Kanzleretat:Handkantenschläge in den Kirschkuchen

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Bei der Aussprache zum Kanzleretat macht es die Union Gerhard Schröder leicht, den Staatsmann am Rednerpult zu geben

Von Christoph Schwennicke

(SZ vom 11.9.2003) Berlin, 10. September - "Wenn Sie dann in drei oder vier Jahren wieder hier stehen", sagt Angela Merkel in ihrem zweiten Satz und merkt erst am Gelächter von links im Plenum und von rechts auf der Regierungsbank, dass es kein glücklicher Einstieg in eine Rede sein kann, dem Bundeskanzler schon jetzt seine Wiederwahl zu attestieren. "Oder in drei Jahren", versucht die Unionschefin den Fehler einzufangen, was aber nur zu noch mehr Heiterkeit führt. Und ihr Satz, Schröder solle sich nicht zu früh freuen, im Übrigen käme Hochmut vor den Fall, macht die Sache auch nicht besser.

Was für ein Entree in eine Rede. Der Angelsachse spricht von einem bad hair day, einem Tag, an dem nichts gelingt, nicht einmal die Frisur. Nach ihr wird der garstige Müntefering kommen und sich darüber lustig machen, dass das doch eigentlich der Tag der Opposition sein sollte und Frau Merkel das hinlänglich versaut habe. Klar, der Mann ist Einpeitscher der Sozialdemokraten, aber hat er so unrecht?

Hinterher trifft man in den Schlendergängen, da wo die Live-Reporter auf Gesprächspartner lauern, die ins Fernsehen wollen, auf hochmögende Menschen aus der Unionsfraktion, deren Kommentar zum Verlauf des Tages ein einziger Seufzer ist. "Fraktionspopulismus" habe Merkel betrieben, die wichtigen Themen, Irak und Afghanistan, ausgeklammert, dafür von der tausendseitigen EU-Chemikalienrichtlinie gesprochen und der Schuld, die Joschka Fischer an diesem Monster habe.

In der Fraktion grummelt es, wie weiter zu hören ist, sie "dürstet nach Führung" - und dann das. Dazu der unsägliche Auftritt des Michael Glos... Ja, an so einem Tag trifft man gestandene Christdemokraten, die bei Umfragewerten von 44 Prozent für die Union und 30 Prozent für die SPD sagen: "Der Schröder gewinnt das wieder 2006."

Wirres Potpourri von Kalauern

Der Reihe nach. Fast schon traditionsgemäß tritt in der Aussprache über den Kanzleretat um neun Uhr morgens als erster Michael Glos, der CSU-Landesgruppen-Chef, ans Rednerpult, und wenn der wackelnde Zeigefinger Schröders ihm auf dem Weg zum Pult bedeutet haben sollte, er solle nicht wieder so übertreiben, dann hat diese Mahnung ihre Wirkung verfehlt.

In einem wirren Potpourri von Kalauern überzieht Glos seine Zeit und strapaziert selbst die Nerven seiner Fraktionskollegen, anders sind verschränkte Arme und gefaltete Hände bei Volker Rühe und Horst Seehofer nicht zu erklären.

Den Sottisen des CSU-Mannes entspricht eine gewisse Würdelosigkeit auf der Regierungsbank, auf der es sich nicht nur der große Otto Schily, sondern auch schon der junge Staatssekretär Matthias Berninger in der ersten Reihe sitzend herausnimmt, alle wichtigen deutschen Tageszeitungen durchzugehen.

Joschka Fischer hat die Bank - wie so oft und wie später auch bei Merkel - demonstrativ mit Redebeginn verlassen und sich mit Fritz Kuhn in den Bänken der Unionsfraktion zurückgezogen. Wenn man die missmutige Miene des Außenministers und die erklärenden Gesten des einstigen Grünen-Chefs richtig versteht, stellt Fischer ihn zur Rede, womöglich wegen seiner Kritik an der Agenda 2010.

Dann Schröder. Nach dem Auftaktredner Glos ist ihm der Einstieg in die Rolle des Staatsmannes ein Leichtes, selbst aus seiner denkbar schlechten Ausgangslage heraus. "Die Debatte findet statt in einer wirtschaftlich schwierigen Lage", hebt Schröder an, "ob die Debattenbeiträge dieser schwierigen Lage gerecht werden, muss jeder für sich entscheiden, meine Damen und Herren."

Was darauf folgt, nimmt im Vergleich zu Glos schon deswegen ein, weil es eine klare Gliederung hat, weil sich Gedanken aneinander reihen und die maßgeblichen Themenfelder angesprochen werden. Schröder gibt den Kanzler mit der Hand in der linken Hosentasche, der den Stoff so intus hat, dass das Manuskript scheinbar nur daliegt, damit das Pult nicht so leer aussieht.

Ruhe des Zuhörens

Sofort legt sich die Ruhe des Zuhörens über den Saal. Kein Wunder, dass später die regierungsamtlichen Schröder-Designer in den Gängen umherlaufen mit zufriedenem Lachen im Gesicht.

Vielleicht wären die Dinge für Frau Merkel besser verlaufen, hätte ihr nicht ihr Vize Friedrich Merz schon die Show gestohlen, bevor sie an der Reihe war. Schröder hatte ihn persönlich angesprochen auf seinen Schlagabtausch mit Hans Eichel vom Vortag, also hatte Merz beim parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion, Volker Kauder, schon während der Kanzler-Rede hinterlassen, dass er darauf zu reagieren gedenke.

Der holt sich bei der Chefin Merkel das Placet, und so antwortet Friedrich Merz und nicht Angela Merkel direkt auf Schröder, wenn auch nicht vom Pult, sondern vom Platzmikrofon aus.

Erschwerend für die Unionschefin kommt in dieser Szene hinzu, dass sich Merz und Schröder bei aller sachlichen Auseinandersetzung um Chancen und Risiken der Wiedervereinigung an Respektsbekundungen ("Herr Merz, Sie haben Recht und Unrecht zugleich") wechselseitig übertreffen und Schröder sogar die eigene Fraktion zurückpfeift, als diese fordert, Merz solle gefälligst aufstehen, wenn ihm der Kanzler antwortet: "Nu lasst mal, er kann ruhig sitzen bleiben."

Angela Merkel wirkt nach diesem Lehrstück der Souveränität etwas ungelenk. In gebeugter Haltung steht sie da und hackt mit der rechten Handkante Mal für Mal das Pultholz entzwei. Die besten Passagen ihrer Rede stammen nicht von ihr, sondern sind treffliche Zitate von SPD-Politikern wie dem Bayern Franz Maget und der Oberbürgermeisterin von Halle, die sich gut als Munition gegen Schröder verwenden lassen.

Metapher vom Backrezept

Doch dann, als es um die Kernfrage geht, ob sie Schröders Angebot für weitere Kooperation auch bei der Diskussion um die Renten annimmt, verfällt sie auf die Metapher vom Backrezept, das nicht die Opposition beizusteuern habe. "Wenn sie Kirschkuchen brauchen, backen Sie ihn sich, und wir essen ihn dann auch!"

Ansonsten verliert sie sich in einem Plädoyer gegen die Fusion von Berliner Zeitung und Tagesspiegel in Berlin, am meisten klatscht ihre Fraktion bei der Kritik an Schröders Position zum Vertriebenenzentrum und zum EU-Beitritt der Türkei. Ihr Berliner Friseur Udo Waltz dient ihr als etwas verunglücktes Beispiel gegen die geplante neue Handwerksordnung. Bei allem Respekt vor diesen Themen nicht eben der Kern der Veranstaltung.

Deutschland müsse sich "fairändern", sagt sie mehrmals, ja "fairändern". Und dem SPD-Generalsekretär Olaf Scholz hält sie vor, dieser habe den "demokratischen Sozialismus" verniedlicht, indem er ihn einen "Sprechunfall" genannt habe. "Mir ist der Atem gestockt, und zwar in zwei Richtungen", sagt Frau Merkel. Das jedenfalls ist unbestreitbar ein Sprechunfall.

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