Israel:Offensiver Rückzug

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Vor der angekündigten Räumung des Gaza-Streifens geht die israelische Armee mit aller Gewalt gegen palästinensische Terrorgruppen vor. Bei den schlimmsten Kämpfen seit anderthalb Jahren starben mindestens 20 Palästinenser. Die Hamas - Ziel der Angriffe - hat blutige Vergeltung geschworen.

Von Peter Münch

Der Tag danach gehörte der Rache und der Furcht. Im Gaza-Streifen, wo am Wochenende bei den schlimmsten Kämpfen seit anderthalb Jahren mindestens 20 Palästinenser getötet und mehr als 80 verletzt worden waren, schwor die Hamas bei den Trauerfeiern blutige Vergeltung.

Und in Israel war das Purim-Fest, der jüdische Karneval mit Verkleidungen und Straßenumzügen, überlagert von der Angst vor der nächsten Bombe. Der Kampf um Gaza ist wieder voll entbrannt, am Montag wurde noch ein 15-jähriger Palästinenser erschossen - und das, wo doch Israels Premier Ariel Scharon den seit 1967 besetzten Streifen am Mittelmeer eigentlich gerade abgeschrieben hat.

Scharon hatte als einseitigen Schritt zur Trennung ankündigt, die israelischen Siedlungen im Gaza-Streifen zu räumen, in denen 5000 Juden unter 1,3 Millionen Palästinensern leben.

Voraussichtlich noch in diesem Monat will er sich den spektakulären Plan bei einem Besuch in Washington von US-Präsident George Bush absegnen lassen. Die Bevölkerung unterstützt dieses Vorhaben mit großer Mehrheit. Wenn also Israel den Gaza-Streifen schon aufgegeben hat, woher rührt dann die Motivation zu einem solch massiven Vorgehen?

Die Palästinenser glauben an ein doppeltes Spiel. "In Englisch reden sie vom Rückzug, und in Hebräisch geben sie den Befehl zur Zerstörung des Gaza-Streifens", sagt der palästinensische Chef-Unterhändler Sajeb Erekat.

Mit solchen "Massakern" torpediere Scharon die Friedenspläne und ziele darauf ab, die palästinensische Autonomie-Behörde zu zerstören. Gefordert wird die Stationierung internationaler Friedenstruppen.

Aus israelischer Sicht ergibt jedoch ein rigoroser Kampf auch vor dem Hintergrund des geplanten Abzugs Sinn. Denn zum einen könnte dies die letzte Chance sein, der im Gaza-Streifen gewucherten terroristischen Infrastruktur noch ein paar empfindliche Schläge zu versetzten.

Bürgerkrieg nicht ausgeschlossen

Nach dem Rückzug der Siedler und mit ihnen der Soldaten droht der überbevölkerte und verarmte Landstrich zu einem schwarzen Loch zu werden, in dem ein Bürgerkrieg zwischen der Hamas und der Autonomieregierung von Präsident Jassir Arafat nicht ausgeschlossen wird.

Vor einem solchen Chaos fürchten sich die Israelis - und die angrenzenden Ägypter, weshalb die Regierung in Kairo immer eindringlicher zu einer geordneten Übergabe in Gaza aufruft und das Ansinnen nach Stationierung eigener Truppen weit von sich weist.

Zum zweiten will Israels Armee in Gaza ein Szenario vermeiden, das an den Rückzug aus dem Libanon im Frühjahr 2000 erinnern könnte. Für Israels Regierung war jener Abzug das Eingeständnis einer Niederlage - für die siegesgewohnte Armee eine schwere Schlappe und für die libanesische Hisbollah ein Triumph.

Dies dürfte nicht zuletzt die Palästinenser zu ihrer zweiten Intifada ermutigt haben, die im Herbst darauf ausbrach. Wenn nun die Regierung erneut zu einem Rückzug bläst, wollen Israels Streitkräfte keinesfalls noch einmal geschlagen vom Feld gehen. Stabschef Mosche Yaalon kündigte bereits "weitere offensive Operationen gegen Terroristen" an.

© SZ vom 9.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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