Johannes Paul II.:Gottes beharrlicher Rebell

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Johannes Paul II. war ein Konservativer in Fragen des Glaubens und der Moral, aber ein Revolutionär im Verhältnis zur Vergangenheit der Kirche und zu anderen Religionen.

Von Matthias Drobinski

Zum Tod von Johannes Paul II. erschien in der Süddeutschen Zeitung im April 2005 folgender Nachruf:

Papst Johannes Paul II. bei der Generalaudienz im Vatikan am 24. März 2004. (Foto: Foto: dpa)

Es war ein öffentliches Sterben. Was sonst abgesondert von der gesunden Welt geschieht, vollzog sich vor den Kameras. Sie zeichneten die letzten Schritte von Papst Johannes Paul II. auf, seine zittrigen Bewegungen, die ersterbende Stimme, den schleichenden Sieg der Parkinsonschen Krankheit.

Bis zuletzt hat der Papst seinen eisernen Willen gegen den Tod gesetzt, hat am Ostermorgen noch versucht, trotz des schlecht verheilenden Luftröhrenschnitts den Segen für die Stadt Rom und den Erdkreis zu sprechen - es kam nur noch ein Röcheln.

Ein Mann der Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Es war, als habe sich Papst Johannes Paul II. als das Abbild des Gottesknechtes im Buch Jesaia begriffen, der leidend das Elend der Welt trägt - ein Gedanke, näher dem Mittelalter als der modernen Theologie.

Und doch hat gerade dies in den vergangenen Jahren die Menschen gerührt: Wie ein zitternder Papst zur Jahrtausendwende auf der Schwelle der Heiligen Pforte kniete.

"Du wirst die Kirche ins dritte Jahrtausend führen"

Wie er, einer der bedeutsamen Momente in der Kirchengeschichte, als Büßer mühsam den Korpus eines Holzkreuzes küsste, als Zeichen der Reue für die Sünden der katholischen Kirche. Wie er ins Heilige Land pilgerte, Jugendlichen auf den Weltjugendtagen zuwinkte, obwohl er seine Hand kaum noch heben konnte.

"Du wirst die Kirche ins dritte Jahrtausend führen", hatte ihm Stefan Wyszinsky, der Kardinal von Warschau, nach der Papstwahl 1978 mit auf den Weg gegeben.

Für Johannes Paul II. war das mehr als ein frommer Wunsch. Es war für ihn der Plan, den Gott mit ihm hatte. Und wahrscheinlich kann ein Mensch die Strapazen dieses Pontifikats nur in diesem Bewusstsein aushalten: Dich hat Gott gesandt und Dir eine Aufgabe gegeben. Nur so waren das Attentat vom 13.Mai 1981 und die vielen Operationen zu überleben.

Am Marienwallfahrtsort Fatima sagte Johannes Paul II. im Jahr 2000. Durch die Fürsorge Mariens sei 1981 die Kugel des Attentäters Ali Agca abgelenkt worden. Dahinter steckte das tiefe Bewusstsein: Das Werkzeug Gottes bricht nicht vor der Zeit.

"Öffnet die Grenzen und Staaten für Christus' Macht!"

Welch ein Unterschied besteht zwischen den letzten und den ersten Jahren dieses Pontifikats.

Damals, am 16. Oktober 1978, zeigte sich ein lebenssprühender 58-Jähriger der staunenden Menge auf dem Petersplatz und rief den Menschen zu: "Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus. Öffnet die Grenzen und Staaten, die wirtschaftlichen und politischen Systeme für seine Macht!"

Der erste Nicht-Italiener seit 450 Jahren scherzte polyglott mit den Journalisten. Ein Papst, der Ski fuhr und die Welt bereiste, schien die Zukunft der katholischen Kirche zu verkörpern.

Der Reformpapst Johannes XXIII. hatte sich noch in der Sänfte tragen lassen, Johannes Paul II. umarmte die Menschen. Anders als sein grüblerischer Vorgänger Paul VI. wurde er zum Medienstar, ein Global Player der Moral im Zeitalter der weltweiten Live-Übertragung.

Die andere Seite des Papstes

Doch da war die andere Seite: Johannes Paul II. sagte endgültig Nein zum Priestertum der Frau. Er verlangte von Theologen einen abstrusen Treueeid, der sie verpflichtet, päpstliche Meinungen als Lehre der Kirche anzunehmen, auch wenn sie nicht als Dogma festgeschrieben sind.

Erlasse, die im Gegensatz standen zu seiner herzlichen, offenen Art, zu seinem Veränderungswillen in vielen Dingen.

Johannes Paul II. bei seiner wöchentlichen Audienz im Jahre 2001. (Foto: Foto:)

Der Kampf gegen die Befreiungstheologie, das Misstrauen gegen eigenständige Ortskirchen, gegen die Universitäts-Theologie - das alles brachte dem Papst auch bei treuen Katholiken den Ruf ein, ein geistlicher Diktator mit herzlichem Auftritt zu sein.

Ein Reformer und Reaktionär zugleich, brüderlich und autoritär in einer Person. Doch trotz des Widerspruchs, der sich aufzutun scheint: Keiner der führenden Menschen des ausgehenden 20.Jahrhunderts hat seine Maximen so konsequent gelebt wie Karol Wojtyla.

Im Zeitalter der Beliebigkeit blieb er seiner Weltanschauung treu, so radikal, dass es dem pluralistischen Westen fremd bleiben musste.

Er hat, im zweitlängsten Pontifikat der Geschichte, die katholische Kirche, sogar den Lauf der Welt geprägt - wie sehr, wird man wohl erst in Jahrzehnten sagen können.

Polnische Wurzeln

Ein Lebenslauf also aus einer anderen Zeit, der ohne die polnischen Wurzeln unverstehbar bleibt.

Karol Wojtyla wird am 18. Mai 1920 in ein Land in nationalem Aufruhr geboren.

Marschall Pilsudski verteidigt die polnische Unabhängigkeit gegen Russland. Karols Eltern, die den Kleinen Lolek rufen, sind fromme Leute, nicht ungewöhnlich in Südpolen. Als Lolek neun Jahre alt ist, stirbt seine Mutter. Karol bleibt ein optimistischer Junge, ein guter Schüler und Sportler.

In Wadowice gibt es eine katholische und eine jüdische Fußballmannschaft; Karol spielt in der jüdischen Elf im Tor. Als ihn im siebten Schuljahr ein Klassenkamerad fragt, ob er Priester werden wolle, antwortete er: "Non sum dignus" - ich bin nicht würdig. Er habe geglaubt, als Laie für soziale Gerechtigkeit eintreten zu müssen, sagte er später.

Wojtylas Lieblingsschriftsteller ist Juliusz Slowacki, der 1848 ein Gedicht verfasst hat, das viel erklärt vom Bewusstsein des späteren Papstes: "Droht Gefahr, dann hebt der allmächtige Gott/Mit einem gewaltigen Glockenton/Als einen neuen Papst/Einen Slawen auf seinen Thron".

Ein Bewusstsein, mit dem sich die Zwangsarbeit im Kalksteinbruch durchhalten lässt. Das den Mut gibt, nebenher für das Untergrundtheater zu schreiben. Und ins Untergrund-Priesterseminar einzutreten, wo den Seminaristen bei Entdeckung Konzentrationslager oder Erschießung drohen.

Die letzten Monate bis zur Ankunft der russischen Armee versteckt sich Wojtyla im erzbischöflichen Palais.

Der junge Mann aus Krakau ist ein Nachwuchstalent für die Kirche, die nun unter kommunistischer Herrschaft lebt. Da kann einer auf Menschen zugehen und Neues in sich aufsaugen wie ein Schwamm, ohne in seinen Prinzipien unsicher zu werden.

Wojtylas Einfluss auf Papst Paul VI.

Der Krakauer Kardinal Sapieha schickt Wojtyla nach Rom; als der Kaplan 1948 zurückkehrt, spricht er mehrere Sprachen, kennt die Weltkirche. Der junge Pfarrer habilitiert sich; nebenbei schreibt er Artikel über Sexualethik. "Liebe und Verantwortung", heißt einer der Aufsätze; 1962 erweitert Wojtyla ihn zu einem Buch.

Künstliche Verhütungsmittel, so die These, seien ein Instrument, das die Frauen den Männern verfügbar mache und sie so unterdrücke. Das Buch findet einen aufmerksamen Leser: Papst Paul VI.

Eines der Themen des späteren Papstes ist damit festgelegt. Ein Thema, mit dem er, als Erzbischof von Krakau (seit 1958) Kirchengeschichte schreibt.

1968 verbietet Paul VI., gegen das Votum einer von ihm eingesetzten Kommission den Katholiken jeglichen Gebrauch von Pille, Kondom oder Spirale.

Bei der Entstehung der Enzyklika Humanae Vitae spielt das Wojtyla-Buch von 1962 eine wichtige Rolle. Der Papst beauftragt den Autor, in aller Stille einen Gegenentwurf zum Mehrheitsvotum zu Papier zu bringen, den Kern des umstrittenen Schreibens.

Und doch passt das Bild des reaktionären Wühlers nicht. Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) gilt Wojtyla als Konservativer, der sich aber für die liberalen Theologen Karl Rahner, Hans Küng oder Yves Congar interessiert, der wichtige liberale Kirchenmänner kennen lernt: den Wiener Kardinal Franz König, den künftigen Kardinal von Paris, Jean Marie Lustiger.

Mit ihnen kämpft er, gegen die konservative Fraktion, für die Erklärung Nostra Aetate über das Verhältnis zum Judentum.

Arbeitet Kardinal Wojtyla bewusst auf das Papstamt hin? Chancen kann er sich kaum ausrechnen, als das Konklave 1978 nach dem Tod von Paul VI. zusammentritt - und nur zwei Monate später erneut nach dem Tod von Johannes Paul I.

Papst Johannes Paul II. der orthodoxe Metropolit Athanasios aus Konstantinopel und der Erzbischof von Canterbury, George Carey. (Foto: Foto: dpa)

Doch die Abstimmungen ergeben ein Patt zwischen Konservativen und Progressiven. Nun versuchen die Kardinäle König und Król (Philadelphia) einen Kompromisskandidaten mehrheitsfähig zu machen. Ein Nichtitaliener soll es sein, unbelastet von vatikanischen Skandalen, jung und gesund, mit Ausstrahlung.

Kurz: Król und König denken an Wojtyla. Am 16. Oktober 1978 erhält er im achten Wahlgang 94 Stimmen. Der jüngste Papst seit 1846 ist gewählt. Immer wieder überrascht es, wie wenig der Welten-Wechsel vom polnischen Kardinal zum Papst Karol Wojtyla verändert.

Die Kirche als Verteidigerin der Menschenwürde

Er bleibt der händeschüttelnde joviale Mensch, dessen Charme sich auch seine Kritiker nicht entziehen können. Er bringt Weggefährten mit in den Vatikan, die ihm oft wichtigere Berater sind als die eigentlichen Zuarbeiter aus der vatikanischen Bürokratie - vor allem vertraut er seinem Privatsekretär Stanislaw Dziwisz.

Und unbeirrbar bleibt sein Glaube an eine katholische Kirche, wie er sie aus Polen kennt. Eine Kirche, die dem Nationalsozialismus getrotzt und den Kommunismus in die Defensive getrieben hat, die die gottgewollte Ordnung vertritt.

Die deshalb Verteidigerin der Menschenwürde ist, gegen alle Staaten, Wirtschaftssysteme, Ideologien. Die deshalb ihren Glauben, ihre Normen nicht relativieren darf, sondern mit starker Hand die Menschen leiten muss. Damit ist Johannes Pauls Gegnerschaft zum Kommunismus klar. Doch sein Verhältnis zum Westen bleibt ebenfalls gespannt.

Der Wertepluralismus, die Vergötzung von Geld, Erfolg und Leistung passen auch nicht in sein Bild.

In der ersten Enzyklika des neuen Papstes vom März 1979 klingt vieles von dem an. Redemptor Hominis - Christus, Erlöser der Menschen, heißt sie. Sie gilt als eine Art Regierungserklärung.

Der neue Papst tritt für die weltweite Achtung der Menschenrechte ein, für Religions- und Gewissensfreiheit, er warnt vor der Konsumgesellschaft und stellt den Menschen in den Mittelpunkt: "Christus, der Erlöser, macht dem Menschen den Menschen selbst voll kund."

Eine menschenfreundliche Botschaft. Sie findet sich immer wieder in den Sendschreiben Johannes Pauls. Doch es ist auch von der Glaubenskrise die Rede, von moralischem und ethischem Verfall, wenn der Papst an die mehr als eine Milliarde Katholiken der Welt schreibt.

Die Gegenwart trage die "Zeichen des Todes", heißt es im Rundschreiben Veritatis Splendor (1993): Gegen diese Kultur des Todes muss die Kirche eine "Kultur des Lebens" setzen. Hier eine Welt, die die Zeichen des Todes trägt, dort eine Kirche, die dem Leben dient - dieser Dualismus macht den Dialog innerhalb der Kirche und der Kirche mit den Staaten und Gesellschaften schwer.

Johannes Paul II. arbeitet an der Zentralisierung und Disziplinierung seiner Kirche: Sie hat sich am Papst zu orientieren, nicht der Papst an der Vielfalt der Kirche. Der Weltkatechismus von 1992 atmet diesen Geist.

Schleichende Ausweitung des Unfehlbarkeitsanspruchs

Hans Küng, der papstkritische Tübinger Theologe, kritisiert früh die schleichende Ausweitung des Unfehlbarkeitsanspruchs unter Johannes Paul II., doch auch ehemalige Förderer wie der Wiener Alterzbischof Franz König klagen immer lauter, welche Probleme der autoritäre Zentralismus der katholischen Kirche bereitet.

Überall dort, wo die Kirche eigene Wege zu gehen versucht, wo es einzelne Katholiken tun, gibt es die heftigsten Konflikte. Schon im zweiten Jahr des Pontifikats entzieht der Papst Hans Küng die Lehrerlaubnis.

In Lateinamerika geht der Streit um die "Theologie der Befreiung", Leonardo Boff wird ein so genanntes Bußschweigen verordnet. In Afrika und Asien geht es gegen alle Versuche, das Christentum zu "inkulturieren"; in den Industriestaaten Nordamerikas, West- und Mitteleuropas um die Versuche, die Regeln und Normen des Katholizismus so zu reformieren, dass sie auch modernen Gesellschaften vermittelbar sind.

Seit dem Antimodernismusstreit unter Pius X. ist die Zahl der gemaßregelten Theologen nicht mehr so hoch. Das Misstrauen gegen jede Abweichung wächst, seit 1982 bestärkt durch den Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger.

Gleichzeitig wächst der Einfluss von Gruppen, die nicht mehr einfach nur konservativ zu nennen sind. Johannes Paul II. spricht Josémaria Escriva, den Gründer des Opus Dei, selig und kündigt bald darauf seine Heiligsprechung an.

Er macht die umstrittene Geheimorganisation zur Personalprälatur. In den Niederlanden, in Österreich und der Schweiz beruft der Papst Bischöfe, deren einzige Qualifikation unerschütterliche Marienfrömmigkeit ist - den Wiener Kardinal Hans Hermann Groer zum Beispiel, der nach deprimierend gut belegten Vorwürfen, er habe Knaben sexuell belästigt, sein Amt aufgeben muss.

Papst Johannes Paul II. beim Besuch im Syrien am Flughafen von Damaskus im Jahre 2000 (Foto: Foto: AP)

Der konservative Papst, der revolutionäre Papst

Im Westen sieht Johannes Paul II. die Kirche in Gefahr, der Laschheit zu verfallen, zu träge, zu satt, zu staatsnah und bürokratisch zu werden. Die deutschen Bischöfe erfahren dies bitter im Streit um die Schwangeren-Konfliktberatung - ihre Argumente, über Jahre hinweg vorgebracht, zählen am Ende nicht.

Der konservative Papst, der revolutionäre Papst. Der selbe Johannes Paul II. wird zum ersten aktiven modernen Weltpolitiker auf dem Papstthron; ein Politiker, mit nichts ausgestattet als der Autorität der Tradition, der Macht des Wortes.

Er tritt wie kaum ein anderer Weltpolitiker für soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte ein. Seine Sozialenzyklika Sollicitudo rei socialis, in der er den Vorrang der Arbeit vor dem Kapital herausstellte, ist ein Beleg dafür. Und der Papst macht Geschichte - Weltgeschichte.

Pfingsten 1979: Erstmals besucht Karol Wojtyla seine Heimat als Papst. Und die Menschen kommen, zu Hunderttausenden, unter widrigsten Bedingungen. Da redet ihr Papst von Europa, vom christlichem Europa, in dem der Eiserne Vorhang bedeutungslos ist.

"Empfangen Sie ihn nicht"

Der damalige sowjetische Staatschef Leonid Breschnew erkennt die Brisanz dieser Botschaft: "Empfangen Sie ihn nicht, das gibt nur Ärger", rät er dem polnischen Genossen Edward Gierek.

Es sind nicht die dollarfinanzierten Faxgeräte in den Priesterwohnungen und Solidarnosc-Büros, die der Bewegung den Sieg bringen; die unmittelbare Wirkung der Zusammenarbeit von CIA und Vatikan ist wohl gering.

Es ist die Botschaft, die stärker ist als alle geheimdienstliche Raffinesse: Es gibt eine Macht, der Eiserne Vorhänge nichts bedeuten.

Sollte Johannes Paul tatsächlich auf eine Neuevangelisierung Europas gehofft haben, gewissermaßen als Dividende aus dem Ende des Kommunismus, dann hätte er enttäuscht sterben müssen. Doch ist bis zum Tod bei Johannes Paul II. nur selten so etwas wie Resignation zu spüren.

Antikommunistischer Kapitalismuskritiker

Es ist eine sehr gradlinige Politik, die Johannes Paul II. nach dem Fall des Eisernen Vorhangs betreibt. Gerade aus dieser Konsequenz heraus wird sie ambivalent.

Der Vatikan torpediert die Weltfrauenkonferenz und die Weltbevölkerungskonferenz, weil ihm die Positionen zu Verhütung und Abtreibung inakzeptabel erschienen.

Doch niemand hat dem reichen Westen derart ins Gewissen geredet wie der antikommunistische Papst, der letzte verbliebene weltbekannte Kapitalismuskritiker.

Diese Rolle hat das Bild des Papstes in seinen letzten Jahren geprägt: die des Globalisierungskritikers und Pazifisten, der so scharf den Krieg der USA gegen die afghanischen Taliban und den Irak geißelt, dass sein Sprecher Joaquin Navarro-Valls erschrocken relativiert - so friedensbewegt sollte es seiner Ansicht nach nicht aus dem Vatikan klingen.

Der Weg zum Heiligen Jahr 2000, begonnen 1993 mit dem Schreiben Tertio Millennio Adveniente, hat diesen Prozess ausgelöst, begünstigt, verstärkt.

Der Papst stellt sich im Heiligen Jahr mutig der Vergangenheit der Kirche und ihren Verfehlungen, er bittet um Vergebung für Scheiterhaufen und Judenverfolgung.

Er bereist das Heilige Land, ein altersschwacher Pilger im Namen des Friedens, er winkt hunderttausenden Jugendlichen zu, die begeistert zurückwinken, als seien Säkularisierung und Kirchenfrust Ereignisse von einem anderen Stern.

Johannes Paul II. ist sich treu geblieben bis zuletzt

Die Bewunderung für den zunehmend hinfälligen Papst nimmt zu - manchmal, als gebe es keine problematischen Heiligsprechungen, keine wenig christlichen Anti-Homosexuellen-Papiere.

Der Reformer als Reaktionär, der Reaktionär als Reformer. Papst Johannes Paul II. ist sich treu geblieben bis zuletzt, wie es nach ihm wohl kaum noch ein Papst wird tun können. Mit ihm geht eine Ära zu Ende.

Dass dieser Papst ein besonderer war, haben auch jene gespürt, die ihm sonst fern standen. Wie sonst hätte der greise Mann Millionen von Jugendlichen zu groß inszenierten Weltjugendtagen versammeln können?

Wie nicht nur frömmelnde Fähnchenschwinger zum Heiligen Jahr nach Rom locken, sondern auch kritische Geister, die mit vielen Positionen des alten und abgekämpften Papstes nicht einverstanden waren? Sie waren trotzdem fasziniert: Dieser Mann war ganz und gar er selbst.

© SZ vom 4.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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