Interview mit Hubertus Knabe:"Stasi-Leute haben im Parlament nichts verloren"

Der DDR-Experte Hubertus Knabe über Gregor Gysis Auftritt im Bundestag, dessen Stasi-Verstrickungen, die Rolle der Linkspartei und warum ehemalige SED-Kader die Gewinner der Deutschen Einheit sind.

Kathrin Haimerl

Hubertus Knabe ist Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. In seinem Buch "Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der SED-Diktatur" zeigt er am Beispiel Gregor Gysis, wie die Verstrickung mit der Stasi im Nachhinein verschleiert wird. Knabe arbeitete von 1992 bis 2000 in der Forschungsabteilung der Gauck-Behörde. Er setzt sich seit Jahren für die konsequente Aufarbeitung der DDR-Diktatur ein.

Interview mit Hubertus Knabe: "Gysi ist für den deutschen Bundestag nicht mehr geeignet", sagt der Historiker und DDR-Experte Hubertus Knabe.

"Gysi ist für den deutschen Bundestag nicht mehr geeignet", sagt der Historiker und DDR-Experte Hubertus Knabe.

(Foto: Foto: ddp)

sueddeutsche.de: In der Aktuellen Stunde im Bundestag hat Gregor Gysi erneut energisch bestritten, inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi gewesen zu sein. Wie bewerten Sie seinen Auftritt?

Hubertus Knabe: Gysi hat die Chance nicht genutzt, Aufklärung über seine Vergangenheit zu leisten. Stattdessen hat er der Öffentlichkeit erneut Sand in die Augen gestreut und versucht, die Bundesbeauftragte, Marianne Birthler, an den Pranger zu stellen.

sueddeutsche.de: Sie hatten in der vergangenen Woche gefordert, Gysi solle seine Anwaltslizenz zurückgeben.

Knabe: Nach dem Auftritt gestern ist es mit einer Rückgabe seiner Lizenz nicht mehr getan. Gysi hat Frau Birthler angegriffen, deren gesetzlicher Auftrag es ist, aufzuklären. Und er hat die Frechheit besessen, sich zum Opfer zu stilisieren, obwohl er zu den Tätern gehörte. Ich meine, dass er sich durch diesen Auftritt endgültig für den deutschen Bundestag disqualifiziert hat. Entscheidend ist aber, wie sich die Linkspartei dazu verhält.

sueddeutsche.de: Welche politischen Konsequenzen sollte sie ziehen?

Knabe: Sie muss sich entscheiden: Möchte sie dauerhaft den Stempel behalten, die Stasi-Partei im Deutschen Bundestag zu sein, oder will sie sich glaubwürdig von dieser SED-Vergangenheit distanzieren? Wenn sie im demokratischen Spektrum Anerkennung finden will, haben Stasi-Leute im Parlament nichts verloren.

Ich bin gespannt, wie die neu hinzugekommenen Mitglieder aus dem Westen damit umgehen. Wenn sie deutlich machen, dass sie die Stasi-Verstrickungen in den eigenen Reihen nicht akzeptieren, könnte es für Herrn Gysi schwer werden. Doch die Führung versucht, genau das zu verhindern. Oskar Lafontaine hat Gysi nicht nur auf dem Parteitag verteidigt, sondern sogar die Ablösung der Bundesbeauftragten gefordert. Die Parteispitze verfährt offenkundig nach dem Motto "Augen zu und durch".

sueddeutsche.de: Welchen Eindruck hat Gysi gestern auf Sie gemacht?

Knabe: Ich hatte den Eindruck, dass er eine ziemlich schlechte Figur gemacht hat. Er hat es vermieden, im Plenarsaal zu sein, während andere seine Vergangenheit verhandeln. Im Gegensatz zu seinen sonstigen Gewohnheiten hat er nicht frei gesprochen, sondern einen vorformulierten Text abgelesen. Man könnte daraus folgern, dass es sehr viel schwieriger ist, live die Unwahrheit zu sagen, als sie abzulesen.

sueddeutsche.de: Wirkt er seit der Herausgabe der neuen Unterlagen unsicherer?

Knabe: Bei Gysi hat man den Eindruck, er trüge einen Neoprenanzug, an dem alles abgleitet. Denn bereits 1998 kam der Immunitätsausschuss des Bundestags nach einer ausführlichen Beweiserhebung zu dem Schluss, dass "eine inoffizielle Tätigkeit des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi" für die Stasi als erwiesen gilt. Dass die neuen Unterlagen so viel Wirbel verursachen würden, hat ihn wohl selbst überrascht. Er wirkt zur Zeit ziemlich angeschlagen.

Lesen Sie auf Seite 2, warum die Verfolgten in der DDR-Diktatur heute die Verlierer sind.

"Stasi-Leute haben im Parlament nichts verloren"

sueddeutsche.de: Entlastet es Gysi, dass es zu ihm keine Hauptakte gibt?

Interview mit Hubertus Knabe: Gregor Gysi.

Gregor Gysi.

(Foto: Foto: ddp)

Knabe: 1989 wurden auf Befehl des Ministers für Staatssicherheit etwa 20 Prozent der Akten zerstört. Insbesondere zu Personen, die in dieser Zeit politisch von Bedeutung waren. Da gehört Gysi zweifellos dazu. Wir sind deshalb auf die übrig gebliebenen Unterlagen angewiesen. Allerdings sind diese sehr aussagekräftig.

sueddeutsche.de: Inwiefern?

Knabe: Die überlieferten IM-Berichte dokumentieren eine Fülle von Gesprächen zwischen Gysi und seinen Mandanten. Mehrfach wechseln sie plötzlich in die Ich-Form oder geben der Stasi juristische Ratschläge für ihr weiteres Vorgehen. In dem jetzt herausgegebenen Bericht heisst es sogar, dass der IM einen oppositionellen Maler "mit in die Stadt" genommen habe - und dies war nach dessen Aussage Gysi. Sowohl der Immunitätsausschuss als auch das Berliner Verwaltungsgericht haben deshalb festgestellt, dass Gysis Erklärungen "nicht glaubhafte Schutzbehauptungen" seien.

sueddeutsche.de: Gysi sagt auch, erst 1980 sei über ihn ein IM-Vorlauf erstellt worden, er könne also vorher gar nicht als IM tätig gewesen sein.

Knabe: Das ist falsch. Es gibt einen Stasi-Bericht, demzufolge er bereits 1975 "inoffiziell zur Zusammenarbeit" gewonnen worden sei. Dann hat es einen Wechsel der Zuständigkeiten gegeben, weil Gysi die Verteidigung prominenter Oppositioneller, insbesondere Rudolf Bahros und Robert Havemanns, übernahm. Nach den ersten Gesprächen legte die neue Abteilung einen Vorlauf an, um ihn nun für sich zu verpflichten.

sueddeutsche.de: Eine Verpflichtungserklärung Gysis liegt aber nicht vor.

Knabe: Die Stasi hatte festgelegt, dass er "mündlich durch Handschlag verpflichtet werden" sollte. Das war bei Prominenten üblich. Entscheidend ist, dass über Gysis Gespräche mit seinen Mandanten reihenweise Berichte bei der Stasi gelandet sind. Selbst wenn es stimmen würde, dass er, wie er behauptet, nicht mit der Stasi, sondern mit dem Zentralkomitee gesprochen hätte, ist und bleibt es Mandantenverrat. Für einen Anwalt gibt es eigentlich nichts Verwerflicheres, als in einer Diktatur seine Mandanten an die Behörden zu verraten.

sueddeutsche.de: Frühere SED-Kader haben sich nach der Wende relativ schnell in Selbsthilfenetzwerken organisiert, während den Menschen, die die friedliche Revolution vorangetrieben haben, oft der Zugang zu höherer Bildung verwehrt blieb. Was lief da falsch?

Knabe: Wir müssen leider konstatieren, dass sich Widerstand gegen eine Diktatur in Deutschland nicht lohnt. Es ist besser, sich anzupassen und mitzuschwimmen. Der Volksmund sagt dazu: "Fett schwimmt oben". Das kann man gerade am Fall Gysi studieren, der erst als SED-Kader in der DDR Karriere gemacht hat und jetzt wieder zu den Profiteuren zählt. Während er das üppige Gehalt eines Fraktionsvorsitzendem bezieht und nebenbei noch eine Anwaltskanzlei betreibt, stehen die Verfolgten meist mit leeren Händen da.

Viele von ihnen stellen jetzt, 20 Jahre nach dem Ende der DDR, fest, dass sie am Ende ihres Lebens nur eine minimale Rente bekommen - weil sie, im Unterschied zu Gysi, nicht Abitur machen, nicht studieren, nicht Rechtsanwalt werden durften. Es ist die Tragik der friedlichen Revolution, dass es nicht gelungen ist, wenigstens im Nachhinein Gerechtigkeit herzustellen.

sueddeutsche.de: Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, hat jetzt eine offene politische Debatte über die DDR-Vergangenheit gefordert. Was würde die Aufarbeitung dieser Zeit verbessern?

Knabe: Es ist erforderlich, den Zugang zu den Akten der Verfolgten weiter zu öffnen. Sonst werden diese gewissermaßen ein zweites Mal bestraft. Denn bereits zu DDR-Zeiten wurden ihr Widerstand, ihre Zivilcourage totgeschwiegen. Noch wichtiger ist aber, die Aufklärung zu verbessern. Junge Leute wissen heute nichts mehr über die SED-Diktatur und halten zum Beispiel Erich Honecker für einen Bundeskanzler.

Selbst gebildete Menschen können nicht einen einzigen Führer des Volksaufstandes am 17. Juni mit Namen nennen. Wir haben in Deutschland zwar über 600 Ernst-Thälmann-Straßen, aber nicht eine Straße der Friedlichen Revolution - hier wird das falsche Erbe gepflegt. Wir sollten nicht zulassen, dass das kommunistische Regime in der DDR mit Hilfe der Linkspartei in Deutschland wieder hoffähig wird.

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