Irak:Die Taliban von Falludscha

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Monatelang haben Widerstandskämpfer die Stadt Falludscha beheerscht - und dort einen islamischen Gottesstaat errichtet. Die Einwohner sind erleichtert, dem brutalen Diktat der Mudschahedin entronnen zu sein. Doch die Amerikaner verfluchen sie auch.

Seit ihrem Einmarsch in Falludscha stoßen die US-Soldaten bei ihren Durchsuchungen auf improvisierte Folterkeller, blutige Gefängniszellen, verstümmelte Leichen. Die Mauern der Stadt sind gepflastert mit Aushängen, die unter Todesandrohungen alle Arten von Dekreten verkünden.

Zeichen der Herrschaft, wie sie die sunnitischen Aufständischen seit dem Frühjahr in ihrer Hochburg etwa 50 Kilometer westlich von Bagdad errichtet haben. Falludscha erinnert an das Afghanistan zur Zeit der Taliban.

Unverschleierten Frauen drohte die Hinrichtung

Seit der ersten gescheiterten US-Offensive im April war die Stadt von der Außenwelt abgeschnitten. Nur wenig drang nach außen von der Herrschaft des sunnitischen Rats der Mudschahedin unter ihrem radikalen Führer, Scheich Abdallah Dschanabi.

Innerhalb weniger Monate hatten Dschanabi und seine Anhänger eine Parallelregierung errichtet, die keinerlei weltliche Zerstreuung duldete, Frauen unter den Schleier verbannte und auch Muslimen anderer Ausprägung als der sunnitischen das Leben schwer machte.

Im Zentrum der Stadt sind Aushänge des Rats der Mudschahedin zu sehen: Auf einem werden alle Geschäftsleute unter Todesandrohung aufgefordert, ihre Marktstände vor der Stadtbibliothek zu räumen, die der Rat zu seinem neuen Hauptquartier erkoren hatte. Ein anderer droht allen Frauen mit Hinrichtung, sollten sie unverschleiert angetroffen werden.

Zum Kämpfen gezwungen

Verstümmelte Frauenleichen in den Straßen zeigen, dass es sich nicht um leere Drohungen handelte. Die meisten Männerleichen weisen dagegen Einschusslöcher wie bei einer Exekution auf. Die US-Soldaten vermuten, dass die Rebellen alle Männer im kampffähigen Alter gezwungen haben, sich ihrem Widerstand anzuschließen.

Weigerten sie sich, wurden sie als Kollaborateure hingerichtet. Erste Berichte der Einwohner Falludschas bestätigen die Bilder einer totalen Willkürherrschaft. Viele von ihnen haben gemischte Gefühle: Die Amerikaner verfluchen sie, weil sie ihre Stadt in Trümmer gelegt haben; gleichzeitig aber sind sie erleichtert, dem Diktat der Mudschahedin entronnen zu sein.

© SZ vom 18.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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