Irak nach der Wahl:Neuland im Zweistromland

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Die Zerrissenheit des Irak spiegelt sich im Parlament wider - die Parteien müssen nun zu Kompromissen fähig sein.

Von Peter Münch

Die Stimmen sind gezählt, die Sitze verteilt, nun kann die Arbeit beginnen im neuen irakischen Parlament. Diese Arbeit wird - das ist Neuland im Zweistromland - von Kompromissen geprägt sein müssen.

Ein irakischer Mann liest eine Zeitung mit Wahlergebnissen, darüber ein Bild von Saddam Hussein (Foto: Foto: dpa)

Denn die Verteilung der 275 Mandate im Nationalrat spiegelt die Zerrissenheit des Landes wider: Deutlich werden zum einen die ethnischen Bruchlinien. Quer dazu jedoch stehen sich im Parlament zwei etwa gleich große Gruppen gegenüber, die um die Ausrichtung des Staates kämpfen werden: islamisch geprägt oder säkular. Bei der anstehenden Verteilung der Posten wird sich zeigen, ob die Kontrahenten zu ausgewogenen Bündnissen fähig sind.

Die Schiiten werden den Posten des Regierungschefs für sich beanspruchen. Der bisherige Übergangspremier Ijad Allawi, dessen säkulare Liste nur auf den dritten Platz kam, wird höchstens als hinterer Kompromisskandidat gehandelt. Für die mit ihm seit Londoner Exiltagen verbundenen Amerikaner, in deren Windschatten sich Allawi als starker Mann zu profilieren versuchte, ist dies ein Rückschlag.

Im Rampenlicht nach der Ermordung seines Bruders

Denn sie werden es voraussichtlich mit einem Regierungschef aus der Vereinigten Irakischen Allianz zu tun bekommen. Mit rund 48 Prozent der Stimmen hält sie die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament.

Hinter diesem heterogenen Bündnis steht als graue Eminenz der 74 Jahre alte Großayatollah Ali al-Sistani, der von der Heiligen Stadt Nadschaf aus die Fäden zieht. Dem weißbärtigen Sistani, einem iranischer Staatsbürger, ist als höchste religiöse Autorität der irakischen Schiiten enorme politische Macht zugewachsen. Er selbst hat zwar immer für eine Trennung von Religion und Staat plädiert, zugleich jedoch hat er klar gemacht, dass kein Gesetz dem Islam zuwiderlaufen dürfe.

Auf dieser Linie, die zumindest Berührungspunkte mit dem iranischen Gottesstaat aufweist, bewegt sich auch der Spitzenkandidat der Allianz, Abdel Asis al-Hakim. Als Chef des Obersten Rats der islamischen Revolution im Irak (Sciri) steht der Turbanträger für einen Spitzenposten bereit.

Al-Hakim, Spross einer hochmögenden Kleriker-Familie, rückte ins Rampenlicht, nachdem sein Bruder, Ayatollah Mohammed Bakr al-Hakim, im Sommer 2003 bei einem Anschlag getötet wurde. Zuvor schon hatte er während zweier prägender Exil-Jahrzehnte in Iran die schlagkräftige Badr-Miliz der Sciri kommandiert.

Aus den eigenen Reihen erwächst ihm Konkurrenz vom bisherigen Finanzminister Adel Abdul Mahdi. Westlich gekleidet, als Ökonom ausgebildet und aus dem französischen Exil kommend, repräsentiert er eine eher weltliche Linie. Der Lebenslauf des 62-Jährigen ist voller Wirrungen und Wendungen. Er war Baathist und Kommunist, bis er schließlich bei den Islamisten landete.

Kurden melden Anspruch auf das Präsidentenamt an

Aus der zeitweiligen Versenkung aufgetaucht ist jedoch mit der Vereinigten Irakischen Allianz auch eine der schillerndsten Figuren des neuen Irak: Achmed Tschalabi, der vom Londoner Exil aus als Protegé des Pentagon Amerikaner und Briten mit falschen Informationen für den Krieg fütterte.

Der weltgewandte Schiit hat ebenfalls Ambitionen auf das Amt des Regierungschefs. Dabei stand der 59-Jährige vor kurzem noch mit einem Bein im Gefängnis. Nachdem die Amerikaner ihn fallen gelassen hatten, weil er angeblich parallel mit Iran zusammengearbeitet hatte, wurde ihm ein riesiger Finanzskandal beim Umtausch der irakischen Währung angehängt. Im Nachbarstaat Jordanien droht ihm immer noch Gefängnis wegen eines betrügerischen Bankrotts.

Doch auch die als zweitstärkste Kraft in der Allianz vertretene Islamische Dawa-Partei wird für ihren Führer Ibrahim Dschaafari einen herausgehobenen Posten reklamieren. Bislang amtiert der 54 Jahre alte ausgebildete Arzt als einer von zwei Vize-Präsidenten. Er hat zugesagt, auch Sunniten, die im Parlament wegen des Wahlboykotts kaum vertreten sind, an der Macht zu beteiligen.

Am exponiertesten ist dafür der bisherige Übergangspräsident Scheich Ghasi el-Jawar, der mit seiner Liste fünf Nationalratssitze gewann. Als Führer des weit verzweigten Schammar-Stammes könnte er zumindest versuchen, einen Teil der früher dominierenden Volksgruppe einzubinden. Der Mittvierziger gilt als moderater Sunnit, der ausgewogen in Saudi-Arabien und in den USA studiert hatte.

Auf das Präsidentenamt haben jedoch angesichts ihres Wahlerfolges nun die Kurden Anspruch angemeldet. Für sie könnte der diplomatisch geschickte 59 Jahre alte Dschalal Talabani ins formell höchste Staatsamt einziehen.

© SZ vom 15.02.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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