Japan und Südkorea:Schatten der Historie

Lesezeit: 2 min

Die ökonomischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ländern wurzeln in der jüngeren Geschichte.

Von Christoph Neidhart

Japan hat Südkorea diese Woche von der "weißen Liste" jener Länder gestrichen, denen es vertrauen könne. Angesichts von 70 Milliarden Euro Handelsvolumen und vielen touristischen und persönlichen Beziehungen der beiden Länder ist das absurd.

Künftig brauchen japanische Firmen eine Sonderbewilligung, wenn sie Güter nach Südkorea exportieren wollen, die militärisch genutzt werden könnten. Betroffen sind auch Substanzen, die für Südkoreas IT-Industrie und damit für globale Zulieferketten wichtig sind. Mit dieser jüngsten Schikane eskaliert Tokio den Streit weiter, den Seoul wenige Tage zuvor mit der Kündigung eines Geheimdienstabkommens seinerseits befeuert hatte. Und niemand ruft die beiden Regierungen zur Vernunft? Niemand außer Chinas Außenminister, der mit seinem Schlichtungsversuch abgeblitzt ist.

Washington, das mit Tokio und Seoul verbündet ist, rührt sich dagegen kaum. Es hat nur "bedauert", obwohl es auf ihre militärische Zusammenarbeit angewiesen ist. Das erlaubt es beiden Regierungen zu behaupten, sie wüssten die USA hinter sich. Für US-Präsident Trump wäre es ein Leichtes, Japans Premier Shinzo Abe und Präsident Moon Jae-in zurückzupfeifen, zumal Abe alles tut, um seinem Freund Donald zu gefallen. Als es um die sogenannten Trostfrauen ging, jene Koreanerinnen, die im Zweiten Weltkrieg von Nippons Armee in Feldbordelle verschleppt wurden, zwang Präsident Obama Abe und Koreas Präsidentin Park Geun-hye zu einem Versöhnungsabkommen. Das ist inzwischen wieder geplatzt.

Der jüngste Konflikt ist ausgebrochen, weil Südkoreas Oberstes Gericht japanische Konzerne dazu verurteilte, Koreaner zu entschädigen, die sie im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiter eingesetzt hatten. Tokio behauptet, solche Forderungen seien mit dem Normalisierungsabkommen von 1965 alle abgegolten. Die koreanische Justiz dagegen meint, jener Vertrag schließe Menschenrechtsverletzungen nicht ein. Überdies war Südkorea 1965 eines der ärmsten Länder, Japan dagegen bereits wieder erstarkt. Seoul hatte wenig Verhandlungsspielraum, es musste nehmen, was Tokio bot. Vor allem aber wurde Südkorea damals von Militärdiktator Park Chung-hee regiert, einem ehemaligen japanischen Offizier, der für den Tenno in den Krieg gezogen war. Das moderne Südkorea erkennt sich deshalb in jenem Vertrag nicht mehr. Dafür sollte Tokio Verständnis zeigen.

Tokio hat den Groll der Südkoreaner nie ernst genommen, Abe behauptete, die "Trostfrauen" seien "gewöhnliche Prostituierte" gewesen. Er weigert sich, Reue über Japans Aggressionen zu äußern. Beim G-20-Gipfel in Osaka schnitt er den koreanischen Präsidenten. Die Kono-Erklärung, mit der Japan 1993 seine Schuld an der Verschleppung von Koreanerinnen eingestand, wurde nicht von einem Regierungschef abgegeben, sondern von einem Kabinettssekretär. Das hat es Japans Regierungschefs seither erlaubt, sich indirekt zu distanzieren.

Das moderne Südkorea will von der alten Kolonialmacht als gleichwertig behandelt und ernst genommen werden. Die Spekulation Tokios ist nicht aufgegangen, mit dem Wegsterben der Opfer - zum Beispiel der Trostfrauen - lege sich Südkoreas Groll. Japan hat sich seiner Geschichte bisher immer nur halbherzig gestellt. Und wird deshalb immer wieder von ihr eingeholt.

© SZ vom 30.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: