In den Zeltlagern der G-8-Kritiker:"Wir sind friedlich, was seid ihr?"

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Junge Globalisierungsgegner in den Zeltlagern sprechen sich nach der Schlacht von Rostock Mut zu - Kritik an der Gewalt ist kaum zu hören.

Stefan Klein

Der Polizist formt seine Hände zu einem Trichter vor seinem Mund und ruft: ,,Dies ist eine nicht genehmigte Demonstration. Lösen Sie die Demonstration auf!'' Doch die Demonstranten denken gar nicht daran. Aneinandergedrängt rücken sie auf die Reihe der Polizisten vor und skandieren: ,,Wir sind friedlich, was seid ihr?''

Sekunden später sind beide, die Staatsgewalt und die Protestierer, hoffnungslos ineinander verkeilt, es wird geschubst, gedrängt, gedrückt. Die Polizisten, so scheint es, lassen es am letzten Einsatz vermissen, und das ist auch kein Wunder, denn es sind gar keine richtigen Polizisten. Sie werden nur gemimt von jungen Leuten - zu Trainingszwecken.

Reddelich ist ein kleines Dorf ein paar Kilometer südlich von dem Zaun, der Heiligendamm umschließt. Es hat, zusammen mit Brodhagen, 890 Einwohner und derzeit 3500 Gäste. Es sind Gäste, wie sie der Ort noch nie gesehen hat: Junges, buntes, sehr internationales Volk, das sich mit offizieller Erlaubnis der Gemeinde im Gewerbegebiet angesiedelt hat, in Zelten und Holzbuden. Am Eingang, da, wo immer ein paar mürrisch blickende Polizisten, und zwar echte, das Treiben beobachten, hängt ein Transparent, das sich direkt an die Ordnungshüter wendet: ,,Wir haben Spaß - ihr Bereitschaft.'' Naja, Spaß direkt ist es nicht, protestieren ist auch Arbeit, und derzeit gibt es einige Verletzte im Camp. Von der Schlacht in Rostock.

"Einige haben Stress gesucht"

Zerknirschung über das, was geschehen ist, muss man hier nicht suchen. Die Nachdenklicheren beklagen allenfalls einen strategischen Fehler derer, die auf eine Provokation der Polizei hereingefallen seien. So sagt es ein junger, blonder Schlacks mit einer Flasche Bier in der Hand. Der war als Autonomer in Rostock mit dabei und hat erlebt, wie es losging. Wie plötzlich Steine auf ein Polizeiauto prasselten, das provozierend dicht, wie ein Köder, am Demonstrationszug gestanden habe.

Da hätten ,,ein paar Leute Stress gesucht'', und die Polizei sei nur zu gerne ,,darauf eingestiegen.'' Beteiligt hätten sich aber höchstens tausend Autonome, die große Mehrheit sei friedlich geblieben: ,,Wenn wir wirklich gewollt hätten, wäre noch was ganz anderes passiert.'' Im Übrigen verstehe er die Aufregung nicht, in Berlin brenne jede Woche ein Auto.

So reden sie in Reddelich, und richtig selbstkritisch klingt es nicht. Alex Kristo etwa vermag nicht mehr zu erkennen als eine ,,perfide Taktik der Polizei'', die eine Stimmung zu schaffen versuche, die es ihr erlaube, fortan ,,voll reinzuhacken.'' Kristo, Student der Philosophie und Angehöriger des linksradikalen Netzwerks ,,Dissent'', ist im Camp zuständig für die Betreuung der Presse.

Er redet lange und ausführlich über die kollektive Selbstverwaltung der Camper, über die kollektiven Volksküchen, über Hierarchiefreiheit, Solidarität und darüber, wie viel gerechter und friedvoller es zugehe, wenn das Leben von unten her organisiert werde. Selbst der Bürgermeister des Ortes Reddelich sei begeistert.

Auf den ersten Blick könnte man das Camp tatsächlich für eine Idylle, für ein rustikales Pfadfinderlager halten. Doch aus der Nähe betrachtet ergibt sich ein anderes Bild. An einer großen Pinnwand hängt ein Zettel, dort steht: ,,Regierungskonvois gesichtet? Bitte erzählt uns, wenn ihr Limousinen sichtet - wann, wo, wie viel?'' Am Eingang zum Internet-Zelt ein anderer Hinweis: ,,Internet ist unverschlüsselt und kann abgehört werden: Vorsicht!'' Es gibt ein Rechtshilfezelt, und es gibt, neben dem Übertragungswagen des Camp-Radios, das Trainingsgelände, wo Blockaden und Zusammenstöße mit der Polizei geübt werden. Der Ausdruck Chaoten stimmt schon deshalb nicht, weil hier sehr zielgerichtet gearbeitet und geplant wird.

Rostock ist vorbei, jetzt kommt Heiligendamm, und es kommt, wenn es nach dem Campbewohner Christo geht, zu ,,substantiellen Störungen'' des Gipfels. Christo ist ein erfahrener Protestierer,Veteran des Widerstands. Er war in Genua dabei, in Evian, in Gleneagles, und er sieht sich und seine Bewegung durchaus im Aufwind. Dass man solche Weltwirtschaftsgipfel inzwischen nicht mehr in den großen Städten abhält, sondern in den kanadischen Bergen, in der schottischen Heide oder eben jetzt im hintersten Winkel der deutschen Republik - der Protest habe das erzwungen. Und selbst hier im tiefsten Mecklenburg-Vorpommern müssten sich die Weltenlenker hinter martialischen Bollwerken verschanzen, um ihr Familienfoto hinzukriegen.

"Und danach gewinnen wir"

Dass Themen wie Afrika und Klima ganz nach vorne gerückt seien auf der Agenda - auch das sei dem Widerstand zu verdanken. Die G8 befinde sich ,,in der Defensive,'' sagt Christo; sie dagegen, die Protestszene, sei erst ignoriert, dann ausgelacht worden, jetzt werde sie bekämpft, ,,und danach gewinnen wir.''

Vielleicht glaubt er das wirklich, wahrscheinlich aber ist es nur ein Versuch, sich ein bisschen Mut und Hoffnung zu machen im Angesicht von 16000 Polizisten. Die sind massiv unterwegs auf den Straßen rund um Heiligendamm, manchmal fahren sie auch hinein ins Camp von Reddelich und filmen, was zu sehen ist. Ein Transparent, wer weiß, ist jetzt vielleicht auf einem Polizeifilm. Darauf ist eine Skizze von Heiligendamm, und der Text lautet: ,,G8 - Euch bleibt nur das Meer. Wir kommen von allen Richtungen.''

Vielleicht kommt aber, ganz im Gegenteil, am Ende die Polizei mit einem Großaufgebot nach Reddelich und macht dem Camperleben ein schnelles Ende. Abhängen wird es wohl davon, was in den nächsten Tagen auf den Straßen rund um Heiligendamm passieren wird. Ein Autonomer aus Freiburg sagt: ,,Sollte es dazu kommen, werde ich in der ersten Reihe stehen und unser Camp verteidigen.''

© SZ vom 06.06.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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