Irak:Feuer frei nach kurzer Warnung

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Der Beschuss des Wagens, in dem die Journalistin Giuliana Sgrena und ihre Befreier unterwegs waren, ist offenbar nur ein Vorfall unter vielen. An amerikanischen Checkpoints im Irak fallen immer wieder Schüsse.

Wie US-Zeitungen berichten, haben US-Soldaten an den Kontrollpunkten seit eineinhalb Jahren auf etliche Autos geschossen - um danach feststellen zu müssen, dass es sich nicht um Selbstmordattentäter oder Angreifer gehandelt hatte, sondern um harmlose Zivilisten.

Gleich nach dem Folter-Skandal um Abu Ghraib erregt nichts so sehr den Zorn der Iraker wie das aggressive Verhalten der US-Soldaten, schreibt die New York Times.

Selbst nach Angaben von US-Beamten, so berichtet die Washington Post, ist es geradezu eine übliche Praxis, an den Checkpoints auf schnell heranfahrende Autos zu schießen.

Offizielle Stellungnahmen gibt es kaum, doch Dokumente der Armee über die 3rd Infantry Division belegen, dass immer wieder Autos mit unbewaffneten Männern, Frauen und Kindern aus unbekannten Gründen Warnungen der Soldaten ignorierten und die Insassen daraufhin erschossen wurden.

Die Armee untersuchte einige dieser Vorfälle und kam zu dem Schluss, dass ein Fehlverhalten der Soldaten nicht bewiesen werden konnte.

"Wenn eine Person sich einem Checkpoint nähert" und beschossen wird, erklärte ein hochrangiger Angehöriger der Armee der Post, "dann ist das eine Kampfhandlung der US-Streitkräfte".

Die Soldaten können deshalb von zivilen Gerichten auch nicht für die Tötung von Zivilpersonen belangt werden, wenn sie das Feuer aufgrund einer Fehleinschätzungen eröffnen - sie besitzen Immunität.

Im Gegenteil wird das Feuern auf schnelle Autos an den Checkpoints als angemessene Vorsichtsmaßnahme betrachtet in einer Zeit, in der täglich Soldaten bei Selbstmordanschlägen sterben.

Menschenrechtsgruppen haben die Regeln, nach denen das US-Militär im Irak vorgeht, heftig kritisiert. Durch sie werden Zivilisten gefährdet - was offensichtlich ist - und erlauben weitgehende und undifferenzierte Anwendung von tödlicher Gewalt selbst dann, wenn das Leben der Soldaten nicht eindeutig bedroht ist.

Iraker werden häufig im Unklaren gelassen

So berichten laut New York Times auch viele Menschen aus dem Westen, die im Irak arbeiten, von häufigen Todesfällen unter Zivilisten - unter Umständen, die die irakische Bevölkerung völlig im Unklaren lassen darüber, was sie eigentlich falsch gemacht haben.

Auch hätten viele Iraker die Erfahrung gemacht, dass immer wieder ohne Warnung geschossen wird. Und allein seit Dezember, so die Times, wurden in der Region um den Flughafen Autos mit Arbeitern aus dem Westen sechsmal von US-Soldaten beschossen.

Im Fall Sgrena hat das US-Militär bislang kein Fehlverhalten der eigenen Soldaten zugegeben. Das Auto, in dem die italienische Journalistin in Begleitung des Geheimdienstoffizier Nicola Calipari zum Flughafen von Bagdad gefahren wurde, habe sich selbst für irakische Verhältnisse durch ein heikles Gebiet bewegt, hieß es aus Militärkreisen. Gerade entlang dieser Straße kommt es regelmäßig zu Angriffen und Anschlägen auf die US-Soldatden.

Am Freitag, so berichtet die Washington Post, hatte die Armee einen improvisierten Checkpoint eingerichtet, gerade weil ein hochrangiger Offizieller am Flughafen erwartet wurde. Offenbar gab es jedoch keine Koordination zwischen den Rettern der italienischen Journalistin und den Soldaten am Checkpoint.

Diese gaben nach eigenen Angaben Licht- und Handsignale und feuerten Warnschüsse in die Luft. Erst danach hätten sie auf das Auto geschossen, das weit schneller als mit der üblichen Geschwindigkeit gefahren sei, so die Post.

Sgrena allerdings hat dieser Darstellung bereits vehement widersprochen. Weder sei das Auto sehr schnell gefahren, noch gab es eine Chance, auf die Lichtsignale zu reagieren. Direkt nach dem Anschalten eines Scheinwerfers sei geschossen worden.

Inzwischen hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch Auszüge aus einer Armee-Studie veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass das Militär selbst viele der Soldaten an den Checkpoints als untrainiert und unvorbereitet beschrieben.

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