Italienischer Reporter berichtet über seine Entführer:"Dann schnitten sie ihm die Kehle durch"

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15 Tage fühlten sich für ihn an wie 15 Jahre: Der italienische Reporter Mastrogiacomo über seine Geiselhaft in Afghanistan, über Drohungen, Prügel, Todesangst - und eine Hinrichtung vor seinen Augen.

Stefan Ulrich

Daniele Mastrogiacomo bekam keine Zeit, sein Glück zu fassen. Kaum war der italienische Reporter am Montag aus der Hand der Taliban befreit, da machte er sich wieder an die Arbeit.

Von einem südafghanischen Krankenhaus aus erzählte er die atemlose und atemberaubende Geschichte seiner Entführung. Seine Zeitung La Repubblica druckte den Bericht auf den ersten Seiten ab.

"Meine 15 Tage in Ketten", heißt der Titel. Doch Mastrogiacomo, der bald nach Italien ausgeflogen werden soll, schreibt: "Die 15 Tage haben mich gezeichnet, als wären es 15 Jahre gewesen."

Den längsten Moment erlebte er, als die Taliban seinen afghanischen Fahrer ermordeten. An jenem Tag hatten die islamistischen Kämpfer Mastrogiacomo, dessen Dolmetscher und Fahrer zum Ufer des Flusses Helmand in Südafghanistan gebracht.

Drei Todesurteile

"Sie fesseln uns die Hände hinter dem Rücken, verbinden uns die Augen und lassen uns hinknien", erzählt der 52 Jahre alte Italiener. Was er durch die Augenbinde erspäht, lässt ihn erstarren.

Der Fahrer wird in den Kreis der Männer geführt, und der Kommandant verkündet, im Namen des Islam, drei Todesurteile. "Er sagt, wir seien Spione. Wir müssten sterben." Dann packen vier Burschen den Fahrer, werfen ihn in den Sand und schneiden ihm erst die Kehle durch und dann den Kopf ab.

Sie wischen das Messer an der Kleidung des Toten sauber und legen den Kopf auf den Rumpf. Da dachte Mastrogiacomo, er sei als Nächster an der Reihe.

Einige Tage zuvor war er ins Taliban-Gebiet im Süden gefahren, um einen Militärchef zu interviewen. Er wollte einen Bericht aus erster Hand, wie die Gotteskrieger leben und kämpfen. "Das war stets meine Art zu arbeiten: alles selbst sehen und hören, um es dann zu erzählen."

So hatte er es in anderen Krisengebieten gehalten, im Irak, in Somalia, in den Palästinensergebieten. Doch diesmal geriet er in eine Falle. Außerhalb des Ortes Lashkar Gah in der Provinz Helmand griffen ihn Männer des besonders brutalen und mächtigen Taliban-Anführers Mullah Dadullah auf.

Sie fesselten ihn und seine Begleiter, entrissen ihm Dokumente und Wertsachen, stießen ihn mit einer Kalaschnikow blutig.

Dann begann eine gespenstische Reise von Versteck zu Versteck, durch Sanddünen, Felswüsten, Gebirgstäler. "Klein wie Schafställe" seien die Häuser aus Lehm und Stroh gewesen, in denen er untergebracht wurde, erzählt Mastrogiacomo.

Auf dem Boden habe er geschlafen, Hände und Füße in Ketten, den Kopf auf einen Ziegelstein gestützt. Seine Bewacher schildert er als "sehr religiöse und sehr motivierte" Männer Mitte zwanzig. "Es sind Verrückte, Fanatiker."

Doch sie teilten mit ihm Wasser, Brot und Decken und befragten ihn - mit Hilfe von Dolmetschern - über das Leben im Westen, über Politik und Religion. Dann wieder bedrohten ihn die Taliban mit dem Tod oder prügelten ihn mit Gummischläuchen, während sie "Allahu akbar" riefen.

"Wir sehen uns im Paradies"

Mastrogiacomo betete wie seine Geiselnehmer fünf Mal am Tag, aber "zu unserem Gott, zu meinem Gott, dass er mich rettet". Er träumte von seiner Familie, und klammerte sich an die Überzeugung, die italienische Regierung werde ihn nicht aufgeben.

Durch Hinweise seiner Entführer erfuhr er, dass zwischen Rom und Kabul verhandelt wurde. Am Ende war das erfolgreich. Wie die afghanische Regierung am Mittwoch einräumte, ließ sie im Austausch gegen Mastrogiacomo mehrere Taliban frei. Die US-Botschaft in Kabul übte daran Kritik. "Die Politik der USA besteht darin, Terroristen keine Zugeständnisse zu machen", sagte Botschaftssprecher Joe Mellott.

Mastrogiacomo konnte es kaum fassen, als ihn seine Peiniger am Fluss Helmand ziehen ließen. Der Taliban-Kommandant umarmte ihn zum Abschied und flüsterte ihm auf Englisch ins Ohr: "Wenn Gott es will, sehen wir uns im Paradies wieder."

© SZ vom 21.03.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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