Kaukasus-Krise und die Folgen:Die Ukraine gehört in die Nato

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Der britische Außenminister findet in der Süddeutschen Zeitung klare Worte: Nach dem Georgien-Krieg muss Russland lernen, dass seine Nachbarn gleichberechtigte Staaten sind.

David Miliband

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion scheint es so, als würden neue Regeln für das Verhalten der internationalen Beziehungen in Mittel- und Osteuropa sowie in Zentralasien etabliert. Die Schlagworte bisher waren Unabhängigkeit und Interdependenz; Souveränität und gegenseitige Verantwortlichkeit, Kooperation und gemeinsame Interessen. Das sind gute Wörter, die es zu verteidigen gilt. Aber die Krise in Georgien hat ein jähes Erwachen bewirkt.

Ukrainische Aktivisten der Pro-Nato-Parteien protestieren in Sewastopol gegen die russische Schwarzmeer-Flotte vor der Halbinsel Krim. (Foto: Foto: AFP)

Der Anblick russischer Panzer in einem Nachbarland hat gezeigt, dass die Versuchungen der Machtpolitik bestehen bleiben. Die alten Wunden und Differenzen schwären weiter. Russland ist mit der neuen Landkarte Europas immer noch nicht versöhnt. Russlands unilateraler Versuch, die Karte neu zu zeichnen, indem es Abchasiens und Südossetiens Unabhängigkeit anerkennt, kennzeichnet nicht nur das Ende der Ära nach dem Kalten Krieg; es ist auch ein Moment, in dem die Länder zeigen müssen, wo sie in bedeutenden Fragen der Souveränität und des internationalen Rechts stehen.

Der russische Präsident Dmitrij Medwedjew sagt, er habe keine Angst vor einem neuen Kalten Krieg. Wir wollen keinen. Er trägt eine große Verantwortung dafür, keinen zu beginnen.

Die Ukraine ist ein glänzendes Beispiel für die Vorteile, die entstehen, wenn ein Land sein eigenes Schicksal in die Hand nimmt und Bündnisse mit anderen Ländern sucht. Ihre Entscheidungen sollten nicht als Bedrohung für Russland angesehen werden, doch macht ihre Unabhängigkeit eine neue Beziehung zu Russland erforderlich - und zwar unter Gleichgestellten, nicht zwischen Herrn und Untergebenem.

Russland darf nicht die falschen Lehren aus der Georgien-Krise ziehen: Es kann keine Abkehr mehr von den Prinzipien der territorialen Integrität, demokratischen Staatsführung und des internationalen Rechts geben. Russland hat gezeigt, dass es die georgische Armee besiegen kann. Doch steht es heute isolierter, weniger vertrauenswürdig und geringer geachtet da als vor einem Monat. Es hat kurzfristig militärische Vorteile erzielt, doch wird es die wirtschaftlichen und politischen Verluste zu spüren bekommen.

Premierminister Wladimir Putin hat den Zusammenbruch der Sowjetunion als die "größte geopolitische Katastrophe" des 20. Jahrhunderts beschrieben. Die meisten Menschen im ehemaligen Sowjetblock sehen das nicht so. Es ist eine Tragödie für Russland, wenn es die nächsten 20 Jahre lang glaubt, dies wäre der Fall. Seit 1991 hat der Westen Russland sogar eine umfangreiche Zusammenarbeit mit der EU und der Nato sowie die Mitgliedschaft im Europarat und in den G 8 angeboten.

Gipfel, Mechanismen und Treffen wurden nicht ersonnen, um Russland zu demütigen oder zu bedrohen, sondern um es einzubeziehen. Die EU und die Vereinigten Staaten haben die russische Wirtschaft entscheidend unterstützt, als diese Hilfe notwendig war, und westliche Firmen haben stark investiert. Zudem hat Russland beträchtlich von seiner Wiedereingliederung in die Weltwirtschaft profitiert. Doch hat Russland in jüngster Zeit nur Verachtung für unsere Bemühungen gezeigt: von der Aussetzung seiner Beteiligung am Vertrag über Konventionelle Streitkräfte bis hin zur Belästigung von Geschäftsleuten und Internetangriffen auf seine Nachbarn. Jetzt gibt es Georgien.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieso der britische Außenminister dafür plädiert, Tiefe, Art und Umfang der Beziehungen zu Russland zu überprüfen.

Eine Isolation Russlands wäre kontraproduktiv, da seine wirtschaftliche Integration am besten die Disziplinierung seiner Politik garantiert. Darüber hinaus würde sie Russland lediglich in seiner Opferrolle bestärken, ein Gefühl, das den intoleranten russischen Nationalismus befeuert, und sie würde die Interessen der Welt beim Kampf gegen die Verbreitung von Kernwaffen, beim Eingehen auf den Klimawandel oder bei der Stabilisierung Afghanistans untergraben.

David Miliband, 43, ist britischer Außenminister. (Foto: Foto: AFP)

Doch ist die internationale Gemeinschaft nicht ohnmächtig. Die Europäer brauchen das russische Gas, aber Gazprom braucht die europäischen Märkte und Investitionen. Unsere Vorgehensweise muss hartnäckiges Engagement sein. Das bedeutet, Verbündete zu schützen, die Beziehung zu Russland neu auszutarieren, die Regeln von internationalen Institutionen zu verteidigen und erneute Bemühungen zu unternehmen, um ungelöste Konflikte anzugehen, nicht nur in Südossetien und Abchasien, sondern auch in Transnistrien und Berg-Karabach. Diese sind aus langjährigen ethnischen Spannungen entstanden, die durch die wirtschaftliche und politische Unterentwicklung verschärft wurden.

Die Schlüsselrolle der Ukraine

Hier kommt der Ukraine mit ihren acht Millionen ethnischen Russen - viele von ihnen auf der Krim - eine Schlüsselrolle zu. Ihre starken Verbindungen nach Russland sind definitiv im Interesse beider Länder. Doch ist die Ukraine auch ein europäisches Land und darf sich somit um die EU-Mitgliedschaft bewerben - was die ukrainischen Machthaber anstreben.

Die Aussichten auf eine EU-Mitgliedschaft und der reale Beitritt sind in ganz Osteuropa eine treibende Kraft für Stabilität, Wohlstand und Demokratie. Sobald die Ukraine die EU-Kriterien erfüllt, sollte sie als vollständiges Mitglied aufgenommen werden. Auch stellt die Beziehung der Ukraine zur Nato keine Bedrohung für Russland dar. Die daraus folgende Stärkung der demokratischen Institutionen der Ukraine und ihre Unabhängigkeit werden Russland langfristig zugutekommen.

Europa muss zudem seine Beziehung zu Russland im Energiesektor neu austarieren, indem es in die Gasspeicherung investiert, um mit Unterbrechungen fertigzuwerden, indem es seine Versorgung diversifiziert und einen gut funktionierenden Binnenmarkt mit mehr Verbindungen unter den Ländern schafft. Und wir müssen die Abhängigkeit vom Gas insgesamt verringern, indem wir die Energieeffizienz steigern, in CO2-Speicherungstechnologie für Kohle, in erneuerbare Ressourcen und Kernkraft investieren.

Wir müssen unsere Beziehungen zu Russland überprüfen. Ich entschuldige mich nicht, reflexhafte Forderungen abgelehnt zu haben, Russland aus den G 8 auszuschließen oder die Beziehungen der EU oder der Nato zu Russland sollten abgebrochen werden. Doch müssen wir Art, Tiefe und Umfang der Beziehungen überprüfen. Zudem werden wir zu unseren Verpflichtungen gegenüber bestehenden Nato-Mitgliedern stehen und unseren Beschluss erneuern, dass Russland kein Vetorecht über die künftige Ausrichtung der Nato haben soll. Niemand will einen Kalten Krieg, aber wir müssen die Grundlagen für einen dauerhaften Frieden deutlich aufzeigen.

Übersetzung: Anke Püttmann

© SZ vom 4.9.2008/pir/mati - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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