IS-Terror und Flüchtlingskrise:Merkel: Wir schaffen das - trotz allem

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Mit einem Neun-Punkte-Plan will die Kanzlerin verhindern, dass Bürger das Gefühl von Sicherheit verlieren.

Von Stefan Braun und wolfgang Wittl, Berlin/München

Trotz spürbarer Verunsicherung in der Bevölkerung nach den jüngsten Terroranschlägen will sich Bundeskanzlerin Angela Merkel von ihrem Kurs in der Flüchtlingspolitik nicht abbringen lassen. Elf Monate nach ihrem denkwürdigen Satz "Wir schaffen das" wiederholte sie am Donnerstag in Berlin ihre Überzeugung, dass Deutschland auch jetzt - trotz der dramatischen Herausforderungen durch den Terrorismus - stark genug sei, um "diese historische Bewährungsaufgabe" zu meistern. "Ich bin heute wie damals davon überzeugt, dass wir es schaffen", sagte Merkel. "Wir haben im Übrigen in den letzten elf Monaten sehr, sehr viel bereits geschafft."

In diesem Zusammenhang verwahrte sie sich auch gegen den Vorwurf, sie trage eine Mitschuld an der Gewalt, weil durch ihre Flüchtlingspolitik auch Terroristen ins Land gekommen seien.

"Ich kann sagen: Nein!", erwiderte sie auf eine entsprechende Frage. Mit ihrem Auftritt vor der Hauptstadtpresse, den sie ursprünglich erst für Ende August geplant hatte, wollte die Kanzlerin offenkundig dem Eindruck entgegentreten, sie nehme die Folgen der Terroranschläge in Würzburg und Ansbach nicht ernst genug. Merkel gab zu, dass die Anschläge der jüngsten Zeit eine "schlimme Verunsicherung" in der Gesellschaft ausgelöst hätten. Mit den beiden Attacken sei der Terrorismus endgültig in Deutschland angekommen: "Wir haben das jetzt mit großer Wucht gesehen." Dass zwei Männer, die als Flüchtlinge ins Land kamen, für die Taten von Würzburg und Ansbach verantwortlich seien, verhöhne nicht nur das Land, das sie aufgenommen habe. "Es verhöhnt die Helfer, die Ehrenamtlichen, die sich so sehr um die Flüchtlinge kümmern. Und es verhöhnt die vielen anderen Flüchtlinge, die wirklich Hilfe vor Gewalt und Krieg bei uns suchen", sagte Merkel.

Mit den Gewalttaten seien "zivilisatorische Tabus gebrochen" worden. Sie seien an Orten verübt worden, "wo jeder von uns sein könnte". Gleichwohl solle sich Deutschland nicht aus der Ruhe bringen lassen. "Meine tiefe Überzeugung ist: Wir dürfen uns und die Art, wie wir leben, nicht kaputt machen lassen", betonte die Kanzlerin. Umso mehr müsse der Staat nun seiner Aufgabe gerecht werden, "das weitestgehende Vertrauen wiederherzustellen". Merkel versprach, dass Regierung und Sicherheitsbehörden alles tun würden, um die Anschläge aufzuklären. Und sie würden genauestens prüfen, ob zusätzliche Maßnahmen notwendig sein könnten. "Das sind wir uns allen schuldig, und das sind wir den vielen unschuldigen Flüchtlingen schuldig", sagte die Bundeskanzlerin.

Um zu zeigen, dass die Regierung die neue Lage ernst nimmt, präsentierte sie einen Neun-Punkte-Plan. Nicht alles darin ist neu, gleichwohl soll er der Bevölkerung zeigen, dass die Regierung der Bedrohung "entschlossen entgegentreten" möchte, wie die Kanzlerin versicherte. Polizei und Sicherheitsbehörden sollen mehr Personal und, wenn nötig, auch zusätzliche technische Ausstattung erhalten. Die Polizei von Bund und Ländern soll zudem schon bald mit der Bundeswehr eine Zusammenarbeit bei besonderes schweren Terrorlagen üben. Und in der EU sollen Dateien besser vernetzt und ein bereits verhandeltes Ein- und Ausreiseregister in der Europäischen Union schnell umgesetzt werden. "Ich glaube, dass wir uns in einem Krieg gegen den IS befinden", sagte Merkel. Allerdings mühte sich die Kanzlerin, den Blick nicht nur auf eine Stärkung der Sicherheitsbehörden zu lenken. Auch Prävention sei wichtig - und dazu ein "besseres Frühwarnsystem", mit dem Flüchtlinge, Ehrenamtliche, Behörden und Polizei schneller auf Radikalisierungen bei Flüchtlingen oder Jugendlichen im Land aufmerksam würden. "Was mir wichtig ist: Wir befinden uns in keinem Krieg und keinem Kampf gegen den Islam", so Merkel. Trotz des brutalen Vorgehens der türkischen Führung gegen alle Kritiker im Land will die Kanzlerin bei der Kooperation in Flüchtlingsfragen keine Absprache machen. Die Ereignisse dort seien zwar "besorgniserregend". Deshalb sehe sie auch keine Möglichkeit, derzeit ein weiteres Kapitel der EU-Beitrittsverhandlungen zu eröffnen. Aber im Kampf gegen den Terror sei das Land ein wichtiger Partner; und bei der Aufnahme von Millionen Flüchtlingen leiste das Land Beachtliches.

Von Bayerns Staatsregierung gab es zunächst keine Reaktion auf Merkels Auftritt. Sie hatte aber nach ihrer Kabinettsklausur massive Sicherheitsmaßnahmen angekündigt. In den nächsten vier Jahren will der Freistaat allein mehr als 2000 zusätzliche Polizisten ausbilden. Im Bund will die CSU mehrere Gesetzesverschärfungen durchsetzen.

© SZ vom 29.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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