Italien und Deutschland:Galoppierende Entfremdung

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Der Fall der Kapitänin Rackete zeigt, wie schlecht die Beziehung beider Länder inzwischen ist. Schuld daran ist vor allem Italiens Vize-Premier Salvini. Doch auch Berlin muss klüger agieren.

Von Stefan Ulrich

In der Neuen Pinakothek in München hängt ein Ölbild, das zwei einander zugewandte Frauen zeigt. Italia und Germania stecken die Köpfe zusammen und halten sich die Hände. Friedrich Overbeck schuf das Gemälde 1828, als Italien und Deutschland Kulturräume, aber noch keine Nationalstaaten waren. Er wollte die Verbundenheit des Nordens mit dem Süden, von Deutschen und Italienern feiern.

Würde Overbeck heute Italia und Germania malen, müsste er sie mit grimmigen Gesichtern und voneinander abgewendet darstellen. Zwischen ihnen könnte eine dritte Frau stehen - die Kapitänin Carola Rackete. Für viele Deutsche ist sie eine Heldin, weil sie ihrem Gewissen und ihrer Pflicht als Kapitänin folgte und Menschen aus Seenot rettete. Für viele Italiener, wenn auch keineswegs für alle, ist sie dagegen eine Kriminelle, da sie die Geretteten unter Bruch italienischen Rechts und unter Gefährdung italienischer Beamter auf Lampedusa an Land brachte.

Der Streit um Rackete zeigt erstens, wie unbefriedigend das Recht der Seenotrettung ist. Das Völkerrecht verpflichtet Kapitäninnen und Kapitäne zwar, Menschen zu helfen, die auf hoher See in Not geraten. Aber es gebietet den Staaten, die in der Nähe Häfen haben, nicht, diese Menschen aufzunehmen. Und die EU scheitert dabei, eine gemeinsame Seenotrettung im Mittelmeer und die Verteilung der Geretteten auf die Staaten zu vereinbaren.

Der Streit zeigt zweitens, wie degradiert die Beziehungen zwischen den einst so engen Verbündeten Italien und Deutschland sind. Gewiss, es gab stets auch Vorurteile, Animositäten. Aber über Jahrzehnte haben beide Länder politisch, kulturell und wirtschaftlich bestens kooperiert. Und viele Menschen beider Nationen fühlten sich so nahe wie Italia und Germania in der Pinakothek.

Tempi passati. Schon während der Regierungszeiten Silvio Berlusconis beklagten Experten eine "schleichende Entfremdung" zwischen Rom und Berlin. Nachdem nun eine nationalistisch-populistische Allianz aus der Lega und den Cinque Stelle Italien regiert, galoppiert sie. Schuld daran ist primär der Vize-Premier Matteo Salvini von der Lega. Er putscht systematisch Rassismus, Minderwertigkeitsgefühle, Frust und Revanchelust unter seinen Landsleuten auf, um Hass gegen Migranten, aber auch auf Brüssel und Berlin zu säen und Stimmen zu ernten. Und er hat stupenden Erfolg damit.

Es ist verständlich, wenn diese perfide Strategie deutsche Politiker erbost. Doch es ist unklug, dem Ärger frei Luft zu machen. Zum einen beschleunigt dies die Eskalation, auf die Salvini setzt. Zum anderen könnte es auch Millionen Italiener vor den Kopf stoßen, die nichts mit dem Lega-Boss zu tun haben wollen. Schon deshalb hätten sich deutsche Minister, besonders der Bundespräsident, mit Forderungen an die italienischen Behörden und die Justiz zurückhalten sollen, wie mit Carola Rackete zu verfahren sei. Italien ist, trotz dieser Regierung, ein Rechtsstaat, in dem Richter unabhängig entscheiden, wie sie am Dienstagabend unter Beweis stellten.

Das schließt nicht aus, Salvini und dessen Regierung im Ton korrekt, aber in der Sache hart entgegenzutreten. Deren ruinöse Wirtschafts- und Finanzpolitik, spalterische Europapolitik und hetzerische Ausländerpolitik muss bekämpft werden. Die Herausforderung ist nur, dies in einer Weise zu tun, dass sich Germania und Italia nach dem Ende der Populistenregierung wieder herzlich zuwenden können.

© SZ vom 03.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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