Interview:"Eilig ist es immer"

Lesezeit: 2 min

Florian Gerster steht in der Kritik, weil er einen millionenschweren Auftrag der Bundesanstalt für Arbeit ohne Ausschreibung vergeben hat. Die SZ sprach darüber mit Professor Martin Burgi von der Universität Bochum, einem der führenden Vergaberechtler Deutschlands.

Interview: Jonas Viering

SZ: Die Bundesanstalt für Arbeit, kurz BA, hat ihren Millionenauftrag an einen Kommunikationsberater nicht ausgeschrieben. Was halten Sie davon?

Kritisiert die Vergabepraxis von Florian Gerster: Martin Burgi (Foto: Foto: Uni Bochum)

Burgi: Grundsätzlich nicht sehr viel. Ausschreibungen sollen verhindern, dass das Geld der Beitragszahler oder Steuerzahler verschwendet wird, indem Aufträge auf dem Golfplatz vergeben werden statt öffentlich. Allerdings kenne ich natürlich nicht die Details des konkreten Falles. Deshalb muss ich mich hier aufs Grundsätzliche beschränken.

SZ: Die Behörde erklärt, die Sache sei zu eilig gewesen für eine Ausschreibung.

Burgi: Eilig ist es immer. Der deutsche und europäische Gesetzgeber setzt hier enge Grenzen - sonst würde Wildwuchs herrschen. Auf eine Ausschreibung verzichtet werden kann etwa bei Naturkatastrophen. Nach der Elbeflut mussten Krankenhäuser sehr schnell wieder aufgebaut werden: Das ist rechtlich unter zwingender Dringlichkeit zu verstehen, wie sie in der Verdingungsordnung steht.

Im Übrigen bietet auch das Vergaberecht selbst vielfältige Möglichkeiten der Beschleunigung, etwa in Form von abgekürzten Fristen bis herunter auf 15 Tage.

SZ: Muss denn jeder öffentliche Auftrag ausgeschrieben werden?

Burgi: Nein. Wenn Aufträge deutlich kleiner sind als im Fall der BA, ist das nicht nötig. Und bei freiberuflichen Leistungen steht die Rechtsentwicklung noch am Anfang: Etwa bei einem wissenschaftlichen oder künstlerischem Auftrag oder der Mandatierung eines Anwalts ist Vertrauen ganz wesentlich, oder auch ganz spezifische Fähigkeiten nur eines bestimmten Anbieters.

SZ: Wie ist es im Fall der BA?

Burgi: Bei der fraglichen Kommunikationsberatung ist es zumindest zweifelhaft, ob die genannten Schwierigkeiten mit freiberuflichen Aufträgen geltend gemacht werden könnten - bei dem ersten Auftrag, dem über 500.000 Euro im Februar. Hingegen ist der Folgeauftrag über 820.000 Euro für 2004, der nun zurückgezogen wurde, möglicherweise rechtlich anders zu beurteilen, weil die Durchführung des einmal entwickelten Konzepts unter Umständen am besten von der gleichen Agentur bewältigt werden kann.

Selbst der Verzicht auf die Ausschreibung des Folgeauftrags darf aber kein Automatismus sein. Nochmal: Die Regelungen sind hier aus Erfahrung streng.

SZ: Die Sache liegt jetzt dem Bundesrechnungshof vor. Was sind die möglichen Konsequenzen?

Burgi: Der kann auch nur prüfen und gegebenenfalls rügen. Wenn dagegen ein Unternehmen, das durch den Verzicht auf Ausschreibung ausgebootet wurde, erfolgreich vor Gericht klagen würde, dann könnte theoretisch der gesamte Vertrag für nichtig erklärt werden. Und zwar rückwirkend.

Aber natürlich ist es offen, ob eine solche Klage Chancen hätte. Wenn niemand klagt, ist die Sache vergaberechtlich gegessen, selbst wenn sie nicht rechtens gewesen sein sollte.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: