Ismail Hanija:Hamas-Führer mit Auftrag zur Regierungsbildung

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Wer sich die Mühe machen will, jenseits von Schlagworten nach Gründen dafür zu suchen, warum jemand sich zu einer radikal-islamischen Partei hingezogen fühlen kann, der muss nur die Biografie von Ismail Hanija studieren.

Heiko Flottau

Das tun jetzt viele, denn nach dem Wahlsieg der Hamas wurde Hanija nun von Machmud Abbas, dem Vorsitzenden der "Palästinensischen Autonomiebehörde", mit der Regierungsbildung beauftragt.

Auf die Ankündigung Israels, den Palästinensern deshalb die ihnen zustehenden Einkünfte aus Steuern und Zöllen vorzuenthalten, reagierte der künftige Regierungschef gelassen; eine Hamas-Delegation suche bereits in Iran nach neuen Geldquellen, sagte er.

Es ist eine notgedrungene Alternative, und so wie jetzt an die Seite Irans wurde Ismail Hanija sein Leben lang dorthin gestoßen, wo ihn weder israelische noch andere westliche Politiker sehen wollen.

Hanija bezeichnet sich als Flüchtling. Im ersten Nahostkrieg, den die Israelis Befreiungskrieg nennen, flohen Hanijas Eltern 1948 vor der israelischen Armee aus der ursprünglich arabischen Stadt Askalon, die aber heute Israel gehört, in das Shati-Flüchtlingslager bei Gaza-Stadt.

Dort wurde Hanija 1962 geboren. Er studierte arabische Literatur an der Islamischen Universität in Gaza und beendete sein Studium 1987, dem palästinensischen Schicksalsjahr.

Es war das Jahr, als die erste Intifada ausbrach und sich die Hamas, die "Islamische Widerstandsbewegung", allmählich zu formieren begann. Unterstützung für die Hamas kam zunächst von unerwarteter Seite, von Israel, das ein Gegengewicht zu Jassir Arafats steinewerfenden Anhängern suchte.

Doch auch der junge Hamas-Mann Hanija demonstrierte gegen die Besatzungsmacht und wurde deshalb mehrmals von Israel inhaftiert. Mit etwa 400 anderen Aufständischen, unter ihnen viele Mitglieder von Arafats Fatah, wurde Hanija 1992 von Israels Ministerpräsident Jitzchak Rabin in den damals von Israel besetzten Südlibanon deportiert und dort mehr als ein Jahr lang festgesetzt.

Nach seiner Rückkehr wurde Hanija 1993 Dekan der Islamischen Universität. 1997 ordnete Israels Premier Benjamin Netanjahu ein Attentat auf den in Jordanien weilenden Hamas-Politiker Khaled Meschal an.

Der Anschlag missglückte, und König Hussein verlangte von Israel als Wiedergutmachung für die Missachtung der jordanischen Souveränität, den obersten Hamasführer Scheich Jassin freizulassen. Jassin machte Hanija zu seinem Büroleiter in Gaza.

2003 wurde der Hamasführer bei einem israelischen Attentatsversuch leicht verletzt, ein Jahr später aber gelang es den Israelis doch, Jassin zu töten. Hanija und der Arzt Machmud Zahar wurden daraufhin zu Führern der Hamas in Gaza.

Heute lebt Hanija noch immer im Flüchtlingslager Shati. Er ist verheiratet und hat zwölf Kinder. Manchen Quellen zufolge wirkte Hanija an der Vorbereitung von Anschlägen in Israel mit, doch auch Arafat hatte einst Israel bekämpft und wurde dennoch für Israel zu einem Verhandlungspartner.

Ismail Hanija sagt, auch er könne sich vorstellen, mit Israel zu sprechen, wenn solche Zusammenkünfte "den Interessen der Palästinenser" dienten.

© SZ vom 21.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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