Islamistenführer Metin Kaplan verschwunden:"Handwerklich eine glatte Sechs"

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Für Sicherheitsexperten ist das Verhalten der Kölner Polizei eine politische und berufliche Blamage. Derzeit können die Behörden nicht einmal sagen, ob der gesuchte Extremist noch in der Stadt ist.

Von Annette Ramelsberger und Hans-Jörg Heims

Er hätte ihnen zuwinken können. Noch eben mal "Auf Wiedersehen" rüberrufen, bevor er verschwand. So nah waren sich der Extremist und die Staatsmacht. Deutschlands bekanntester Islamist, der selbst ernannte "Kalif von Köln" Metin Kaplan, wohnt gleich vis-a-vis des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln.

Und unter den Augen der Beamten verschwand er nun auch. Seitdem ist der Mann weg, den Bundesinnenminister Otto Schily dringend in die Türkei abschieben will. Mehr als 100 Polizisten suchen nach ihm. In einem Krankenhaus und einer Kölner Moschee schauten sie nach; europaweit ist er zur Fahndung ausgeschrieben. Und trotzdem weiß niemand, ob Kaplan nicht immer noch im gleichen Haus sitzt.

Krank im Bett

Wenn die Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Kölner Stadtteil Chorweiler aus dem Fenster blicken, schauen sie auf eine Reihe von Hochhäusern. Im fünften Stock des Hauses Osloer Straße 2 wohnte bisher Metin Kaplan.

Es gibt, so frotzelte man beim Verfassungsschutz oft, ganz vorsichtige Beamte, die abends die roten Jalousien herunterließen, damit ihnen Kaplan nicht am Ende noch auf den Schreibtisch gucken konnte. Denn Kaplan war gern zuhause. Höchstens, dass er mal den Sohn besuchte oder die zwei erwachsenen Töchter.

Am Montagabend hatte ein Mitarbeiter des Landgerichts noch nach ihm gesehen, weil er nicht auf der Polizeiwache in Köln-Chorweiler erschienen war, wo er sich jeden Montag melden muss. Die Beamten hatten ein ordentliches Attest von Kaplan bekommen und fanden ihn wirklich krank zuhause vor.

Freundlich, unauffällig, vorbildlich

Auch seine Anwältin Inge Naumann, die ihn am Dienstag besuchte, sah einen schwerkranken Mann, der in einem Bett im Wohnzimmer lag. So krank war er, dass seine Anwältin dem Oberverwaltungsgericht in Münster am Mittwoch noch ein Attest vorlegte, wonach Kaplan nicht reisefähig war.

Der Mann galt als "unauffällig"; seinen Auflagen kam er geradezu vorbildlich nach. Der freundliche Herr mit dem weißen Turban, der vier Jahre wegen eines Mordaufrufs im Gefängnis gesessen hatte, wirkte im Alltag des Arbeitervororts Chorweiler so gar nicht gefährlich.

Sein Verein, der Kalifatsstaat, war von Schily Ende 2001 verboten worden. Doch noch im vergangenen Dezember waren die Anhänger des Kalifen so aktiv, dass Schily eine bundesweite Razzia befahl. 5500 Beamte waren im Einsatz, Hunderte von Wohnungen der islamistischen Gemeinde wurden durchsucht.

"Wir waren ganz gut präpariert"

Doch der "Kalif" selbst war still. Er wollte ja in Deutschland bleiben und kämpfte vor Gericht darum, nicht in die Türkei abgeschoben zu werden. Mehrere Male bekam Kaplan Recht - ihm drohe in der Türkei ein Verfahren, das rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht genüge, urteilten die Richter.

Doch am Mittwochabend erklärte das Oberverwaltungsgericht Münster, Kaplan könne in die Türkei abgeschoben werden - ließ allerdings eine Revision zu. Trotzdem wurde die Kölner Ausländerbehörde aktiv. "Wir waren ganz gut präpariert", lobte sich eine Stadtsprecherin.

Im Gerichtssaal in Münster übergab ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde Kaplans Anwältin eine Ordnungsverfügung. Darin wurde ihr Mandant aufgefordert, die Bundesrepublik bis zum 2. Juni zu verlassen, andernfalls werde Kaplan abgeschoben. Zur gleichen Zeit beantragte die Stadt beim Amtsgericht Köln einen Abschiebehaftbefehl, den ein Amtsrichter um 18.25 Uhr erließ.

20 Minuten später klingelte die Polizei an Kaplans Wohnungstür, um den Kalifen festzunehmen: Doch außer einigen Familienmitgliedern trafen die Beamten niemanden an. Wo Kaplan war, sagte keiner. Polizeibeamte hatten verdeckt seit 8.15 Uhr das Haus beobachtet - auch sie waren ratlos.

Lückenlose Überwachung unmöglich

Ob der Verfassungsschutz mehr weiß, der seit Wochen Kaplan im Visier hatte, ist ungewiss. Ein paar Autokennzeichen sollen nach Angaben von Kölns Polizeipräsident Klaus Steffenhagen von einer Sicherheitsbehörde zu anderen gelangt sein - mehr nicht.

Andererseits - eine lückenlose Überwachung wäre rechtlich und technisch nicht möglich. Um einen Verdächtigen 24 Stunden am Tag nicht aus den Augen zu lassen, sind 30 bis 40 Polizisten nötig. Allein die Wohnung von Kaplan wäre nur mit intensivem Einsatz von Beamten zu observieren gewesen: die Tiefgarage im Haus ist von mehreren Häusern aus betretbar.

Es bräuchte nur ein Sympathisant des Kalifen seinen Wagen zur Verfügung stellen, und schon könnte Kaplan im Kofferraum die Tiefgarage verlassen. Die Polizei kann nicht ständig Hunderte von Autos kontrollieren, nur weil sie aus der Tiefgarage kommen, die zu Kaplans Haus gehört.

"Vielleicht ist er ja nur zum Kaffee trinken gegangen"

Selbst wenn Kaplan nur ein Restaurant besucht, müssten Beamte dort sein. Geht er auf die Toilette, wäre es möglich, dass es dort einen Hinterausgang gibt. Dahinter könnte ein Freund Kaplans mit dem Auto warten und ihn wegbringen. Also müssten auch dort wieder Beamte stehen.

Sicherheitsexperten schließen nicht einmal aus, dass Kaplan noch in Köln ist. Dass er, wie einer sagt, "vielleicht nur zum Nachbarn Kaffee trinken gegangen ist". Aber die Polizei hat nicht die Möglichkeit, die 260 Wohnungen des Wohnblocks einfach auf Verdacht zu durchsuchen.

Denkbar ist auch, dass er bereits über die Grenze nach Holland geflüchtet ist. Dort hat der seit Herbst 2001 verbotene Kalifatsstaat Kaplans noch immer Logistik und Stützpunkte. Dort wird auch ein Vereinsblatt gedruckt, das bis in den Winter an Hunderte Abonnenten in Deutschland geschickt wurde.

Wütender Innenminister

So schwer die Überwachung ist, so peinlich ist das Verschwinden dennoch für die Behörden. Selbst Polizisten können sich da nicht mehr vornehm zurückhalten. Klaus Jansen, der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, hat selbst lange beim Bundeskriminalamt in der Zielfahndung gearbeitet.

"Wenn so ein Urteil ansteht, dann macht man doch die letzten drei Tage eine ganz enge Führung. Dann wird so ein Mann observiert mit Mann und Maus", sagt Jansen. Für ihn ist das, was in Köln passiert ist, "eine politische und polizeiliche Blamage, handwerklich eine glatte 6." Und er hält es für unfassbar, dass nun angeblich keiner einen Fehler gemacht hat.

Jansen will einen Untersuchungsausschuss. Dazu wird es vermutlich nicht kommen. Obwohl einer sicher große Lust hätte, es den Verantwortlichen am Rhein ordentlich zu geben: Bundesinnenminister Otto Schily. Der sah sich nach dem Urteil von Münster endlich auf der Siegerstraße, wollte am Donnerstag morgen in der Fraktion den Kompromiss über das Zuwanderungsgesetz vorstellen. Nun darf er sich den Spott aus der Türkei über das wunderbare Sicherheitssystem in Deutschland anhören.

© SZ vom 28.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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