Kindertag im Bundestag:"Da sitzt der Horst Schröder"

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Die Führungen sind seit Monaten ausgebucht, das Interesse ist groß: 800 Schüler zwischen sechs und 14 Jahren besuchen den Bundestag.

Stephanie Sartor, Berlin

Draußen perlen die Regentropfen an den Fenstern, drinnen ist die jugendliche Aufregung groß: Es ist "Kindertag" im deutschen Parlament.

Sitz des Deutschen Bundestages: das Reichstagsgebäude in Berlin (Foto: Foto:)

Die Schüler der 5. Klasse der Gottfried-Röhl-Grundschule im Berliner Stadtteil Wedding stehen im Südflügel des Reichstagsgebäudes.

Büsra, ein türkischstämmiges Mädchen mit dunkelbraunen Locken, holt einen handgeschrieben Zettel aus ihrem Rucksack. "Bundestag" steht auf dem Papier.

Das Thema hat die Klasse schon im Unterricht durchgenommen. Voller Erwartung blicken die Kinder nun zu Ulrike Schulze-Lünzum. Denn sie wird den Schülern heute erklären, wie das so ist mit der Politik.

"Wer sitzt denn im Plenarsaal?", fragt sie. Ihre Stimme hallt über die Plenarebene des Gebäudes. Hier eilen an Sitzungstagen die Abgeordneten in die Debatte, oder sprechen mit Journalisten. 20 Kinderhände schießen in die Höhe.

Die Schüler brabbeln durcheinander, jeder will etwas sagen. "Da sitzen die Parteien", ruft einer. "Genau, die SPD und so", schallt es aus der anderen Richtung. "Die heißen doch Abgeordnete", weiß ein anderes Kind. "Da sitzt doch auch der Horst Schröder", tönt es aus der anderen Ecke. Alle lachen.

"Also bitte, das weiß doch jeder!"

Über die Freitreppe im Westflügel geht es einen Stock höher zur Besucherebene. Von der Brücke über dem Besuchereingang sehen die Kinder durch das gläserne Eingangsportal auf den Tiergarten und die Siegessäule in weiter Ferne. Die Schüler stehen für einen Moment still da, manche haben den Mund offen.

Sonja, ein Mädchen mit weißen Sweatshirt und zwei Pippi-Langstrumpf-Zöpfen, dreht sich um, blickt durch die Glasfront mitten in den Plenarsaal. "Wow! Gehen wir da jetzt rein?" ruft sie.

Täglich schaut Sonja die Tagesschau, liest sogar schon Zeitungen. Sie weiß, dass es eine Finanzkrise gibt, was in Bayern passierte und einen noch wichtigeren Urnengang in den USA. Auf die Frage, wie die Bundeskanzlerin heißt, verdreht Sonja genervt die Augen. "Also bitte, das weiß doch wirklich jeder! Angela Merkel natürlich."

Lehrerin Heike Conrad nimmt neben ihren Schülern auf der mittleren Besuchertribüne im Plenarsaal Platz. Auf der anderen Seite des Plenums, ihr direkt gegenüber hängt der Bundesadler. Sie ist stolz auf die Klasse. "Die wissen schon recht viel", sagt sie. "Und das, obwohl Politik nicht fest in den Lehrplänen verankert ist."

Die Idee zum Kindertag in den Bundestag zu kommen, hatten weitere 39 Schulklassen. Jedes Jahr kommen bis zu 800 Schüler im Alter von sechs bis 14 Jahren. "Die Führungen sind schon seit Monaten ausgebucht", erzählt Kay Wahlen vom Besucherdienst.

Sonja sitzt in der ersten Reihe der Tribüne. "Wo sitzt die Kanzlerin?", will sie wissen, steht auf und lehnt sich mit dem Bauch an das Geländer um besser zu sehen. Ulrike Schulze-Lünzum zeigt dem 11-jährigen Mädchen den Stuhl mit der erhöhten Lehne, links vom Rednerpult. Wenn es wichtig wird im Bundestag, sitzt sie dort.

Der Fensterputzer winkt

Sonjas Blick schweift von den dunkelblauen Stühle der Abgeordneten, rauf zu den Kameras der Fernsehesender bis ganz hinauf zur Glaskuppel des Reichstagsgebäudes. Heute sind keine Besucher in der Kuppel. Nur ein Fensterputzer mit gelber Latzhose reinigt die Glasflächen. Die Kinder winken ihm zu. Er winkt zurück.

Es wird Zeit. Die nächste Schulklasse wartet schon. Auch auf Ulrike Schulze-Lünzum, die heute noch vier Führungen vor sich hat.

Durch den Haupteingang auf der Plenearebene, vor dem sich eine Schlange bis zur Scheidemannstraße, die vorbei am Tiergarten verläuft, gebildet hat, treten sie hinaus in die nasskalte Berliner Luft und packen ihre Regenschirme aus. Für heute war´s das mit der Politik.

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