Als Louisa Dellert sich 2013 bei Instagram anmeldete, wollte sie eigentlich nur abnehmen, sie suchte dort nach Motivation. Später postete sie selbst Workout-Videos, machte Werbung für Proteinshakes und wurde zu einer der erfolgreichsten Fitness-Influencerinnen Deutschlands. Heute hat sie mehr als 456 000 Follower*innen, aber statt um Fitness geht es auf ihrem Profil um Feminismus, den Syrien-Krieg oder Klimapolitik. Damit hat sie sich schon so gut etabliert, dass Politiker wie Jens Spahn oder Robert Habeck regelmäßig Livevideos mit ihr machen.
Der Ruf des sozialen Netzwerks Instagram als oberflächlich und unpolitisch hält sich hartnäckig. Instagram-Feeds bestanden lange Zeit scheinbar aus den immer gleichen Sonnenuntergangbildern und Hey-Leute-das-ist-mein-neuer-Lieblings-Detox-Tee-hier-ist-der-Rabattcode-Clips. Aber etwas hat sich verändert. Instagram ist politischer geworden. Das zeigt sich der Metastudie der Konrad-Adenauer-Stiftung "Kann Instagram auch Politik?" zufolge sowohl auf der Seite der Angebote (mehr Politiker*innen-Profile) als auch auf der Seite der Nutzer*innen, die sich verstärkt über Instagram politisch informieren, insbesondere die 18- bis 24-Jährigen.
Dieser Wandel macht sich auch anders bemerkbar: Lifestyle-Influencerinnen wie Charlotte Weise, Diana zur Löwen oder Louisa Dellert befüllten ihre Profile einst mit Beauty, Mode und Lifestyle-Content. Mittlerweile thematisieren sie regelmäßig Geschlechtergerechtigkeit, Antirassismus und vor allem: Nachhaltigkeit. Sie posten Fotos von FFF-Demos und zum Weltfrauentag Beiträge über den Gender Pay Gap.
Profitabel ist politischer Content nur bedingt
Aber wie glaubwürdig ist diese Entwicklung? Schließlich nutzen professionelle Influencer*innen das Netzwerk, um mit ihrer Berühmtheit Geld zu verdienen. Profitabel ist politischer Content aber nur bedingt.
Und hinzu kommt: Wer sich auf Instagram politisch präsentiert, geht eher ein Shitstorm-Risiko ein als mit unpolitischem Content. Berüchtigt ist etwa der Ärger nach einem Interview, das Diana zur Löwen mit dem Afrika-Korrespondenten vom Handelsblatt führte, der sich darin mehrfach rassistisch äußerte, was sie unkritisch abnickte. Es folgte ein reumütiges Entschuldigungsvideo namens: "Mein Shitstorm & Learning daraus / Rassismus In Deutschland".
Wer sich bereitwillig aus der Fashion-Beauty-Wohlfühl-Bubble heraus bewegt, muss politisches Interesse und Wissen durchaus mitbringen - und Veränderungsbereitschaft. Bei Protesten der "Black Lives Matter"-Bewegung im Sommer 2020 oder zum Jahrestag des Anschlags von Hanau waren viele Timelines voll von politischen Posts. Auch Mainstream-Influencerinnen wie Model Stefanie Giesinger (3,9 Millionen Follower) und Mode-Bloggerin Caro Daur (2,8 Millionen Follower) zogen mit, posteten zum #blackouttuesday aus Solidarität mit der BLM-Bewegung schwarze Kacheln. Antirassistische Aktivist*innen mahnten daraufhin: Wer es ernst meine mit der Rassismuskritik, dürfe es nicht bei solch digitalen Gesten belassen.
"Früher habe ich GZSZ geschaut, jetzt schaue ich die Tagesschau"
Wenn man Louisa Dellert fragt, warum sie sich auf Instagram mittlerweile mit politischen Themen beschäftigt, klingt die Antwort zunächst unspektakulär: "Früher habe ich GZSZ geschaut, jetzt schaue ich die 'Tagesschau'. Ich selbst habe mich weiterentwickelt, und auf Instagram zeige ich nun mal, was mich persönlich interessiert." Sich selbst sieht sie dementsprechend nicht explizit als Politik-Influencerin, auf Instagram sei sie eine Art "große Schwester", mit der unterhalte man sich in Wirklichkeit auch nicht nur über ein einziges Thema. Das klingt, als würde das Politische auf Louisas Profil einfach so passieren. Dabei sind ihre Inhalte sorgsam kuratiert, sogar mit Quellenangaben versehen: eher akademische Hausarbeit in modern und zugänglich als spontaner Polit-Kaffeeklatsch. Louisa Dellert leistet auf ihrem Instagram-Kanal gewissermaßen politische Bildungsarbeit. Aber warum?
Ihre Begründung für den eigenen politischen Wandel auf Instagram entspricht der plattformspezifischen Logik des Persönlichen. Gerade Influencer*innen-Kanäle funktionieren auf Instagram primär über Persönlichkeiten statt über feste Themen. Sie sind öffentliche Tagebücher, keine Konzeptmappen. Wenn Influencer*innen sich also privat stärker für Politik interessieren, dann sind Bedingungen der Plattform ideal dafür, das auch digital zur Schau zu stellen. Das passt zum neuerdings stark verbreiteten Maßstab "Realness" auf Instagram: eine Selbstdarstellung mit dem Anspruch, so authentisch wie möglich zu wirken, also: keine Schönheitsfilter über Fotos legen und über Tabuthemen sprechen. Diese Logik des Persönlichen zeigt sich auch daran, welche politischen Inhalte auf Instagram gerade besonders populär sind: die "alltagstauglichen", wie Nachhaltigkeit oder Gleichstellung.
Das entspricht auch dem Forschungsstand. Anna Sophie Kümpel, Professorin für Kommunikationswissenschaft (TU Dresden), erklärt: "Diese Themen sind gut integrierbar in die Routinen der Influencerinnen." Was alltagsnah ist, könne gut kommuniziert werden. "Dass Nachhaltigkeit deshalb besonders gut funktioniert, weiß man aus thematischen Analysen der Plattform", sagt Kümpel. Wer es gewohnt ist, die Follower*innen in den eigenen Alltag "mitzunehmen", kann anhand eines verpackungsfreien Lebensmitteleinkaufs auf dem Wochenmarkt auch mal eben die Plastikverschmutzung der Ozeane thematisieren. "Auch ein Lebensstil kann politisch sein", sagt Kümpel.
Wie finden Unternehmen es, wenn die Werbepartner*innen sich online politisch geben?
Aber ist es profitabel für professionelle Lifestyle-Influencer*innen, sich politisch zu präsentieren? Nicht nur aufwendige Outfit-Shootings und Workout-Videos, auch politische Bildungsarbeit und Livevideos mit Politiker*innen kosten Zeit und Aufwand. Bei Instagram läuft die Entlohnung in der Regel mittels Produktplatzierungen in den Beiträgen. Aber wie finden Unternehmen es, wenn die Werbepartner*innen sich online politisch geben? Louisa Dellert sagt: "Ich glaube, dass auch die Unternehmen gemerkt haben, dass meine Generation und die nachkommenden viel politischer sind. Das merkt man auch an den Kooperationsanfragen." Sie selbst drehte beispielsweise in Zusammenarbeit mit einer Waschmittel-Firma ein Video zum nachhaltigeren Umgang mit Kleidungsstücken. Diana zur Löwen eines über ihre Politisierung, um junge Frauen digital zu "empowern" - in Kooperation mit der deutschen Fernsehlotterie.
"Dass Unternehmen Politik (mit-)gestalten, beispielsweise über Lobbying und Parteispenden, ist nicht neu", sagt Veronika Kneip, Professorin für BWL (Frankfurt University of Applied Sciences). Neu sei aber, dass sie sich selbst auch jenseits von Parteipolitik eine politische Rolle zuschreiben - eine Entwicklung im Zuge der Globalisierung. Insbesondere beim Thema Nachhaltigkeit könne "dies auch eine Reaktion auf veränderte Erwartungen, zum Beispiel der jüngeren Generation, sein", so Kneip. Das politische Auftreten von Unternehmen steht also durchaus im Zusammenhang mit Marketingstrategien - laut Kneip treffe das besonders auf die zu, die "Produkte für Endverbraucher herstellen (Lebensmittel, Kleidung, Kosmetika)". Denn: Konsum habe heutzutage eine "identitätsstiftende Funktion", sei emotional aufgeladen - und wird somit auch durch die politischen Ideale der Konsument*innen beeinflusst. Durch politisches Auftreten können Unternehmen, laut Kneip, also durchaus "Reputationsvorteile erzielen". Gleichzeitig kann die Glaubwürdigkeit dieser Kampagnen durch Vorwürfen wie "Greenwashing" oder "Window Dressing" infrage gestellt werden.
Auch Influencerin Louisa Dellert sagt, sie sehe diese Entwicklung durchaus kritisch: "Natürlich ist es super, wenn Unternehmen investieren, um politische Themen zu pushen. Aber man merkt schon, dass es auch da manchmal nur ums Marketing geht." Es kommt also weniger auf die Bereitschaft der Unternehmen an, Produkte über politische Themen zu vermarkten. Schwieriger wird es bei der Bereitschaft der Influencer*innen selbst: Je stärker das politische Bewusstsein, desto höher das Konfliktpotential im Hinblick auf Marken-Kooperationen. Mit regelmäßigen Produktplatzierungen geht schließlich immer auch Werbung für Konsum einher. Das kollidiert schnell mit klimapolitischem Engagement.
Content Creators werden selbst zu Gründer*innen. Ein Phänomen, das einige Passion Economy nennen
Kaum vorstellbar auch, dass Louisa Dellert in einem textbasierten Bildungspost über den Ausstieg der Türkei aus der Istanbul-Konvention - ein Übereinkommen zum Schutz von Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt - noch Produktwerbung hätte unterbringen können ( hat sie auch nicht). Für konsequent politische Influencer*innen erschwert das eine langfristige Finanzierung nach klassischem Produktplatzierungs-Prinzip.
Aber gibt es dennoch so etwas wie Polit-Profit auf Instagram?
Auffällig ist, dass sich gerade diejenigen Lifestyle-Influencer*innen, die sich mit der Zeit stärker politisierten, andere Finanzierungsmöglichkeiten suchen: Madeleine Alizadeh gründete ihr eigenes nachhaltiges Modelabel und Diana zur Löwen eine E-Commerce-Website mit Finanzratgebern. Die Content Creators werden selbst zu Gründer*innen. Ein Phänomen, das einige Passion Economy nennen. Der Begriff stammt aus einem 2019 erschienenen Essay der US-Investorin Li Jin und bezeichnet eine neue Form der Selbständigkeit. Das Prinzip: Individualität monetarisieren und dementsprechend nur noch produzieren und vermarkten, was der eigenen "Leidenschaft" entspricht. Das zeige sich deutlich an Plattformen, auf denen man selbst Podcasts oder Online-Kurse anbieten kann. Wirklich erfolgversprechend ist dieses Modell aber dann, wenn man bereits über eine große Reichweite, also potenzielle Konsument*innen verfügt. Perfekt also für professionelle Influencer*innen, die behaupten, nur noch das bewerben zu wollen, was sie persönlich für sinnvoll halten.
Auf Profilen der Lifestyle-Influencer*innen findet man beides: politische Posen und glaubwürdige Auseinandersetzung
Louisa Dellert hatte vor zwei Jahren versucht, über Crowdfunding Spenden für ihre Arbeit zu sammeln. Dafür erntete sie prompt einen Shitstorm. Der Vorwurf: "Influencerin" sei kein Job, der durch Spenden finanziert werden sollte. Später erklärte sie in einem Instagram-Post, wofür sie das Geld verwenden wolle: nämlich nicht, wie von einigen Nutzer*innen angenommen, für ihre Miete, sondern ausschließlich für politische Inhalte (dazu zählte für sie eine Bahncard, um Politiker*innen treffen zu können, oder die Bezahlung eines Kameramanns, der diese Treffen filmt) sowie ein Format, das sie mithilfe der Spenden auch umsetzen konnte: den Politik-Podcast "Lou klärt".
Auf Profilen der Lifestyle-Influencer*innen findet man beides: politische Posen und glaubwürdige Auseinandersetzung. Wie ernsthaft sie das politische Anliegen tatsächlich vertreten, erkennt man daran, ob sie sich dort auch auch mit Nachhaltigkeit beschäftigen, ohne dabei ein festes Shampoo oder vegane Schnitzel zu vermarkten. Oder daran, ob die Influencer*innen selbst den Dialog mit der Community suchen und so potenziell öffentliche Kritik in Kauf nehmen. Ob sie all das auch langfristig besprechen, nicht nur mit dem jeweiligen politischen "Trend" gehen. Und nicht zuletzt daran, dass sie politische Themen besprechen, die sich nicht eindrücklich inszenieren lassen, also nicht "instagrammable" sind - wie Louisa Dellert, die auch Videos über die Grundrente postete. In Deutschland ist sie aktuell ohnehin noch die Einzige, bei der man hinter alle diese Punkte, ganz ohne zu zögern, einen Haken setzen könnte - zumindest im Vergleich mit Influencer*innen, die wie sie aus dem Lifestyle-Bereich kommen.
Viele der erfolgreichsten deutschen Influencer*innen kommen nach wie vor sehr gut mit weitestgehend unpolitischen Profilen aus. Fitness-Model Pamela Reif zum Beispiel, die laut Forbes Magazine pro Marken-Post ein Gehalt im fünfstelligen Bereich bekommt. Wer ihr Profil aber sehr gründlich durchforstet, findet Inhalte, die nur im allerweitesten Sinne als politisch durchgehen: Werbung für plastikfreie Spülmaschinen-Tabs und Wurm-Kompost. Wirklich profitabel ist gegenwärtig also nur eine Art politisches Microdosing.