Kinderpornografie-Ermittler:"Das Zeug wird immer extremer"

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Sie müssen sich stundenlang widerwärtigste Missbrauchsszenen und brutale Foltervideos anschauen, deren Opfer bisweilen nur ein paar Monate alt sind. Viele Ermittler halten solche Bilder nicht lange aus. Doch es gibt Erfolge im Kampf gegen die Kinderpornographie. Besuch bei einer Sondereinheit in Frankfurt, die zum bundesweiten Vorbild werden könnte.

Marc Widmann

Im Moment fahnden sie wieder nach einem dieser Männer, der Unbeschreibliches tut. Dinge, die sie nur allgemein beschreiben können, mit bürokratischen Worten, weil jedes Detail unerträglich wird. Sie nennen es "mehrfachen schweren sexuellen Missbrauch eines Mädchens im Alter zwischen circa drei bis neun Monaten". Auf dem Wickeltisch vergriff sich dieser Mann mit den Pianistenhänden und dem schmalen Goldring am kleinen Finger an dem Kind. Sie haben Fotos von ihm, sie haben sie ins Netz gestellt auf der Seite des Bundeskriminalamts; sie hoffen, dass sie ihn bald finden.

Die Fahnder suchen Täter auf Tauschbörsen, in abgeschottenen Gruppen und auf Seiten, die KInderpronos gegen Bezahlung verkaufen. (Foto: ddp)

Es gibt Ermittler, die aufgaben, weil sie derlei Bilder nicht mehr aushielten, auch nicht die Ohnmacht. Andreas May aber von der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft ist seit 15 Jahren auf der Jagd nach solchen Tätern, sein Kollege Rainer Franosch bald ebenso lange. Sie sind keine normalen Staatsanwälte, die würdevoll durch Gerichtsgänge wandeln und Paragraphen rezitieren. Sie tragen Jeans, kennen sich mit IP-Adressen von Computern aus und sind kaum zu stoppen, wenn sie von den Abgründen unserer Gesellschaft erzählen. Pfarrer haben sie vor Gericht gebracht, Lehrer und den Präsidenten eines Verwaltungsgerichts. Jetzt suchen sie den Kerl mit den Pianistenhänden.

In Hessen bilden die beiden seit vergangenem Jahr mit ihrem Chef Günter Wittig eine kleine Sondereinheit, die bundesweit vorbildlich werden könnte im Kampf gegen Kinderpornographie: die Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität. Sie müssen nicht nebenbei Raser oder Rotsünder verfolgen, sie konzentrieren sich auf die Täter im Netz. Sie haben Luft für Großverfahren, eines haben sie gerade abgeschlossen.

Brutale Folterszenen

"Das Zeug wird immer extremer", sagt Franosch, "was wir heute sehen müssen, gab es vor zehn Jahren noch nicht." Die Kinder auf den Bildern sind noch jünger, manche nur ein paar Monate alt. Der Missbrauch ist noch brutaler, es gibt richtige Folterszenen. Dazu die neue Technik: Die Videos sind jetzt mit Ton, die Täter wollen ihre Opfer offenbar jammern und heulen hören. Gefilmt wird in HD, in höchster Qualität. Für ihr jüngstes großes Verfahren mussten sich May und Franosch Tausende solcher Dateien anschauen. Einige Mitarbeiter waren hinterher so ausgelaugt, dass sie psychologische Hilfe benötigten.

Vergeblich war der Einsatz nicht. Im April fiel das letzte Urteil des Mammutprozesses am Darmstädter Landgericht. Fünf Jahre muss ein Mann aus Mönchengladbach hinter Gitter, weil er "härtestes und widerlichstes Material" verbreitete, wie der Richter es nannte. Acht weitere Angeklagte erhielten Strafen zwischen zwei und achteinhalb Jahren. Geisterwald und Sonneninsel, so nannten sie die Seiten im Internet, über die diese erschreckend normalen Männer Bilder tauschten und miteinander chatteten.

Ein promovierter Geophysiker war dabei, ein Unteroffizier der Bundeswehr, ein Speditionskaufmann, viele verheiratet. Zum ersten Mal wurden Biedermänner wie sie als Bande verurteilt. Die hessischen Fahnder nutzten den Vorteil ihrer kleinen Sondereinheit: Statt in vielen einzelnen Verfahren klagten sie alle Administratoren zusammen in einem Großprozess an, die ganze Bande. Seither ist die Szene verunsichert. Das allein ist schon ein Erfolg, sagt May.

Allerdings ein Erfolg mit Schattenseiten, wie meist bei der Fahndung nach Pädophilen. Etwa 500 Männer tummelten sich auf den Geisterwald-Seiten, aber nur 160 konnten May und Franosch ausfindig machen. Die Übrigen tarnten sich zu gut und kommen wohl ungeschoren davon. Was noch bitterer ist für die Fahnder: Während die Betreiber noch vor Gericht standen, tauchten einige der Seiten schon wieder auf, "neu gegründet, anders benannt, technisch verfeinert", sagt Franosch. Aber mit denselben Inhalten.

Ist es ein sinnloser Kampf? Vor zwei Jahren gab einer der renommiertesten Kinderporno-Ermittler der Republik auf. Peter Vogt, Staatsanwalt in Sachsen-Anhalt, hat große Verfahren angestrengt, gewaltige Mengen an Material beschlagnahmen lassen, doch die Polizei kam einfach nicht hinterher, sie rechtzeitig auszuwerten. Als es Verdächtigen gelang, ihre Festplatten per Klage wieder zurückzubekommen, unangetastet, zog der Ermittler ein deprimierendes Fazit: "Wir haben den Kampf gegen Kinderpornographie verloren."

Dieses Verbrechen sei wie eine Hydra: Für jeden abgeschlagenen Kopf wachsen ihr zwei neue. "Wir sehen das völlig anders", sagen die hessischen Fahnder. Auch sie müssen monumentale Datenmengen auswerten, doch sie beauftragen auch externe Gutachter. Sie kooperieren außerdem mit BKA und Fachkommissariaten der Polizei, wo in den vergangenen Jahren etliche Informatiker angestellt wurden. "Jeder ermittelte Täter ist ein Erfolg", sagt Franosch.

Süchtig nach neuem Stoff

May und Franosch wissen, dass die Pädophilen ständig frisches Material brauchen, dass sie süchtig sind nach neuem Stoff, und dass es längst nicht jedem gelingt, seine Spuren im Netz zu verwischen. Sie suchen die Täter in öffentlichen Tauschbörsen, in abgeschotteten Gruppen und auf Seiten, die Kinderpornos gegen Bezahlung verkaufen. Es ist ein lukrativer Markt. Und die Täter lernen dazu. Sie verlangen jetzt sogenannte Keuschheitsproben, ehe sie Zugang gewähren zu ihren Seiten. Wer an das Material will, muss erst Kinderpornos einschicken und damit beweisen, dass er zur Szene gehört. Sogar Selbstgefilmtes wird manchmal schon verlangt.

Für die Beamten ist das ein Problem. Sie dürfen keine Straftaten begehen, auch nicht als verdeckte Ermittler. Politiker verlangen daher, den Fahndern mehr Befugnisse zu geben. Sie fordern auch, dass Internetanbieter wieder vorsorglich alle Verbindungsdaten monatelang speichern müssen. Allein in Nordrhein-Westfalen seien zuletzt 147 Verfahren gegen Nutzer von Kinderpornos im Nichts verlaufen, weil ein entsprechendes Gesetz fehle, beklagt der dortige Innenminister Ralf Jäger (SPD).

Aus solchen politischen Debatten halten sich May und Franosch heraus; sie wollen den Mann mit den Pianistenhänden finden, ehe er sich erneut an einem Kind vergeht. Es sieht nicht schlecht aus. Mehr als 300 Hinweise haben sie bekommen.

© SZ vom 22.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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