Johannes Paul II:Der rastlose Missionar

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Hier wankten die Regime, dort blieb die Gleichgültigkeit. Während seines Pontifikats machte sich Papst Johannes Paul II. insgesamt auf 104 Reisen. Mit unterschiedlichster Wirkung.

Von Klaus Brill

So war es meistens: Zehntausende Menschen auf einem weitläufigen Wiesengelände am Stadtrand, Fahnen, Priester, Ordner und Rot-Kreuz-Helfer, die zusammengeklappte Tragen hochkant über die Köpfe hielten, um durchzukommen.

Insgesamt 129 Länder bereiste der Papst während seines Pontifikats. (Foto: Foto: AP)

In der kubanischen Stadt Santa Clara lag an jenem glänzend heißen Vormittag des 22. Januar 1998 zudem der Klang von Conga-Trommeln und Marimba-Rasseln über der Menge, vielstimmig sang ein Chor zu den aufreizenden Rhythmen ein Lied mit dem Refrain "Halleluja", die Lautsprecher vibrierten.

Der Papst war da, und alle, alle waren sie gekommen, an diesem Tag besonders viele Ungläubige, denn dies war der historische Besuch von Johannes Paul II. in der kommunistischen Diktatur des Comandante Fidel. Kein Papst und kein Politiker vor Karol Wojtyla hat dadurch, dass er durchschnittlich vier Mal im Jahr seinen Amtssitz verließ und in die nahe oder weite Welt aufbrach, so viele Menschen erreicht und so große Wirkung erzielt.

Reisen in 129 Länder

Keiner vor ihm ist je in seinem Leben vor schätzungsweise 400 Millionen Personen aufgetreten, hat 1,25 Millionen Flugkilometer zurückgelegt, was 31 Erdumrundungen oder der dreifachen Distanz zwischen Mond und Erde entspricht.

104 Reisen in 129 Länder hat Johannes Paul II. in 26 Jahren unternommen, wie das Presseamt des Heiligen Stuhls registrierte, nicht gerechnet die 146 Trips in Italien und die 748 Besuche in der Diözese Rom.

Schließlich war er ja Bischof von Rom, Primas von Italien, Souverän des Staates der Vatikanstadt, Papst der Universellen Kirche, Patriarch des Abendlandes, Nachfolger des Apostelfürsten Petrus und Stellvertreter Christi, wie der amtliche Titel in voller Länge lautet.

Der Evangelisator

Es war Karol Wojtyla bewusst, dass er seine Rolle als Chefmissionar und Oberster Evangelisator der Katholiken mit diesen Pastoralreisen "per excessum" wahrnahm, wie er einmal sagte, exzesshaft geradezu. Im Rückblick erweist sich dieses Vorgehen als fundamental für den Gesamterfolg seines Pontifikats.

Nie wäre er zum Medienpapst geworden, hätte er nicht mit jeder neuen Reise immer neue Berichterstattung generiert, weltweit und in den Ländern, die er besuchte.

Das war in Kuba 1998 von beträchtlicher Brisanz. Tagelang war im Fernsehen der Chef einer Organisation zu sehen, die im Abseits stand, tagelang bekamen die Kubaner nie Gehörtes zu hören, Erzbischof Pedro Meurice Estiu machte live in Funk und Fernsehen den Kommunismus für Kubas Übel verantwortlich.

Shakehands mit Fidel - auf Kuba sorgte Johannes Paul II für einige Unruhe. (Foto: Foto: AP)

Freiheit in Kuba

Und Johannes Paul II. las auch den Kubanern die Leviten, geißelte die hohe Zahl von Abtreibungen und das soziale Phänomen der jineteras (Reiterinnen), jener jungen Frauen, die sich Touristen gegen Geld als Liebhaberinnen auf Zeit andienen.

Der Papst verlangte auch Bewegungsfreiheit für die Kirche und die Freilassung politischer Gefangener. Zugleich verurteilte er wiederholt das US-Embargo gegen Kuba. Ganz Kuba war in Bewegung in der Woche seines Aufenthalts, doch die von vielen ersehnte Öffnung des Regimes blieb aus.

Anders als 1979 nach der legendären ersten Polen-Reise oder 1981 nach dem Besuch auf den Philippinen: Damals kamen Regime ins Wanken, Gläubige schöpften Mut, hielten sich wörtlich an seine zentrale Botschaft "Habt keine Angst".

Böser Zauber gegen Papst

Er selber hatte keine. 1997 reiste er ins gemarterte Sarajewo, eineinhalb Jahre nach Kriegsende, um zur Versöhnung zu mahnen; vor der Ankunft wurden an seiner Wegstrecke unter einer Brücke 23 Panzerminen entdeckt.

1995 traf er bei blauestem Himmel und unter striktesten Sicherheitsvorkehrungen in Papua-Neuguinea ein, um einen Vorkämpfer gegen die ortsübliche Polygamie selig zu sprechen, obwohl einheimische Regenmacher ihn mit bösem Zauber daran zu hindern suchten.

In St. Louis brachte er 1999 den Gouverneur von Missouri dazu, einen Todeskandidaten zu begnadigen, in Nigeria ließ er 1998 der Militärregierung eine Liste mit den Namen von politischen Häftlingen übergeben, die er freizulassen bat. Und in Manila warnte er 1995 bei der größten Messfeier aller Zeiten seine etwa vier Millionen Zuhörer vor außerehelichem Sex, Alkoholmissbrauch und Drogen.

Ein Land, ein Kuss

Es waren immer die gleichen unbequemen Themen, für die der Papst sich auf seinen Reisen wie daheim im Vatikan engagierte: Religionsfreiheit, Menschenrechte, Kriegsverhütung, soziale Gerechtigkeit.

Immer und überall verurteilte er Abtreibungen, immer und überall bekundete er Respekt vor anderen Konfessionen und Religionen, immer und überall trat er den Menschen entgegen als ein ernsthafter, unnachgiebiger, warmherziger, unprätentiöser Mann, der seine Reden meist in der jeweiligen Landessprache hielt.

Dies war nicht nur eine charmante Verbeugung vor der Eigenart der Gäste, sondern auch der sinnfällige Ausdruck dafür, dass der universelle Anspruch des Katholizismus, geboren vor 2000 Jahren in der Antike, sich gerade jetzt im Zeitalter der Globalisierung und gerade auf seinen Reisen aufs Schönste umsetzt.

Pilger guten Willens

"Ich komme als Freund, als Pilger guten Willens", sagte er 1995 in Sri Lanka, wo es vor seiner Ankunft Bombendrohungen und Proteste von Buddhisten gegeben hatte.

Nichts machte seinen Impetus so anschaulich wie die Gepflogenheit, bei der Ankunft im Gastland sich im weißen Ornat vor der Gangway zur Erde zu beugen und sie zu küssen. Am Ende, als er dies aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr konnte, hielt man ihm eine Schale oder eine Schachtel Erde entgegen, so auch in Kuba 1998.

"Ziel meiner Pilgerschaft"

Nimmt man es statistisch, bleibt festzuhalten, dass die erste Reise 1979 nicht zufällig in die Karibik und nach Mexiko ging, zur Konferenz der Bischöfe Lateinamerikas, die fast die Hälfte aller Katholiken vertreten und die vom Antikommunisten Wojtyla die Ächtung der Befreiungstheologie erfuhren.

Zweites Ziel war Polen, insgesamt neun Mal besuchte er die Heimat, Frankreich rangiert mit acht Visiten auf dem zweiten Platz. Der Marienwallfahrtsort Lourdes liegt dort, das Ziel seiner letzten Reise im August 2004. "Mit großer Bewegung spüre ich, dass ich am Ziel meiner Pilgerschaft angekommen bin", sagte er dort.

Am wichtigsten waren ihm zweifellos die Reisen des Jubeljahres 2000, zur Muttergottes von Fatima, die ihm seit dem Attentat von 1981 als persönliche Schutzpatronin galt, und in den Nahen Osten, wo er die Stätten der Bibel besuchte, die Schuld der Katholiken gegenüber den Juden und das Recht der Palästinenser auf Autonomie betonte.

Welten stürzten ein

Aber den Nahost-Konflikt einer Lösung näher zu bringen, vermochte auch dieser Papst nicht. Fragt man, was also die 104 Reisen in 129 Länder wohl bewirkt haben, muss die Antwort für jedes Land anders ausfallen.

Mancherorts stürzten Welten ein, andernorts verharrte man in Gleichgültigkeit, aber überall auf der Welt, außer in Russland, China und den islamischen Staaten, gibt es jetzt gewissermaßen persönliche Erinnerungsfotos an ihn. Nie zuvor hat ein Glaubenszeuge so umfassend durch persönliche Präsenz als Prediger und Missionar gewirkt.

Wie er damit ankommt, das fasste auf Kuba, in Santa Clara im heißen Januar von 1998, eine ältere Frau in die schlichten Worte: "Er ist die höchste Autorität der ganzen Welt."

© SZ vom 6.4.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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