Johannes Rau:"Versöhnen statt spalten"

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Man hatte ihm vorgehalten, er sei zu alt, sei Pils-Trinker und Anekdotenerzähler. Doch als Bundespräsident überzeugte Rau selbst seine schärfsten Kritiker mit einer ausgewogenen Amtsführung. Seinem Motto versuchte er stets treu zu bleiben.

Er galt als "Herr der Worte" und streitbarer Mahner. Wohl kaum ein anderer Politiker kann auf eine so lange Karriere zurückblicken.

Mehr als 46 Jahre war Rau in gewählten Ämtern für die SPD aktiv, davon 28 in Regierungsverantwortung. Als Bundespräsident setzte sich Rau über die Atemlosigkeit des Politikgeschäfts hinweg.

In den fünf Jahren seiner Amtszeit wurde er zum wahren Präsidenten der Bürger. Seinem Motto "Versöhnen statt spalten" blieb er auch in dieser Position stets treu. Nach langer Krankheit starb Rau am Freitag im Alter von 75 Jahren in Berlin.

Als Rau 1999 im zweiten Anlauf in das höchste Staatsamt gewählt wurde, glaubten viele über den Berufspolitiker bereits alles zu wissen. Er hatte den Makel zu überwinden, eine Art Alterspräsident der Republik zu sein.

Man hielt ihm vor, er sei zu alt, sei Pils-Trinker und Anekdotenerzähler, erinnerte sich Rau. In seinem Heimatland Nordrhein- Westfalen war er zuvor Wissenschaftsminister, mehr als 20 Jahre SPD-Landesvorsitzender und 20 Jahre Ministerpräsident.

Doch als Bundespräsident überzeugte Rau selbst seine schärfsten Kritiker mit einer ausgewogenen Amtsführung. In seinen Reden hatte der bekennende Christ stets das passende Zitat aus der Bibel parat.

Eine besondere Beziehung mit Israel

Eine besondere Beziehung verband Rau mit Israel. So oft wie kein anderer Spitzenpolitiker besuchte er das Heilige Land und die palästinensischen Gebiete. Unvergessen geblieben ist seine Versöhnungsgeste, die Rau mit seiner Rede vor dem israelischen Parlament gelang.

Am 16. Februar 2000 bat er in der Knesset um Vergebung für die von den Nazis begangenen Gräueltaten. Er sagte: "Im Angesicht des Volkes Israel verneige ich mich in Demut vor den Ermordeten, die keine Gräber haben, an denen ich sie um Vergebung bitten könnte."

Der Bundespräsident hat keine politische Macht. Er muss die Kraft der Sprache nutzen, und das verstand Rau so gut wie kaum ein zweiter. In Erinnerung blieben seine "Berliner Reden", in denen er sich unter anderem zu den Gefahren der Biotechnologie äußerte, basierend auf seinem christlichen Menschenbild.

In seiner ersten "Berliner Rede" nahm er sich des Themas Integration an und sagte deutlich, Zuwanderung sei Belastung und Bereicherung zugleich.

Auch sein Agieren im bizarren Zuwanderungsstreit löste Respekt aus. Er rügte das Verhalten der beteiligten Politiker und empfahl, das Bundesverfassungsgericht anzurufen. In der Globalisierungsdebatte bezog Rau eigene Positionen und gab sich skeptischer als beispielsweise viele SPD-Politiker.

Rau galt als emsiger Arbeiter und eifriger Aktenleser. Kein Präsident vor ihm hat so viele Petitionen, Anfragen und Briefe erhalten wie er. Jedes halbe Jahr flattern in das Präsidialamt 63.000 solcher Briefe.

Eine Antwort bekam jeder, einen Großteil der Schreiben verfasste der Bundespräsident selbst. Wie schon seine Amtsvorgänger sprach sich Rau für eine Direktwahl des Bundespräsidenten mit siebenjähriger Amtszeit aus.

Gefragt nach dem Abschied von der Macht, meinte Rau einmal, es sei wie mit Erdnüssen. "Wenn Sie irgendwo auf einer Party sind und da stehen Erdnüsse rum, nehmen Sie im Vorübergehen zwei, drei Erdnüsse." Und bald merke man, dass man gar nicht mehr aufhören könne, sagte er im Interviewband mit der Journalistin Evelyn Roll.

Rau hinterlässt seine Frau Christina, mit der er seit 1982 verheiratet war, und drei Kinder.

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