Interview mit ehemaligem EP-Präsidenten:"Wichtiger und mächtiger, als man glaubt"

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Das Europäische Parlament galt lange als zahnloses "Parlament der Großväter". Der ehemalige Präsident Egon Klepsch (CDU) widerspricht: Abgeordnete hätten mehr Einfluss als im Bundestag.

Kata Kottra

In den turbulenten Jahren nach der Auflösung des Warschauer Paktes, von 1992 bis 1994, war Egon Klepsch Präsident des Europäischen Parlamentes (EP). Sein Engagement für die europäische Integration war immer verbunden mit seinem Einsatz gegen die Teilung Europas im Kalten Krieg.

Egon Klepsch als Präsident des Europäischen Parlamentes 1992 (Foto: Foto: Europäisches Parlament)

In den sechziger Jahren war Klepsch Bundes-vorsitzender der Jungen Union, 1965 wurde er in seinem Koblenzer Wahlkreis für die CDU in den Bundestag gewählt. Seit 1973 war er zusätzlich Europa-Abgeordneter. Fünfzehn Jahre lang leitete er im EP die Fraktion der Europäischen Volkspartei, eines Zusammenschlusses christlich-konservativer Parteien aus den einzelnen Mitgliedsstaaten. Dort setzte er sich für die Stärkung der Parlaments-rechte und eine Zusammenarbeit zwischen der christlich-konservativen und der sozialdemokratischen Fraktion ein.

sueddeutsche.de: Warum haben Sie sich damals, in den siebziger Jahren, entschieden, Europapolitiker zu werden? Sie hätten auch in der Bundesrepublik Karriere machen können.

Klepsch: Weil ich der festen Auffassung war, dass die Integration die einzige Zukunftschance für alle Europäer ist. Es sollte ein Gegengewicht zum sowjetischen Herrschaftssystem in Osteuropa geschaffen werden. Und das europäische Experiment war sehr erfolgreich.

sueddeutsche.de: Wie konnte dieses Experiment gelingen?

Klepsch: Die jungen Generationen in den europäischen Ländern, zu denen ich auch gehörte, hatte genug von den Kriegen gegeneinander. Auch aus unserer christdemokratischen Werteordnung waren wir überzeugt, dass wir nach den Schrecken des Krieges etwas Neues schaffen mussten.

Wussten Sie, dass alle sechs Gründungsstaaten damals christlich-demokratische Regierungen hatten? Uns Deutschen ging es auch darum, Deutschland wieder in den Kreis der Nationen einzugliedern.

sueddeutsche.de: Haben Sie als Deutscher - nur wenige Jahre nach dem Krieg - Ressentiments seitens anderer Europäer zu spüren bekommen?

Klepsch: Nein, ich war begeistert davon, dass gerade die jungen Kerle - und Mädchen - die ich in den anderen Ländern kennenlernte, alle den gleichen Schwung hatten. Sie wollten ein neues Europa errichten, ein einiges Europa und ein schönes Europa.

sueddeutsche.de: Zu der Zeit, als Sie nach Europa gingen, kursierte der Spruch "Hast Du einen Opa, schick ihn nach Europa", weil ausgediente Politiker gerne aufs europäische Altenteil abgeschoben wurden...

Klepsch: Ich war der jüngste der deutschen Abgeordneten, die damals nach Europa gingen. Niemand hat mich verstanden, denn man nannte es das "Parlament der Großväter". Wer eine politische Karriere machen wollte, blieb in Deutschland.

Die Leute, die teilweise unfreiwillig ins Europäische Parlament gegangen sind, merkten aber bald, dass sie dort viel mehr Einfluss hatten als zu Hause im Bundestag. Nur wenige sind wieder nach Bonn zurückgekehrt.

sueddeutsche: Hatten Sie manchmal das Gefühl, dass dem Europäischen Parlament nicht der Einfluss zukommt, der ihm zusteht?

Klepsch: Das Parlament war - und ist - wichtiger und mächtiger, als man glaubt. Auch früher war seine Rolle wichtig, um zusammen mit der Europäischen Kommission ein Gegengewicht zum Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs zu bilden.

In meiner Amtszeit lud ich gerne den Ratspräsidenten und den Kommissionspräsidenten zum Mittagessen ein, um gemeinsam anstehende Fragen zu klären. Das hat sich sehr bewährt.

sueddeutsche. de: Aber das Parlament musste sich seine heutigen Kompetenzen hart erkämpfen.

Klepsch: Natürlich. Zuerst wurden die Haushalts-Kontrollrechte des Parlamentes verbessert. Auch die Einrichtung des Europäischen Rechnungshofes haben wir durchgesetzt, obwohl der Rat das gar nicht so gern wollte.

Aber wir mussten auch Rückschläge einstecken. Es war jedes Mal ärgerlich, wenn Mitgliedsländer einstimmig gefasste europäische Beschlüsse in ihren Ländern als nationale Heldentaten präsentierten, zu denen man die anderen nur mühsam hatte zwingen können. Außerdem ist es uns nie gelungen, eine europäische Öffentlichkeit herzustellen.

sueddeutsche.de: Was ist Ihr persönlicher Höhepunkt in der Geschichte des Europäischen Parlamentes?

Klepsch: Ich wurde ja 1950 in der DDR wegen "antisowjetischer Hetze" verurteilt und musste in den Westen fliehen, nach Marburg. Ich habe meine Brüder, die in der DDR geblieben waren, zwanzig Jahre lang nicht wiedersehen können. Deshalb war die Überwindung der kommunistischen Herrschaft in Europa für mich der Höhepunkt in der Geschichte der europäischen Integration.

sueddeutsche.de: Viele Bürger verbinden mit der Europäischen Union vor allem die Bürokratie in Brüssel ...

Klepsch (unterbricht): Ach, das ist doch gar nicht so! Es sind einige tausend Beamte, die eine riesige Aufgabenfülle bewältigen müssen. Sie müssen mehrere Sprachen sprechen, sich in ihrem Fachgebiet auskennen und gleichzeitig noch die Situation in allen Mitgliedsländern im Auge behalten. Dafür müsste ihnen doch Anerkennung gebühren.

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