Irak:Zerstört von Kriegen und Sanktionen

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Das verarmte Land braucht fremde Hilfe für die notwendigen Investitionen in einen Neuanfang.

(SZ vom 23.10.2003) - Eigentlich ist die Geberkonferenz für den Irak überflüssig. Diesen Eindruck muss man zumindest gewinnen, wenn man auf der Internet-Seite der staatlichen amerikanischen Hilfsorganisation USAID nachliest: Dank des Engagements von US-Präsident George W. Bush ist die Sicherheitslage unter Kontrolle, Schulen und Krankenhäuser arbeiten wieder, Strom und Wasser fließen - so lautet die frohe Botschaft.

Doch ein halbes Jahr nach dem offiziellen Ende der Kämpfe sieht die Realität anders aus im Irak . UN und Weltbank haben ausgerechnet, dass rund 56 Milliarden Dollar benötigt werden, um den Wiederaufbau voranzubringen.

Chris Patten, EU-Kommissar für Außenpolitik, will bis Ende 2004 aus dem Brüsseler Haushalt zwar nur 200 Millionen Euro bereit stellen. Aber weil das Gros der Wiederaufbauhilfe aus den 15 nationalen Hauptstädten fließen werde, erwartet der Brite am Ende der Geberkonferenz einen europäischen Gesamtbeitrag "von mindestens 1,4 Milliarden Euro". Diese stolze Summe ergebe sich, so Patten zur Süddeutschen Zeitung, wenn man auch die humanitäre Hilfe mitzähle.

Stromproduktion auf Vorkriegsniveau

Der Irak hat das Geld bitter nötig. Nach drei Kriegen und Jahrzehnten von Unterdrückung und UN-Sanktionen fehlen jetzt die Grundlagen für eine schnelle Erholung. Die Infrastruktur ist zerstört, die Kraftwerke sind völlig veraltet, Wasserleitungen sind marode. Das Stromnetz weist noch Schäden aus dem Golfkrieg von 1991 auf. Weltbank und Vereinte Nationen rechnen damit, dass allein die Reparatur des Stromnetzes zwölf Milliarden Dollar verschlingen wird.

Zwar freuen sich viele Bewohner in den Städten darüber, dass der Strom nicht mehr so häufig ausfällt und das Wasser wieder fließt. Doch das kann nicht über die Tatsache hinweg täuschen, dass die Stromproduktion mit 4300 Megawatt gerade mal Vorkriegsniveau erreicht hat. Auch sind auf dem Land nur noch 46 Prozent der Bevölkerung an die Wasserversorgung angeschlossen; vor 1990 waren es 75 Prozent.

Hilfsorganisationen im Irak attestieren den Besatzern zwar, Notreparaturen vorgenommen zu haben, doch die großen Investitionen lassen auf sich warten. Dabei hat allein die Organisation USAID bisher Aufträge im Wert von zwei Milliarden Dollar vergeben. Weitere zwei Milliarden haben die UN bisher für ihre Hilfsprogramme gesammelt.

Auch die US-Zivilverwaltung (CPA), welche die Milliarden aus den Öl-Verkäufen verwaltet, muss sich beeilen, wenn die Bevölkerung nicht ungeduldig werden soll. Ein US-Offizier begründet die CPA-Praxis, Firmen nur drei Tage Zeit zu geben, um ein Angebot für einen Auftrag abzugeben: "Wir müssen dem Kunden helfen, und der hat dringende Bedürfnisse."

Um möglichst schnell Investitionen zu ermöglichen, schuf die CPA im Irak eine Freihandelszone. Bis Ende des Jahres werden keinerlei Zölle erhoben. Von 2004 an gilt ein Einheitssatz von fünf Prozent, die Einkommen- und Unternehmensteuer für Investoren wurde auf 15 Prozent festgelegt. Zudem können ausländische Investoren irakische Firmen aufkaufen; ausgenommen ist nur der Rohstoffsektor. Geplant ist auch die Privatisierung Dutzender Staatsunternehmen.

"Geld ist feige"

Mit 112 Milliarden Barrel hat der Irak die zweitgrößten Ölreserven der Welt und damit das größte Entwicklungspotenzial im Nahen Osten. Allerdings sind Investitionen von acht Milliarden Dollar nötig, ehe das Öl wieder sprudelt. Derzeit ist die Fördermenge weit von den drei Millionen Barrel pro Tag entfernt, welche die US-Regierung prognostiziert hat. Viele warnen davor, sich allein auf Öl zu verlassen und andere Bereiche zu vernachlässigen. "Das Öl bringt Geld, doch Landwirtschaft und heimische Industrie werden die Iraker ernähren", schrieb der Ökonom Sharif Ghalib im Energy Compass.

In ihrer Bedarfsanalyse geben Weltbank und UN zu bedenken, dass ein Erfolg des Wiederaufbaus nicht allein eine Frage des Geldes sei. Vieles hänge von der Fähigkeit ab, Investitionsprogramme zu entwickeln und umzusetzen - und natürlich nicht zuletzt von der Sicherheitslage. US-Soldaten sehen sich täglich mehr als einem Dutzend Übergriffen ausgesetzt. "Geld ist feige", bemerkte Amerikas Finanzminister John Snow trefflich. "Es meidet Orte, an denen es sich bedroht fühlt."

© Von Clemens Markus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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