Italien:Der Schatten des Trickspielers

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Opus Dei, Mafia, Geldwäsche: Ein Buch erforscht die unglaubliche Karriere des Medien-Premiers Silvio Berlusconi - vom Staubsauger-Verkäufer zum Regierungschef.

Hans-Jürgen Jakobs

Seine Tanten waren ins Kloster gegangen, und sie sagten immer wieder, er hätte "einen guten Kardinal abgegeben". Die weihevolle Inszenierung, das Patriarchalische, liegt ihm. Und so meint Silvio Berlusconi über sich selbst: "Tatsächlich hätte ich der heiligen Mutter Kirche wohl vieles geben können."

Er war schon immer ein Mann der Gesten: Silvio Berlusconi, amtierender Regierungschef und mächtigster Mann im italienischen Fernsehen. (Foto: Foto: dpa)

Seit 2001 sitzt dieser Mann als Ministerpräsident in Rom, in der Gründungsstadt der Europäischen Gemeinschaft, und hat doch vieles ins Lachhafte gezerrt, was Grundprinzip der Demokratie war.

Er kontrolliert das Privatfernsehen Italiens, beaufsichtigt das Staatsfernsehen Rai, besitzt mit seiner Familie den größten Verlag Mondadori und darüber hinaus Zeitungen, setzt verbliebene freie Blätter unter Druck, nennt den Fußballklub AC Mailand sein Eigen - und erlässt Gesetze, die ihn vor Strafen für Delikte wie Bilanzfälschung schützen. Alles im Dunstkreis von Leuten mit Mafia-Kontakten und mit dem Segen vieler im Vatikan.

"Europa schaut gelangweilt zu, während in Italien die Demokratie in Gefahr geraten ist", schreiben Udo Gümpel und Ferruccio Pinotti in ihrem jetzt im Bertelsmann-Verlag Riemann erschienenen Buch Berlusconi Zampano - die Karriere eines genialen Trickspielers.

Es ist nicht erstaunlich, dass sich Berlusconi so gut mit Putin versteht

Die Autoren haben das Ungeheuerliche aus 500.000 Seiten Untersuchungsbericht der Mailänder Richter zusammengetragen, die seit Jahren der Korruption den Kampf angesagt haben. Der Buchband präzisiert, was der Publizist Alexander Stille in seinem jüngst von C.H. Beck herausgegebenen Werk Citizen Berlusconi feuilletonistisch beschrieb: den permanenten Missbrauch von Macht und die schlimmsten Auswüchse übler Medienkonzentration.

Es ist nicht erstaunlich, dass dieser 68-jährige, 1,68 Meter große Potentat, der sich Haarteile verpflanzen ließ, so gut mit dem russischen Regierungschef Wladimir Putin harmoniert, der mit Staatsfirmen ebenfalls das Fernsehen seines Landes beherrscht.

Die gute Beziehung zu seinem englischen Kollegen Tony Blair, der auf Berlusconis sardischer Familienresidenz Familienurlaub machen durfte, wird verständlicher, wenn man um die Rolle des Labour-Anhängers David Mills weiß, des Mannes von Blairs Kulturministerin Tessa Jowell: Der Anwalt, der in Downing Street No. 10 ein und aus geht, entwarf für Berlusconi ein riesiges Schattenreich mit Dutzenden von Geheimfirmen und Hunderten schwarzer Kassen, einen Konzern B neben dem 1974 gegründeten offiziellen Unternehmen Fininvest.

Geschäftszweck: "Friseursalon und Kosmetikinstitut"

Mills, den bald in Mailand sein Prozess erwartet, hat sich um Scheinverträge gekümmert, die regelten, wie TV-Senderechte zwischen einzelnen Firmen der Fininvest hin und her geschoben wurden. Der Wert der Rechte wurde so um 150 Millionen Euro aufgebläht. In Mills Londoner Büro fand die Polizei Dokumente; sie belegen, wie sich dank Advokats Hilfe Schwarzgeldkonten mit mehr als 45 Millionen Euro füllten.

Ein globales Imperium - von Panama bis zu den Virgin Islands - zur Steuervermeidung entstand. Vergeblich klagte Berlusconi dagegen, dass die Mailänder Richter die brisanten Dokumente aus London benutzen dürfen. Mills hat bestätigt, 1988 auf Jersey die erste Off-Shore-Firma All Iberian gegründet zu haben.

Die Gruppe Berlusconi, die heute 90 Prozent des TV-Markts und 40 Prozent der Presse kontrolliert, wird von 38 Holdings gelenkt. Sie firmieren unter "Holding Italiana", als Geschäftszweck wurde "Friseursalon und Kosmetikinstitut" angegeben. Als Verwalter ist die dubiose Treuhandfirma Par.Ma.Fid aufgetreten, die zur gleichen Zeit auch das Vermögen von Antonio Virgilio betreute, einem Finanzier der sizilianischen Cosa Nostra.

Transparenz über Fininvest gibt es nicht. Berlusconi setzte als "Staatsmann" durch, dass er über die Kapitalverflechtungen nicht Auskunft geben müsse.

Ein Prozess gegen seinen langjährigen Intimus Marcello Dell'Utri, den Ex-Chef von Berlusconis TV-Vermarktungsfirma Publitalia, machte viele Details öffentlich. Dell'Utri wurde im Jahr 2004 in erster Instanz - das Urteil ist noch nicht rechtskräftig - zu neun Jahren wegen Beihilfe für eine "kriminelle Vereinigung mafiösen Charakters" verurteilt.

Er sitzt nicht ein, sondern im Europa-Parlament - als Abgeordneter der Partei Forza Italia, die Berlusconi vom Frühling 1992 an nach dem Kollaps des alten korruptiven Systems mit Hilfe seiner Fernsehsender aufgebaut hat. Sowohl die Mafia als auch der Vatikan begrüßten die politische Neuordnung.

Berlusconi setze sich "wie wir dafür ein, die Werte der Demut und des Fleißes zu fördern und zu bewahren", sagte der Kardinal Silvio Oddi, Protektor des Geheimordens Opus Dei, der bei Berlusconi eine besondere Rolle zu spielen scheint.

"Die Herkunft der Anfangsmilliarden konnte nicht geklärt werden", sagte selbst ein Berlusconi-Anwalt im Dell'Utri-Prozess über die dunkle Vergangenheit des Medien-Premiers. Das Kapital von Fininvest war 1977 mit einem Schlag von 20 Millionen auf 52 Milliarden Lire erhöht.

"Viel Kultur hatte Silvio nie"

Kennen gelernt haben sich der wegen Mafia-Kontakten verurteilte Dell'Utri und der Aufsteiger Berlusconi im Jahr 1961 auf Sizilien in einem Wohnheim des rechtskonservativen Opus Dei. Bereits 1964 und 1965 diente Dell'Utri dem Chef Berlusconi. Danach wirkte er einige Zeit als Sportdirektor und Trainer für Opus Dei, in Rom und Palermo.

Mitte der siebziger Jahre, als Berlusconi schon seine Prunk-Villa San Martino in Arcore bei Mailand bewohnte, besorgte Dell'Utri ihm Bilder und Kunstgegenstände höchster Qualität. "Er half ihm, seinen Geschmack zu verfeinern. Viel Kultur hatte Silvio nie. Er war ein bisschen...wie soll ich sagen...grobschlächtig", sagt Berlusconis damaliger, dem Opus-Dei-Umfeld entstammender Hauslehrer Nando Cito.

Das ganze Geheimnis von Berlusconi sei: "Er glaubt wirklich, der Beste zu sein." Zu jener Zeit aber habe dessen "Überlegenheitswahn noch keine krankhaften Züge angenommen". Der einstige Hauslehrer, heute IBM-Manager in Paris, enthüllt in Berlusconi Zampano auch, dass der Unternehmer vor 30 Jahren große Angst vor Entführungen und Attentaten hatte. Es gab Drohungen.

Dell'Utri habe Berlusconi gesagt, wenn er erst einen bezahle, bezahle er in alle Ewigkeit - letztlich könne er nur zur Mafia gehen und fragen: "Wie viel muss ich zahlen, um in Ruhe gelassen zu werden?" Berlusconi-Kenner Cito sagt weiter, der Sizilianer Dell'Utri habe vermutlich die richtigen Verbindungen: "Sein Rat war gut, und Silvio folgte ihm."

Schon als Schüler verkaufte er Staubsauger und sang auf Schiffen

1974 kam es tatsächlich zum Gipfeltreffen zwischen Berlusconi und den Spitzen der Cosa Nostra. Am Ende habe der heutige Premier seinen Gästen gesagt, er stehe ihnen "jederzeit zur Verfügung", berichtet ein Zeuge. In die Villa von Arcore zog der Profikiller Vittorio Mangano ein - er arbeitete zwei Jahre lang als "Stallmeister".

Silvio Berlusconi, Italiens Emporkömmling, ist in einem Mailänder Kolleg der strengen Salesianer-Pater erzogen worden. Schon als Schüler verkaufte er Staubsauger, in der Freizeit sang er auf Schiffen und in Tanzsälen. Nach dem Studium gründete er die erste Firma, kaufte Bauland am Rande Mailands und zog drei Trabantenstädte hoch.

Das Geld kam von der feinen Privatbank Rasini, in der sein Vater Luigi Berlusconi Prokura hatte und bei seinem Abschied 1973 leitender Direktor war. Papa Luigi betreute alle finanziellen Transaktionen seines Sohnes bei der Bank Rasini.

In dieses Finanzhaus hatte sich 1956 der Sizilianer Giuseppe Azzaretto eingekauft, ein Mitglied des einflussreichen Malteserordens und des Ordens vom Heiligen Grab. In den Vorstand von Rasini schickte er einen Anwalt, der in enger Verbindung zum berüchtigten Mafia-Bankier Michele Sindona stand, der später im Gefängnis mit Arsen vergiftet wurde. Im Gesellschafterkreis spielten drei Liechtensteiner Treuhandfirmen eine Rolle.

Im Jahr 1983 flog bei der "Aktion Valentinstag" die sizilianische Mafiafraktion in Mailand auf. Es stand fest: Die Gangster hatten Geld über die Bank Rasini gewaschen; der Nachfolger von Luigi Berlusconi wurde verhaftet. Berlusconis einstige Bauprojekte liefen über Schweizer Briefkastenfirmen und Strohleute.

Dahinter steckte zum Beispiel eine Discount Bank Overseas aus Tel Aviv - auch sie wurde beim Waschen von Drogengeld auffällig. Geheimhaltung wurde zum Geschäftsprinzip, Männerbünde sicherten den Erfolg. So kaufte ein früherer Staatssekretär des christdemokratischen Premiers Giulio Andreotti für den Pensionsfonds der Ärzte Wohnungen von Berlusconis Milano 2.

Er war wie Berlusconi Mitglied in der Geheimloge P 2 (Propaganda Due), später vom Parlament als verfassungsfeindlich eingestuft und aufgelöst.

Später gründete Berlusconi dann in seiner Trabantenstadt Milano 2 Kabelfernsehen, und schuf daraus mit politischer Protektion, vor allem mit Hilfe des Sozialisten Bettino Craxi, das TV-Imperium Mediaset mit den großen Kanälen Italia 1, Tele 5 und Rete 4. Craxi hat sich dem Zugriff der Justiz wegen Korruptionsvergehen im tunesischen Exil entzogen.

Das eigene Leben hat Berlusconi zur Legende verzuckert

Einer seiner wichtigen Freunden ist der Tunesier Tarek Ben Ammar, ein Filmunternehmer mit weit reichenden Kontakten, der für Berlusconi vor einigen Jahren neue Finanziers wie Rupert Murdoch, den saudischen Scheich Al-Walid oder den Münchner Filmhändler Leo Kirch besorgt hatte.

Ein Verbund von Kirch und Berlusconi hatte - über Treuhandfirmen wie Persimon in Liechtenstein - sich gegenseitig geholfen, die Mediengesetze in Italien und Deutschland auszuhebeln.

Das eigene Leben hat Berlusconi zur Legende verzuckert. Im Jahr 2001 schickte er jedem Italiener gratis im Wahlkampf das Bändchen Die Geschichte meines Lebens. Darin steht, er sei längst geschieden gewesen, als er seine zweite Frau mit dem Künstlernamen Veronica Lario kennen gelernt habe - dabei hatte er von der kurvenreichen Schauspielerin längst eine Tochter, als er noch verheiratet war.

Selbstverständlich blieb Berlusconi trotz allem ein guter Katholik. Er wird von Gefolgsleuten geradezu verehrt, von Leuten wie dem Journalisten Giuliano Ferrara, der sagt, Berlusconi sei "wie Mozart: Die reine Genialität zusammen mit kindlicher Zärtlichkeit".

Die Nicht-Berlusconi-Blätter stehen unter Druck

Störende Kritiker aber überzieht der angebliche Mozart des Medienkapitalismus mit teuren Klagen - selbst das britische Wirtschaftsmagazin Economist, das nach der dunklen Herkunft des Kapitals gefragt hatte, musste vor Gericht.

Wer aber wie einst Enzo Biagi, der Doyen des italienischen Journalismus, in der staatlichen Rai arbeitet, ist seinen Job schnell los: Auf einer Pressekonferenz in Sofia forderte Berlusconi erfolgreich nebenbei die Demission Biagis, der sich kritisch über den Regierungschef geäußert hatte. Das sei "Regimefernsehen", kommentieren die Buchautoren Gümpel und Pinotti.

Unter Druck stehen auch Nicht-Berlusconi-Blätter wie die Mailänder Zeitung Corriere della Sera. Berlusconi-Biograf Alexander Stille berichtet, wie der Nachfolger seines Vaters Ugo in der Chefredaktion 1993 seinen Job verlor. Die unabhängige journalistische Art missfiel Berlusconi - und die Zeitungseigentümer, Industrielle wie die Agnelli oder Pirelli, wollten es sich mit dem Politiker bei anhängigen Gesetzesvorhaben nicht verderben.

Eines Tages kam Berlusconis Imageberaterin ins Archiv und sortierte alle Fotos aus, auf denen Berlusconi schlecht getroffen war. "Die Berlusconi-Story ist eine der großen politischen Abenteuergeschichten des ausgehenden 20. Jahrhunderts", meint Stille.

Noch Anfang der Neunziger stand sein Medienkonzern Mediaset mit hohen Verlusten und Schulden am Abgrund - nach einem Börsengang aber und der politischen Karriere des Eigentümers laufen die Geschäfte heute besser denn je.

Nicht umsonst habe Berlusconi von einem Komiker den Beinamen "Banana" bekommen, lästert der Schriftsteller und Nobelpreisträger Dario Fo: "Signor Banana, Chef einer Bananenrepublik." Im Italien von heute erhalte der Betrüger "den Applaus der Gaunerschläue".

Der Schatten, der über Europa gefallen ist

Berlusconi, der im Dunstkreis von Mafia und Opus Dei aufgestiegen ist, hat erkannt, dass in der modernen Welt vor allem eins zählt: das durch Massenmedien geprägte Image. "Verstehst Du nicht", sagte er mal seinem Freund Dell'Utri, "das etwas, was nicht im Fernsehen läuft, nicht existiert? Kein Produkt, kein Politiker, keine Idee."

Der TV-Herrscher hat die Erfolgsformeln seiner Fernsehwerber auf die Politik übertragen. Wichtigstes Gebot: "Beruf: Freundschaft" - der Kunde müsse immer ein gutes Gefühl haben.

Die EU-Kommision hat dem Treiben in Italien tatenlos zugeschaut. Es fehlen europaweite Gesetze gegen Medienkonzentration - und Vorkehrungen, dass in einem anderen Land ein neuer Berlusconi entsteht. Neue und komplexe Formen der Manipulation würden "die Demokratie von innen aushöhlen", bilanzieren die Autoren Gümpel und Pinotti.

Es sei aber zu simpel, die neue Elite der Medien-Manipulatoren als "rechts" zu bezeichnen - nein, sie ersetzen die öffentliche Moral einfach durch ihre eigene Norm, und paktieren mit Links und Rechts, so wie es gerade nutzt. Das ist der Schatten, der über Europa gefallen ist.

© SZ vom 21.03.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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