Israel: Hinter der Mauer (3):Krieg an Vaters Grab

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Hebron ist ein heiliger Ort - für Muslime und Juden. Ihre brutalen Kämpfe haben das Zentrum in eine Geisterstadt verwandelt, mit Wachtürmen und Straßensperren - ein Westjordanland im Kleinen.

Steffen Heinzelmann

Der Messias, der wird in Hebron am alten Busbahnhof erwartet. Die Bestimmung ihres Volkes haben jüdische Siedler auf vier Wandbildern an die zugemauerten Einfahrten der Haltstelle gepinselt: Das erste zeigt Erzvater Abraham und die Salbung König Davids, das letzte die umjubelte Ankunft des Erlösers. Bis zu dessen Kommen verbarrikadieren sich die Siedler hier hinter Mauern und Stacheldraht.

Dezember 2008: Ein israelischer Soldat zerrt jüdische Siedler aus einem besetzten Haus in Beit Hashalom. (Foto: Foto: AP)

In Hebron liegt das Grab von Erzvater Abraham, für Muslime und Juden ist sie deshalb eine heilige Stadt. Ihre Fehde hat das frühere Marktviertel in eine Geisterstadt verwandelt. Ausgestorben. Mit Kontrollpunkten, Wachtürmen, Ausgangssperren.

Die Siedler warten auf den Messias. An diesem Tag steigt jedoch Yehuada Shaul, 26, den Weg zur Busstation hinauf. "Verräter, Verräter", schreit ein Kind mit Kippa und Schläfenlocken, die Hände in die Hüfte gestemmt. Sechs Siedlerfamilien wohnen im alten Bahnhof. Einen Teil nutzt die Armee als Stützpunkt, junge Soldaten stehen in der Sonne davor.

Shaul, orthodoxer Jude, die Kippa mit einer Klammer im Haar befestigt, ist hier verhasst. Manchmal greift ihn am Ortseingang die Polizei auf, weil sie Krawalle im Zentrum befürchtet. Diesmal begleitet ein Streifenwagen jeden Schritt von Shaul. Zum Schutz gegen Siedler.

14 Monate war Yehuda Shaul während seines Wehrdiensts bei der israelischen Armee in Hebron. Brutale Monate, zu Zeiten der zweiten Intifada, dem Aufstand der Palästinenser zu Anfang des Jahrtausends.

"Nachts sind wir ins Haus eines Palästinensers eingedrungen, haben die Familien aufgescheucht: die Männer hierhin, die Frauen dorthin, ein bisschen herumballern", erzählt Shaul. "Die Häuser, die haben wir uns nach Lust und Laune ausgesucht." Das sind Geschichten, die Israel nicht gerne hört über seine stolze Armee.

Kühler Wind, verschlossene Läden

Eines Morgens sei er aufgewacht, sagt Shaul, entsetzt über sich und seine Taten in Uniform. Er gründete nach dem Ende des Wehrdienstes mit Kameraden die Organisation Breaking the Silence. Diese dokumentiert Erlebnisse von Soldaten aus ihrer Zeit im Westjordland: Etwa 600 Berichte, von Übergriffen auf Palästinenser, willkürlichen Einschüchterungen.

Das Hebron, dass Yehuda Shaul vor fünf Jahren kennenlernte, sah ganz anders aus. Ein Markt belebte das Zentrum, an ihren Ständen priesen die Händler lauthals Obst, Fleisch und Gemüse an. Jetzt bläst ein kühler Wind durch das leere Viertel. Die eisernen Tore der Läden sind verschlossen, Palästinenser dürfen nicht auf die Straße.

Ein israelischer Kontrollpunkt überwacht den Eingang zu dem Viertel. "Sogar Soldaten gehen dort nicht allein hinein", sagt Shaul. Er selbst lässt immer wieder den Blick über Häuser wandern, sucht Schutz unter den Vordächern der Läden. Oft ist er schon von den Siedlern der nahen jüdischen Siedlung Avraham Avina mit Steinen beworfen worden.

800 Siedler leben in Hebron, zwischen 160.000 Palästinensern. Wegen der Auseinandersetzungen ist die Stadt seit 1997 zweigeteilt. Der östliche Teil, H2 genannt, wird von Israel verwaltet. Dort liegen die jüdischen Siedlungen, dort dürfen Palästinenser manche Straßen nicht betreten.

An der Al-Shuhada-Straße gleich neben dem früheren Fleischmarkt versiegelten israelische Sicherheitskräfte eine zeitlang die Eingänge zu Häusern palästinensischer Familien, hinaus kamen diese nur über das Dach und dann mit Leitern in die Altstadt hinunter. Wie Drahtkäfige wirken die Balkone der Häuser, gesichert mit Gittern gegen Steine und faule Eier, wie sie Siedlerkinder werfen.

Auf Seite zwei: Hebron, eine Geschichte des Hasses

Der Hass in Hebron hat Geschichte. Das Massaker von 1929, als bei Ausschreitungen Palästinenser 67 Juden töteten und die Gemeinde in die Flucht schlug. Das Massaker von 1994, als der fundamentalistische Siedler Baruch Golstein mit einem Gewehr zum Morgengebet in die Abraham-Moschee eindrang und 29 Muslime tötete.

Das Westjordanland und Hebron: zum Vergrößern bitte hier klicken. (Foto: Grafik: SZ)

Erst Anfang Dezember räumten Sicherheitskräfte ein von 200 Siedlern besetztes Haus in Beit Hashalom. Auf Rachefeldzug zündeten die extremistischen Israelis Häuser von Palästinensern an, wüteten durch deren Viertel. Israels Ministerpräsident Ehud Olmert nannte die Übergriffe ein "Pogrom" an den Palästinensern.

Leben unter widrigen Umständen

Über Angriffe aus der Nachbarschaft klagt auch Haschim Azzeh. Er wohnt an einem der Hügel mitten in der Stadt. Über seinem Haus stehen Wohncontainer, die jüdische Siedlung Tel Rumeida mit 16 Familien. Der Garten hinter dem kleinen Haus von Azzeh ist voller Müll.

Plastiktüten liegen in den Büschen, leere Flaschen, Glasscherben. Der Abfall der Nachbarn. "Einmal haben sie versucht, mein Haus anzuzünden", sagt Azzeh, 46. Die Stromleitung haben sie gekappt, seine Olivenbäume und Weinstöcke abgeholzt.

Nur noch 50 palästinensische Familien leben hier im Viertel, sagt Azzeh, früher waren es 350. "Ich bleibe hier, weil die Wurzeln meiner Familie hier sind", sagt Azzeh. Obwohl er von der Unterstützung des Roten Kreuzes lebt, obwohl seine Kinder auf dem Schulweg von Siedlern angespuckt, angegriffen werden.

Das Häuschen verkaufen will Azzeh nicht, obwohl ihm die Siedler Geld geboten haben; 20.000, 30.000 Dollar. Nein, er bleibe standhaft, sagt Azzeh, in seinem Wohnzimmer. Und wer hier verkauft, gerät in Lebensgefahr. "Wenn ich an Siedler verkaufe, dann bin ich für Palästinenser ein Verräter", sagt Azzeh. "Dann bin ich Geschichte."

Auf der Straße unterhalb von Azzehs Haus dürfen nur Israelis Auto fahren. Sogar für palästinensische Ambulanzen ist der Weg in H2 versperrt. Wenn Kranke über den Kontrollpunkt an der Tarpat-Kreuzung vom H2-Gebiet in ein palästinensisches Krankenhaus im H1-Gebiet gebracht werden sollen, müssen die Transporte Tage vorher angekündigt werden. Bei Notfällen bleibt nur der Weg außen um die Stadt, auf den Schultern von Freunden und Familien.

Andere seien nach dem Wehrdienst in Ferne gegangen, um zu vergessen und andere Länder zu erleben, sagt Yehuda Shaul, nach Lateinamerika, Asien, Afrika. Shaul musste nicht weit reisen, um eines zu lernen. "Apartheid", sagt er, "Apartheid, die habe ich hier kennengelernt."

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