Kanzlerwahl:Pingpong im Tiergarten

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Eigentlich dürfte bei der Wahl Merkels zur Kanzlerin nichts schiefgehen. Doch das Stimmenpolster ist überschaubar.

Von Christian Gschwendtner, Berlin

Angela Merkel und Norbert Lammert beim Ableisten des Amtseids am 22. November 2005. (Foto: dpa)

Wenn am Mittwochvormittag alles nach Plan läuft, wird man das auch am erhöhten Limousinen-Aufkommen im Berliner Tiergarten erkennen. Nicht etwa, weil Angela Merkel vorhat, die vierte Amtszeit mit einem Autocorso zu feiern. Nichts liegt ihr im Moment ferner. Aber ins Auto steigen muss sie trotzdem. Und zwar um überhaupt ins Amt zu kommen.

Zur Wahl stellt sich Merkel selbstverständlich im Bundestag. Dort wird sie allerdings nicht lange bleiben können - zumindest, wenn eine Mehrheit der 709 Abgeordneten für sie stimmt. Nach gewonnener Wahl muss Merkel nämlich schnellstmöglich ins Schloss Bellevue. Dort wartet dann bereits Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit der Ernennungsurkunde, die er Merkel übergibt. Eine protokollarische Formalie, von der man annehmen darf, dass Steinmeier sie nach dem monatelangen Hin und Her mit Erleichterung vollziehen wird. Natürlich am besten gleich nach dem ersten Wahlgang - so wie es bis jetzt noch bei jeder Kanzler-Abstimmung der Fall war.

Anschließend muss die neue alte Kanzlerin wieder zurück in den Bundestag, um im Parlament den Amtseid abzuleisten. Sie wird das aller Voraussicht nach mit der religiösen Zusatzformel "So wahr mir Gott helfe" tun. So hat es Merkel bis jetzt immer gehandhabt. Anschließend hat sie es sich aber auch nicht nehmen lassen, bei der Ernennung ihrer Minister dabei zu sein. Die wiederum findet wieder im Schloss Bellevue statt. Also noch einmal quer durch den Tiergarten - und hinterher wieder zurück in den Bundestag zur Vereidigung der 15 Minister. Beobachter sprechen vom ganz großen Kanzlerwahl-Pingpong.

Wie knapp es an diesem Mittwoch für Merkel ausgeht, ist noch unklar. Bei der Union hofft man allerdings, dass es ihr nicht so ergeht wie Helmut Kohl vor dem Beginn seiner letzten Amtszeit. Er verfügte damals nur über eine hauchdünne Mehrheit im Bundestag. Als der Abgeordnete Roland Richter aus Pforzheim just am Wahltag verschlief, stand diese auf dem Spiel. Richter schaffte es gerade noch in den Plenarsaal. Kohl erhielt 338 Stimmen, 337 hatte er gebraucht. Ein Krimi, den sich jeder Kanzler gerne ersparen würde.

Wirklich berechenbar ist die Abstimmung letztlich nicht. Alle Parlamentarier werden zwar namentlich nach vorn gerufen, damit sie ihren Zettel in die Wahlurne werfen können. Die Abstimmung ist aber geheim. Stimmt jemand aus dem Regierungslager gegen eine Neuauflage der großen Koalition, erfahren die Parteichefs in der Regel nicht, wer dahinter steckt.

Martin Schulz hat angekündigt, für Merkel zu stimmen - er reist eigens dafür aus Würselen an

Im No-Groko-Lager der SPD gibt es noch immer skeptische Stimmen. Sie wollen nicht mit Sicherheit sagen, ob sie auch wirklich für Merkel stimmen werden. Mitgliederentscheid hin oder her. Die SPD-Linke Hilde Mattheis zählt zu dieser Gruppe. Sie hielt sich am Dienstag bedeckt. Aus ihrem Büro hieß es nur, dass sie an der Abstimmung teilnehmen werde. Möglich ist aber auch, dass sich einige Abgeordnete krank melden und gar nicht erst zur Wahl erscheinen - um sich so vor der unangenehmen Entscheidung zu drücken. Einer, der das nicht tun will, ist Martin Schulz. Merkels direkter Gegner bei der Bundestagswahl hat am Wochenende angekündigt, die CDU-Vorsitzende zur Kanzlerin wählen zu wollen. Er wird dafür extra aus Würselen anreisen - wo er sich seit dem verlorenen Parteivorsitz von einer Grippe erholt.

Bei der Union hat man trotzdem die Sorge, dass es kein exzellentes Ergebnis wird. Zur Erinnerung: Im Vergleich zur vorigen großen Koalition ist die neue Regierungsmehrheit arg zusammengeschrumpft. Sie verfügt über eine Mehrheit von nur 44 Stimmen. Kein allzu großes Polster, wenn man bedenkt, dass Merkel bei der vergangenen Wahl rein rechnerisch 39 Stimmen aus dem eigenen Lager fehlten.

In der SPD-Bundestagsfraktion ist man trotzdem optimistisch, dass die große Koalition nicht doch noch auf den letzten Metern scheitert. Genaueres könne man aber erst morgen früh sagen. Dann trifft sich die Fraktion zum "Zählappell". Ein Ritual, das auch die Union pflegt. Volker Kauder, CDU-Fraktionschef im Bundestag, übte sich am Dienstag schon in demonstrativer Gelassenheit: "Wir sind ganz sicher, dass Angela Merkel wieder zur Kanzlerin gewählt wird." Über das genaue Ergebnis wollte er aber nicht spekulieren.

© SZ vom 14.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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