Kelly-Affäre:Blairs Schicksalwochen

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Wenn am Mittwoch in London der lang erwartete Bericht zum Selbstmord des Waffenexperten David Kelly veröffentlicht wird, geht es um nichts Geringeres als die Zukunft von Tony Blair.

Die ganze Nation schaut darauf, was Lordrichter Brian Hutton nach mehrmonatigen Ermittlungen über die Umstände zu sagen hat, die zum Tode des anerkannten Wissenschaftlers führten.

Kelly war die Schlüsselfigur bei den Anschuldigungen, Blairs Regierung habe Geheimdienstmaterial aufgebauscht, um die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit des Irak-Krieges zu überzeugen.

Sein Selbstmord im Sommer brachte die Regierung ins Zwielicht - für den 50-jährigen Premier war es die bislang größte Krise seiner Amtszeit.

Spekulationen

Die meisten politischen Beobachter in London gehen davon aus, dass Blair nicht zurücktreten wird, jedenfalls nicht sofort. Als viel wahrscheinlicher gilt, dass die Affäre Verteidigungsminister Geoff Hoon das Amt kosten könnte.

Forsch wie gewohnt schiebt Blair alle Spekulationen beiseite, er könne aufgeben. "Die Frage, die sich nach meiner Integrität stellt, ist: Haben wir die Geheimdienstinformationen (zu Irak) empfangen und wurden sie korrekt an die Öffentlichkeit weitergegeben?" stellte Blair im BBC-Fernsehen die rhetorische Frage. Seine Antwort: "Selbstverständlich denke ich, dass wir das getan haben."

Die Sympathiewerte des einstigen Sonnyboys der europäischen Politlandschaft, der es 1997 als jüngster Politiker auf den Posten des britischen Premierministers geschafft hat, befinden sich in freiem Fall - schwere Anschuldigungen durch den erhabenen Lordrichter Hutton könnten ihn noch beschleunigen.

Studiengebühren

Wie eine Ouvertüre zum Drama am Mittwoch ist für Dienstag im britischen Unterhaus die entscheidende Abstimmung zur Anhebung der Studiengebühren geplant. Blair muss befürchten, dass zahlreiche Abgeordnete seiner Labour-Partei gegen ihn rebellieren und das Vorhaben scheitert.

Es geht um eine Verdreifachung der Studiengebühren in England und Wales ab dem Jahr 2006. Blair sieht in der Abstimmung einen wichtigen Test für die Bereitschaft, ihm bei seiner Reform des öffentlichen Dienstes in Großbritannien zu folgen - eine Niederlage am Dienstag könnte ähnlich verheerend wirken wie ein vernichtender Bericht des Lordrichters am Tag darauf.

Wenig hilfreich für Blair war auch der Rücktritt des US Chefwaffeninspekteurs David Kay am Freitag, der keine Massenvernichtungswaffen in Irak gefunden hat.

Skeptische Öffentlichkeit

Viel mehr als US-Präsident George W. Bush hatte Blair versucht, die skeptische britische Öffentlichkeit für den Krieg zu gewinnen, indem er vor irakischen Plänen zum Bau von chemischen, biologischen und atomaren Waffen warnte und die Gefahr heraufbeschwor, diese Waffen könnten in die Hände global operierender Terroristen gelangen.

Die verhängnisvolle Kelly-Affäre begann mit einer BBC-Radiosendung am 29. Mai. Darin hieß es, ein Bericht zum irakischen ABC-Waffenprogramm sei aufgebauscht worden, insbesondere mit der auch von Blair angeführten Behauptung, Saddam Hussein könne binnen 45 Minuten chemische und biologische Waffen zum Einsatz bringen.

Vergeblich versuchte damals der mächtige Kommunikationschef Blairs, Alastair Campbell, die BBC zur Preisgabe ihrer Quelle und zu einem Rückzieher zu zwingen. Campbell trat inzwischen zurück.

Hinter den Kulissen wurde in Zusammenkünften, bei denen Blair zum Teil den Vorsitz hatte, beschlossen, durch die Streuung von genügend Hinweisen Kellys Identität der Öffentlichkeit preiszugeben.

Selbstmord

Durch eine Identifizierung der Quelle, so die Berechnung, könnte deren Glaubwürdigkeit eher in Zweifel gezogen werden. Der zurückhaltende Wissenschaftler Kelly hielt dem Druck nicht stand: Am 17. Juli verließ er sein Haus in der Grafschaft Oxfordshire; er wurde mit aufgeschlitzten Pulsadern tot aufgefunden.

Blair war zu diesem Zeitpunkt gerade am anderen Ende der Welt auf einer Asienreise und ordnete umgehend eine juristische Untersuchung des Falls an. Er bekräftigte, er habe die Freigabe von Kellys Namen nicht angeordnet - Worte, die in dieser Woche auf ihn zurückfallen könnten.

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