Internationale Wochen gegen Rassismus:Freundesland

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Der Rabbiner Henry Brandt lädt den Pfarrer Jürgen Miksch und Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime ein. Sie reden über den Wert von Religion - und die Kraft des Tropfens.

Von Bernd Kastner, Augsburg

Im Büro der Augsburger Synagoge: Rabbiner Henry Brandt (Mitte), Aiman Mazyek (links) vom Zentralrat der Muslime sowie Pfarrer Jürgen Miksch. (Foto: Stephan Rumpf)

Freunde. Man hatte fast schon vergessen, dass es sie ja auch gibt, das Gespräch war in eine eher düstere Richtung gedriftet. Über Rassismus reden sie, der Jude, der Muslim, der Christ, und über die wachsende Sorge, weil die Gewalt zunimmt gegen jene, die fremd oder "anders" sind. Über Vorbehalte gegen Muslime und Juden und religiös motivierte Gewalt diskutieren die drei Männer also, da erinnert Henry Brandt, Rabbiner in Augsburg, doch plötzlich hellt sich die Stimmung auf am langen, dunklen Tisch: "Wenn die Synagoge in Augsburg in Gefahr wäre und ich würde rufen", sagt Brandt, "dann würden Tausende kommen." Freunde der Juden würden den prächtigen Tempel schützen, da ist er sicher. Der Rabbiner, Jahrgang 1927, hat die Zeit erlebt, als niemand zu Hilfe kam.

Rassismus - mit dem Hinterfragen dieses Begriffs hatte das Gespräch begonnen. "Ein Modewort", kritisiert Brandt. "Wir sollten nicht in diese Hülsen verfallen." Das Wort ist ihm zu unscharf. "Was ist eine Rasse überhaupt? Wir sind doch alle ein Gemisch." Jürgen Micksch widerspricht. Er, der langjährige Kämpfer gegen Rassismus, versteht den Begriff als Ausdruck der Diskriminierung einer Gruppe, sei es wegen Herkunft, Aussehen, Geschlecht, Kultur, sexueller Orientierung. Aiman Mazyek wiederum findet das Diskutieren über semantische Feinheiten nicht zielführend, er bevorzugt: Menschenfeindlichkeit.

"Die Ablehnung des anderen, wenn sie religiös verbrämt wird, ist die gefährlichste Art der Menschenfeindlichkeit. Weil sie dem rationalen Diskurs entrissen wird." Rabbiner Henry Brandt

Wie auch immer, Rabbiner Henry Brandt, Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, und Jürgen Micksch, evangelischer Pfarrer und Chef der "Stiftung gegen Rassismus", sinnieren über das, was Menschen einander antun, Böses wie Gutes, und was die Religionen damit zu tun haben.

Dass die drei sich in Brandts Büro in der Augsburger Synagoge treffen, liegt an den "Internationalen Wochen gegen Rassismus". Jahr für Jahr koordiniert Micksch unzählige Veranstaltungen in ganz Deutschland, Hunderte Moscheegemeinden beteiligen sich. Erstmals wird dieses Jahr dabei ein Vertreter der Muslime in einer Synagoge sprechen: Aiman Mazyek ist am 15. März nach Augsburg eingeladen, am Abend des Sabbat.

Zunächst sträuben sich die drei Akteure gegen den Eindruck, dass ihr Miteinander etwas Besonderes sei: Sie reden doch ständig mit den "anderen", sie kennen, sie schätzen sich. Letzten Sommer haben Brandt und Mazyek zusammen mit jungen Juden und muslimischen Flüchtlingen Auschwitz besucht, eine prägende Reise. Dennoch, viele Menschen nehmen die Religionen als Problem wahr, die Politisierung des Glaubens und den Hass, den die Hassenden mit Religion begründen. Religionen stehen im öffentlichen Diskurs im Kontext von Sicherheitsfragen: Da ist der Kampf gegen islamistische Terroristen, da sind Antisemitismus und antimuslimischer Hass, jüdische Friedhöfe werden geschändet, Moscheen angegriffen.

"Hass" ist eine Kategorie in der Kriminalstatistik der Bundesregierung, sie erhebt Zahlen zu "Hasskriminalität". Etwa 1500 antisemitische Straftaten wurden 2017 registriert, das sind vier pro Tag, darunter eine steigende Zahl von Gewalttaten gegen Juden, 62 waren es im vergangenen Jahr. Gegen Muslime richteten sich in jenem Jahr gut 1000 Straftaten. Die Zahlen steigen oder verharren auf hohem Niveau.

Ist die Religion Teil des Problems oder Teil der Lösung? "Beides", sagt Brandt. "Die Ablehnung des anderen, wenn sie religiös verbrämt wird, ist die gefährlichste Art der Menschenfeindlichkeit. Weil sie dem rationalen Diskurs entrissen wird." Andererseits, "was die Religionen im Kern lehren, ist das Gegenteil: Liebe deinen Nächsten, er ist wie du. Ohne diese Werte würde überhaupt nichts gelingen. Dann wäre nur der Mensch, sich selbst als Gott sehend."

Mazyek erinnert daran, dass der Islam verbiete, einen anderen Menschen abzuwerten. "Antisemitismus ist gleich Sünde." Längst nicht alle aber leben dies auch so, es verlaufe eine "Frontlinie" unter den Muslimen, räumt Mazyek ein. Und weil vielen Konflikten eine religiöse Begründung übergestülpt werde, gebe es in der Bevölkerung große Skepsis gegenüber den Religionen als Friedensbringer.

Gut 1700 Veranstaltungen wird es innerhalb der Wochen gegen den Rassismus geben. Eindrucksvoll, aber was bringt es? Wenn Aiman Mazyek demnächst die Augsburger Synagoge besucht, werden ihm vielleicht ein paar Dutzend Gläubige zuhören, die Gemeinde besteht fast ganz aus Migranten, die aus Russland gekommen sind. Und ist es nicht so, dass zu solchen Veranstaltungen nur diejenigen gehen, die ohnehin keinem etwas zuleide tun? Nein, sagt Jürgen Micksch: "Die Menschenfeinde sind überall. Sie sitzen auch in unseren christlichen Gottesdiensten." Die Anti-Rassismus-Veranstaltungen finden in Theatern und Kinos statt, bei Fußballfans ebenso wie in Schulen: "Da erreichen wir auch die Kinder von rassistisch eingestellten Eltern." Es ergäben sich Diskussionen, weiß Micksch, das Nachdenken sei das erste Ziel.

"Wir müssen raus!", sagt Brandt, nein, er ruft es fast über den Tisch. Raus in die breite Gesellschaft. "Das Kennenlernen ist die bessere Medizin als irgendein Gesetz oder die Polizei oder der erhobene Zeigefinger", sagt Brandt. "Wenn ich den anderen kennenlerne und weiß, dass er keine Hörner hat, dass er auch ein Gefühlsleben hat wie ich - wenn dann jemand sagt, du sollst ihn hassen, dann sage ich: Warum?"

Man solle nicht glauben, sagt Aiman Mazyek, dass Areligiosität per se harmlos sei: Der Nationalsozialismus sei schließlich eine sehr weltliche Ideologie gewesen. Fast beiläufig streut er einen historischen Vergleich ein: In der Weimarer Republik seien die Menschenfeinde immer lauter geworden, immer weiter in die Mitte gerückt. Und heute? Heute gebe es Politiker in der AfD, deren Sprüche vor wenigen Jahren noch unvorstellbar gewesen seien. Inzwischen seien diese Leute salonfähig. "Da ist der Punkt, wo wir mehr Widerstand brauchen." Mazyek sagt das an einem historischen Ort: Wie so viele Synagogen wurde auch die in Augsburg in der Pogromnacht 1938 angezündet, aber nicht komplett zerstört. Der NS-Gauleiter ließ den Brand löschen. Er wollte verhindern, dass die Flammen auf eine gegenüberliegende Tankstelle übergreifen.

Jürgen Micksch ist kein Träumer, aber einer, der das Glas des Miteinanders eher als halbvoll wahrnimmt, während Henry Brandt, auch wenn er sich selbst einen Optimisten nennt, auf das Fehlende hinweist: "Da habe ich meine Zweifel", sagt er auf die Frage, ob man Böswillige mit gut gemeinten Aktionen erreiche. Vielleicht jene an den Rändern des Hass-Blocks, die noch nicht verbohrt seien. Aber kaum die große Masse derer, die andere abwerten. "Es ist eine Langzeitarbeit", sagt Brandt. "Kärrnerarbeit."

Micksch wäre nicht Micksch, würde er in Zeiten der Polarisierung nicht auf die Kraft des Tropfens hinweisen: Als er in den Achtziger Jahren Pro Asyl gründete, da seien mehr Menschen in Bürgerwehren gegen Flüchtlinge aktiv gewesen als in Helfergruppen. Heute gebe es eine breite Basis von Engagierten. "Es hat sich etwas zum Positiven verändert." Die dauerhafte Kommunikationsarbeit wirke: Zwar würden die Rassisten immer lauter und frecher, doch habe sich über die Jahre auch die Gemeinschaft der Helfer verfestigt.

Irgendwann stellt sich Rabbiner Brandt vor, was wäre, wenn heutzutage seine Synagoge attackiert würde. "Es wäre fast eine Beleidigung der vielen Menschen guten Willens, sie nicht zu erwähnen." Er ist sicher: "Was anders ist als in der Vergangenheit: dass wir viele Freunde haben. Dass Menschen bereit sind, sich zu zeigen. Als Freunde."

© SZ vom 09.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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