Integration:Die Deutschmacher

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Eine Antwort zum "Gesprächsleitfaden" genügt: Ein Besuch bei den Beamtinnen der Heidelberger Einbürgerungsstelle.

Christoph Hickmann

Es ist der Tag, an dem Alexander Dolgonosov aus Moskau, Informatiker und 48 Jahre alt, zum Deutschen wird. Es werden außerdem an diesem Tag Deutsche: Seine Frau Irina, ebenfalls 48 Jahre alt, ferner ihre Töchter Evgenia, 20, und Natalja, 19.

Die Eiskunstläuferin Aljona Sawtschenko - in der Ukraine geboren - freut sich über ihren deutschen Pass: Sie konnte bei Olympia für Deutschland starten (Foto: Foto: dpa)

Frau Binder in Zimmer 104 wird an diesem Tag ein Gespräch über die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland führen und es nach zwei Minuten mit einem Lächeln beenden; ansonsten wird es in der Einbürgerungsstelle der Stadt Heidelberg heute vor allem um Schulbescheinigungen gehen, um fehlende Unterschriften und Kontoauszüge, um die Schreibweise eines Dorfes im Nordirak und um Worte wie Familiennamensänderungsanträge. Es ist, so kann man das sagen, ein ganz normaler Tag auf dem Flur der Verwaltungsbeamtinnen Huber und Binder. Dem Flur der Deutschmacherinnen.

Der Tag beginnt in Zimmer 105 bei Birgit Huber, 49, die früher in der Verkehrsabteilung die Taxikonzessionen vergeben hat. Jetzt vergibt sie im ersten Obergeschoss Staatsangehörigkeiten. Es ist ein paar Minuten nach elf, herein kommt Axel B., 34, angehender Wirtschaftsprüfer, und legt auf den Schreibtisch das Abiturzeugnis, das Volkswirtschafts-Diplom, den Arbeitsvertrag und eine Gehaltsabrechnung seiner Lebensgefährtin Jelena, in Deutschland geboren und aufgewachsen.

Jagd nach der Urkunde

Jetzt will sie Deutsche werden, sie hat ein Recht darauf, weil sie seit mehr als acht Jahren hier lebt, deutsch spricht und Geld verdient. Anspruchseinbürgerung nennt man das. Frau Huber tippt auf die Tastatur ihres Rechners und sagt: "Das Problem ist die Rekonstruktion der Daten."

Es folgen dann noch ein paar komplizierte Sätze, die sich in etwa so übersetzen lassen: Jelenas Eltern haben vor 29 Jahren vergessen, sich vom jugoslawischen Konsulat eine jugoslawische Geburtsurkunde ausstellen zu lassen, was ein Problem ist, weil es den Staat Jugoslawien nicht mehr gibt. Frau Huber sagt: "Einfach weitermachen. Alle drei Monate das Konsulat anschreiben."

Axel B. seufzt und erklärt dann noch kurz, warum Jelena jetzt Deutsche sein will. Weil sie mehr Deutsche sei als Jugoslawin, sagt er, vor allem aber, weil sie zusammen vor zwei Jahren in die USA wollten und es sehr schwierig war, ein Visum zu bekommen. Beim Konsulat, sagt er, hätten sie eine 0190-Nummer gehabt. "Lustig war das nicht."

Fehlende Dokumente

Die meisten Menschen, die zu Frau Huber kommen, wollen Deutsche sein, weil das für sie recht praktisch wäre. Und eigentlich würde Frau Huber die meisten dieser Menschen sofort zu Deutschen machen, würde ihnen nicht noch eine Schulbescheinigung fehlen oder eben eine Geburtsurkunde.

Es kommen Menschen wie der junge Pole, der Deutscher war, dann Pole wurde und einen ziemlichen Schrecken bekam, als er deshalb die deutsche Staatsangehörigkeit verlor.

Oder der Iraker, der seine Tochter einbürgern lassen will und jetzt ein Problem hat, weil ihr Geburtsort im Pass anders geschrieben ist als in der Ausländerakte. Es geht um Dokumente, Unterschriften, Beglaubigungen. Man hat das leicht vergessen können in den vergangenen Wochen.

In diesen Wochen ist zwar viel über Einbürgerung geredet worden, allerdings anders, als Frau Huber das tut, ein paar Ebenen darüber, sozusagen. Man hat über Dinge wie staatsbürgerliche Gesinnung diskutiert, und ganz am Anfang ging es darum, wie man die Verfassungstreue vor allem von Muslimen überprüfen könne.

Nach ein paar Wochen allerdings ging es dann auch um Dinge wie drei deutsche Mittelgebirge, die plötzlich kennen sollte, wer sich in Hessen einbürgern lassen will.

100 Fragen haben sie sich dort ausgedacht, in anderen Bundesländern gibt es ähnliche Tests, die Landesinnenminister streiten noch immer darüber und werden am heutigen Donnerstag in Garmisch-Partenkirchen versuchen, sich irgendwie zu einigen.

Württembergischer Gesprächsleitfaden

In Baden-Württemberg haben sie seit dem 1. Januar einen "Gesprächsleitfaden für Einbürgerungswillige", und mit den 30 Fragen zielt man weniger auf das Wissen als auf die Gesinnung derer, die antworten sollen.

Die Heidelberger Oberbürgermeisterin, Beate Weber von der SPD, kündigte deshalb Ende Januar an, den Leitfaden zu ignorieren, sie sprach von einem "Generalverdacht gegen alle Muslime", doch dann ordnete ihr Innenminister Heribert Rech von der CDU an, dass auch die Heidelberger den Leitfaden anwenden sollten. Unabhängig von der Religion. Carola de Wit, die Heidelberger Abteilungsleiterin für Ausländerangelegenheiten, will darüber nicht viel reden. Sie sagt nur: "Wir haben ja noch einen Ermessensspielraum." Und lächelt.

Das ist recht geschickt, weil das Wort Ermessensspielraum für so ziemlich alles stehen kann. Wofür es in Heidelberg steht, lässt sich nach der Mittagspause in Zimmer 104 erfahren, dort arbeitet die Verwaltungsbeamtin Binder, Elisabeth, 52, und vor ihr sitzt auf einem Stuhl Hafiza Abdul-Khaleq: 25 Jahre alt, geboren in Afghanistan, nach Deutschland gekommen im Dezember 1997. Verheiratet mit einem Deutschen, der auch einst aus Afghanistan kam, Mutter zweier Kinder. Sie hat Angst an diesem Nachmittag.

"Welche Werte schätzen Sie?"

Denn Deutsch zu sprechen, ist auch in Zeiten von Gesprächsleitfäden erste Voraussetzung, um Deutscher zu werden, und Frau Abdul-Khaleq ist nicht viel aus dem Haus gekommen in den vergangenen Jahren.

Die Kinder kamen ja so schnell, seit November lernt sie Deutsch, sie sagt: "Ich kann noch nicht viel", aber dann schaut ihr Frau Binder in die Augen. "Ich führe jetzt ein gaaaanz kleines Gespräch mit Ihnen. Was sind denn die Werte an der demokratischen Grundordnung, die Sie am meisten schätzen?"

Und Frau Abdul-Khaleq, das lange schwarzes Haar offen, antwortet so, wie Frau Binder das jetzt erwartet. Sie spricht von Freiheit und davon, dass in Deutschland Männer und Frauen gleich seien. Sie sagt: "Mein Mann ist nicht wie afghanische Männer", und Frau Binder lächelt. "Wenn Sie den Sprachkurs bestanden haben, können wir Sie einbürgern."

Man muss das jemandem wohl zugestehen, der Ausländer zu Deutschen macht: dass er Menschen einschätzen kann, auch die Lebensläufe dieser Menschen. Und dass er deshalb einer Frau wie Hafiza Abdul-Khaleq nicht die Frage Nummer 6 aus dem Leitfaden stellt: "Wie stehen Sie zu der Aussage, dass die Frau ihrem Ehemann gehorchen soll und dass dieser sie schlagen darf, wenn sie ihm nicht gehorsam ist?" Weil man Antworten auswendig lernen kann. Eine Geisteshaltung nicht.

Es ist dann auch schon 16 Uhr, draußen wartet Familie Dolgonosov. Vor zwei Wochen haben sie den Antrag gestellt, es ging dann alles sehr schnell, sie sind ja längst angekommen in diesem Land. Frau Binder unterschreibt ein paar Papiere, und nach genau sieben Minuten nimmt sie eines davon und reicht es Alexander Dolgonosov. Sie sagt: "Jetzt sind Sie deutscher Staatsbürger. Herzlichen Glückwunsch." Und Herr Dolgonosov sagt: "Danke."

Ein paar Minuten später steht er mit Frau und Töchtern in der Eingangshalle und beschreibt, wie er sich denn nun fühlt, als Deutscher. "Wie immer", sagt er. Dann muss er weiter, die neuen Ausweise beantragen.

© SZ vom 4.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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