Kampf gegen Terroristen:Angst vor tödlichem Irrtum

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In London haben Polizisten einen Unschuldigen als vermeintlichen Terroristen erschossen. Die deutschen Regeln zum finalen Rettungsschuss sind unklar.

Von Joachim Käppner

Es lagen nur wenige Millimeter zwischen Leben und Tod. Die Scharfschützen hatten den Mann im Visier ihrer Präzisionsgewehre, ein kurzer Druck auf den Abzug, und er wäre tot gewesen.

Noch nie war das Sondereinsatzkommando (SEK) der Berliner Polizei so dicht davor, einen "finalen Rettungsschuss" abzufeuern, wie im Oktober 1998, als ein geistig verwirrter Algerier im Berliner S-Bahnhof Kottbusser Tor einen kleinen Jungen in seine Gewalt brachte und ihm über Stunden ein scharfes Messer an den Hals hielt.

Mit dem Mann war nicht zu reden; doch als er das Messer einen Moment lang sinken ließ, sprang ein SEK-Mann heran und überwältigte ihn. Andernfalls wäre der Täter wohl tot gewesen.

Es wäre der klassische Fall eines "finalen Rettungsschusses" gewesen, wie die Erlaubnis zum Töten jenseits der Notwehr genannt wird: eine klar erkennbare Situation, eine Geiselnahme, bei der das Opfer in höchster Lebensgefahr schwebt.

Eine Bombe, die es doch nicht gab

In London aber nahmen Fahnder irrtümlich an, ein Selbstmordattentäter wolle in einen voll besetzten Waggon springen, und töteten ihn mit Kopfschüssen, um ihn auf jeden Fall daran zu hindern, seine Bombe noch zu zünden.

Seit London setzt sich auch die deutsche Polizei mit der Gefahr von islamistischen U-Bahn-Bombern auseinander - und mit der Frage, wie weit man gehen darf, um sie zu stoppen. Die Rechtslage ist dabei zweideutig.

Nur zwölf von 16 Ländern regeln den "finalen Rettungsschuss" per Gesetz, zuerst hat ihn Bayern 1973 eingeführt, als Reaktion auf das Olympia-Massaker im Jahr zuvor.

Wer aber als Polizeibeamter in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen einen solchen Schuss abfeuert, bleibt allein mit sich und seinem Gewissen; kein Vorgesetzter darf den Schuss befehlen, weil das Gesetz es so will.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert daher dringend eine Angleichung der Polizeigesetze in diesen Ländern. Auch damit ist die Frage aber nicht beantwortet, ob das Vorgehen der Londoner Polizei in Deutschland erlaubt wäre.

Der finale Rettungsschuss ist laut den Ländergesetzen nur erlaubt, wenn er das "einzige Mittel" ist, um Leben oder Gesundheit eines Menschen zu retten.

"Warum nicht, wenn ich Leben rette?"

Ihn einzusetzen, wenn es vielleicht noch andere Mittel gibt, bereitet Bernhard Witthaut, Vizechef der GdP, Unbehagen: "Ich habe meine Zweifel, ob eine Shoot-to-kill-Praxis, eine präventive Erschießung, hierzulande legal ist."

Wilfried Albishausen, stellvertretender Vorsitzender des Bundes der Kriminalbeamten, ist ganz anderer Meinung: "Wenn das Leben einer Geisel durch einen tödlichen Schuss gerettet werden darf, warum nicht das zahlreicher Passagiere eines U-Bahn-Waggons?"

Das Prinzip der Nothilfe gälte in beiden Fällen, und die Polizei müsse sich auf Bedrohungen wie Selbstmordattentäter einstellen dürfen.

"Ich möchte aber", sagt Polizeigewerkschaftler Witthaut, "nicht in der Haut des Beamten stecken, der eine solche Situation unter Stress und binnen Sekunden einschätzen muss" - und dem dann vielleicht ein tödlicher Irrtum unterläuft wie den Zivilfahndern von Scotland Yard.

In London sind, wie die Metropolitan Police mitteilte, weiterhin "Scharfschützen in Zivil" eingesetzt, um gegebenenfalls Attentäter auszuschalten.

© SZ vom 26.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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