Sie haben aber auch das Spannende an der je anderen Konfession entdeckt; ihre drei Kinder sind sonntags katholische Ministranten und mittwochs im evangelischen Posaunenchor; selbstverständlich gehen sie in beiden Kirchen gemeinsam zur Kommunion. Und als sie merkten, "wie sehr Paare darunter leiden, dass die Probleme der Konfessionen zu ihren Problemen gemacht werden", gründeten sie mit anderen ein "Netzwerk konfessionsverbindender Paare".

Optimistische Tage

Es sind die Tage des Optimismus: Es wird, es muss sich etwas verändern - wenn die Konfessionen nicht enger zusammen arbeiten, werden sie bedeutungslos werden. In der Menge am Mittwochabend steht der bayerische Landesbischof Johannes Friedrich, der Katholica-Beauftragte der evangelischen Kirche in Deutschland.

Er trägt sein lila Hemd mit Stehkragen, das goldene Bischofskreuz auf der Brust. "Sind Sie katholisch?" fragt ein Passant und will loslegen: Sex, Zölibat, Verhütung. "Ich bin evangelisch, und das ist meine Frau", sagt er - und kann ins Café flüchten.

"Wir brauchen so schnell wie möglich einen zweiten ökumenischen Kirchentag", sagt er drinnen. Allein die Vorbereitungen in den Gemeinden - "was sich da an Gemeinsamkeiten ergeben hat, ist großartig".

Und dann erzählt er weiter: dass er am liebsten jedes Jahr den Pfingstmontag zum Tag der Ökumene machen würde. Er habe schon einmal bei der katholischen Bischofskonferenz vorgefühlt - "ich hoffe, das wird was". Ein Abend der ökumenischen Träume. Der Himmelfahrts-Morgen bringt dann die Realität wieder: Erst halten der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky und der Berliner evangelische Bischof Wolfgang Huber getrennte Gottesdienste in der Hedwigs-Kathedrale beziehungsweise dem Dom.

Dann ist der katholischen Sonntagspflicht Genüge getan, aus beiden Kirchen bewegen sich Prozessionen Richtung Gendarmenmarkt. Kardinal Sterzinsky, unsicher über den vereinbarten Weg, nimmt eine Abkürzung, was zur Folge hat, dass die Katholiken mit 200 Metern Vorsprung auf die Zielgerade einbiegen.

Was protokollwidrig ist, weshalb nun von hinten mit langen Schritten Bischof Huber Boden gut machen muss, um tatsächlich auf den letzten Metern gleichzuziehen. Auf der Rennbahn der Jugendlichen im Tempodrom hätten sie jetzt knapp einen Ökumene-Punkt gewonnen. Ein herzlicher Händedruck - der ökumenische Gottesdienst kann losgehen.

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