Joschka Fischer: Szenen einer Ehe:Wenn der Kellner vom Koch erzählt

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Sieben Jahre Rot-Grün: Das ist das Thema der Erinnerungen von Ex-Außenminister Fischer. sueddeutsche.de stellt sieben Szenen einer turbulenten Ehe vor. Sie zeigen, dass diese Koalition schon nach einem Jahr reif für die Partnertherapie war.

Christoph Schäfer

Gut zwei Jahre nach der Abwahl von Rot-Grün hat Ex-Außenminister Joschka Fischer den ersten Teil seiner Erinnerungen veröffentlicht. Der ehemalige Vizekanzler und Spitzenpolitiker der Grünen schlägt in "Die rot-grünen Jahre" einen Bogen vom Wahltriumph 1998 bis hin zu den Terroranschlägen am 11. September 2001 - und liefert Einblicke in die Koalitions- und Kanzlerarbeit.

(Foto: Foto: Reuters)

1. Koch und Kellner

Bereits im Vorfeld des heraufziehenden Bundestagswahlkampfs 1998 bekommt Fischer das Schrödersche Machtbewusstsein zu spüren. Auf Einladung des Stern trifft er sich mit dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder zum Streitgespräch. Für Fischer, der sich auf das Treffen gefreut hatte, eine bittere Enttäuschung:

"Der niedersächsische Ministerpräsident [...] saß, in der einen Hand ein Glas Weißwein, in der anderen eine dicke Havanna, in seinem Sessel und legte nach der ersten Frage auch sofort los, und zwar mit einem schweren rechten Aufwärtshaken, der mich völlig überraschte."

Bereits in seinem ersten Wortbeitrag machte Schröder die von ihm anvisierten Machtverhältnisse klar: "In einer rot-grünen Konstellation muss klar sein: Der Größere ist Koch, der Kleinere ist Kellner. Dies nicht zu akzeptieren ist eine typische Form grüner Überheblichkeit."

Der Rest des Gesprächs verläuft Fischer zufolge im Streit: "Obgleich ich der Leidtragende dieser gekonnten Attacke war, musste ich neidlos anerkennen, dass Schröder auf den Punkt getroffen hatte, denn damit hatte er ein Bild gesetzt für die Beziehung zwischen Rot und Grün, das nicht mehr wegzubekommen war."

Der spätere Regierungschef habe die Grünen in eine Zwickmühle locken wollen: "Er sagte ja zu Rot-Grün, aber dies allein zu sozialdemokratischen Bedingungen."

2. Mehr Lafontaine als Schöder

(Foto: Foto: dpa)

Einen wesentlich freundlicher gestimmten Schröder erlebt Fischer am Wahlabend des 27. September 1998. Die Prognosen gehen von einem satten Vorsprung für eine rot-grüne Koalitionsregierung aus, die Stimmung bei SPD und Grünen ist euphorisch.

"Wir - die beiden Bundesvorstandssprecher Gunda Röstel, Jürgen Trittin und ich - trafen uns kurz vor Mitternacht mit Gerhard Schröder, Oskar Lafontaine und Rudolf Scharping in einem separaten Raum. Schröders erste Worte an uns lauteten: 'Wir machen das zusammen.'"

Überraschend, dass sich Fischer später noch einmal allein mit dem damaligen SPD-Chef Lafontaine trifft, um nächste Schritte und wichtige Personalien zu besprechen. Der Ex-Außenminister bekennt, dass ihm Lafontaine persönlich und emotional "sehr viel näher" als Schröder gewesen sei - während Parteifreund Trittin den "weitaus besseren und engeren Kontakt" zu Schröder gehabt habe.

3. Krieg und Frieden in Belgrad

Noch vor Übernahme der Amtsgeschäfte naht die erste Nagelprobe für das rot-grüne Bündnis: Um den Druck auf den damaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević zu erhöhen, fordern die Vereinigten Staaten eine sofortige Entscheidung der Bundesregierung über die Mobilisierung der Nato-Streitkräfte - also darüber, ob deutsche Soldaten sich an einem möglichen Luftkrieg gegen Serbien beteiligen würden.

Der noch amtierende Bundeskanzler Helmut Kohl und auch sein designierter Nachfolger Schröder sprechen sich dafür aus - und fragen Fischer nach seiner Position. Fischer: "Ich wusste in diesem Augenblick, dass dies die Entscheidung über Krieg und Frieden, ganz gewiss aber über die Zukunft der Koalition sein würde. Ein Nein von mir hätte die rot-grüne Koalition beendet, bevor sie überhaupt jemals gebildet worden wäre." Fischer stimmt zu - und seine Fraktion stellt sich im Nachhinein hinter ihn.

4. Schröders Schock wegen Oskar

Unvermittelt muss die Regierung Schröder mit dem Rücktritt von Oskar Lafontaine klarkommen. Der Ex-Außenminister beschreibt, wie ihn ein Anruf des Kanzlers am späten Nachmittag beim Joggen erreicht: Lafontaine lege alle politischen Ämter nieder, erklärte Schröder. Er halte das Rücktrittsschreiben schon in der Hand. Fischer eilt ins Kanzleramt - und sieht etwas, das er noch nie zuvor gesehen hat: "Dort erwartete mich ein sichtlich geschockter Bundeskanzler."

Schweißnass vom Joggen und ebenso entsetzt wie Schröder rät Fischer dem Regierungschef, den verwaisten SPD-Vorsitz von Lafontaine zu übernehmen: "Das musst du jetzt machen."

5. Ein eisenharter Kriegskanzler

Ziemlich genau in der Mitte seiner Memoiren beschreibt Fischer eine weitere, höchst aufschlussreiche Szene der rot-grünen Zusammenarbeit. Knapp vier Wochen nach Beginn der Nato-Bombardements auf Ziele in Serbien und Montenegro hat der Krieg um den Kosovo zahlreiche unschuldige Zivilisten getötet, zudem scheint der Konflikt ohne Bodentruppen kaum zu gewinnen. Fischer zufolge ist der Krieg "innenpolitisch und in den Koalitionsfraktionen immer schwerer zu begründen".

Die Stimmung in der Koalitionsrunde zwischen SPD und Grünen am 21. April 1999 sei folglich gedrückt bis pessimistisch gewesen. An diesem schweren Abend aber "stand der Bundeskanzler wie ein Fels in der Brandung. [...] Schröders eisenharte Entschlossenheit und Festigkeit richtete die Koalitionäre emotional auf und schloss erneut ihre Reihen. [...] Seit jenem Abend im Bonner Kanzlerbungalow wusste ich auch, was letztendlich einen Kanzler ausmacht. Gerhard Schröder hatte es uns allen an diesem Abend demonstriert."

6. Erste Schreiduelle

Ungeachtet der stillen Bewunderung für den Kanzler gerät Fischer mit seinem Regierungschef am Abend des 25. Oktober 1999 heftig aneinander. Weil die Sozialdemokraten trotz Ablehnung der Grünen gewillt scheinen, etwa tausend Leopard-2-Panzer an die Türkei zu liefern, ist die Stimmung in der Koalitionsrunde im Kanzleramt schlecht.

"Es dauerte nicht sehr lange, da explodierte Gerhard Schröder und attackierte frontal und laut ein Mitglied der grünen Verhandlungsdelegation. Mir reichte es. [...] Und so keilte ich aggressiv zurück. Ein Wort gab das andere, und zwischen dem Kanzler und mir wurde es immer lauter. Lauthals wurde verkündet, dass man dann eben Schluss machen müsse mit der Koalition. Auf jeden Fall würden die Panzer mit uns nicht zu liefern sein."

Die hitzige Aussprache, die es nach Darstellung Fischers "so zuvor noch nie gegeben" hatte, habe dennoch reinigend auf alle Beteiligten gewirkt. Durch den gemeinsamen "Blick in den Abgrund" sei ein Kompromiss zustande gekommen, der den Grünen erheblich entgegengekommen sei. Das Problem war vom Tisch.

7. Kanzlers Zorn in der Absteige

Einen erneuten Zornesausbruch des Kanzlers erlebt Fischer einige Monate später in New York. Zum Anlass der Jahrtausendwende soll ein UN-Sondergipfel die sogenannten Jahrtausend-Ziele festlegen. Doch das Hotel der deutschen Delegation entspricht nicht den Vorstellungen des deutschen Regierungschefs. In der laut Fischer "Absteige in einem traurigen Zustand" sind Teppich und Tapeten verfleckt, die Zimmer dunkel und niedrig, das Mobiliar veraltet und die Fenster klein und in Kniehöhe. Fischer: "Alles in allem war der Eindruck einfach nur deprimierend."

Schröder, laut Fischer kein wirklich anspruchsvoller Kanzler, habe schließlich die Fassung verloren, als auch noch seine Toilette nicht richtig funktionierte. "Wie der leibhaftige Höllenhund Zerberus" fährt er brüllend vor Zorn die wartende Schar aus Sicherheitsbeamten und Mitarbeitern an, die allesamt "schreckensbleich" werden. Das Kanzleramt hat im Vorfeld der Reise ein viel zu niedriges Budget für Logis angesetzt - und die Protokollabteilung vor Ort hat sich sklavisch an die Vorgabe gehalten.

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