Immunität von Abgeordneten:Polizei im Parlament

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Die Richter in Karlsruhe entscheiden heute wie weit der Schutz der Parlamentarier reicht. Dabei geht es um eine umstrittene Untersuchungsaktion im Februar 2001 bei einem Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten.

Von Helmut Kerscher

(SZ vom 30. Juli 2003) Es muss hoch hergegangen sein an jenem Mittwochmorgen im Februar 2001, als Polizei und Staatsanwälte im Bundestag einmarschierten. "Wir haben uns kräftig gestritten", beschreibt der bayerische SPD-Abgeordnete Frank Hofmann dezent das Aufeinandertreffen von Politikern und Strafverfolgern.

Ahnungslos am Schreibtisch

Hofmann, früher selbst Zielfahnder des Bundeskriminalamts, fand das Eindringen seiner Ex-Kollegen in die Diensträume an der Friedrichstraße 83 schlicht rechtswidrig. Er saß um neun Uhr morgens ahnungslos an seinem Schreibtisch, als unter Leitung von zwei Münchner Staatsanwälten die Durchsuchung des benachbarten Zimmers eines Mitarbeiters begann. Dieser, ein früherer Regierungsdirektor, informierte ihn auf dem Flur über das Geschehen, und Hofmann war gleich klar: "Das kann ich so nicht laufen lassen."

Er holte seinen Kollegen Hermann Bachmaier, den Justitiar der SPD-Fraktion; gleichzeitig wurden Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Abgeordnete aller Fraktionen verständigt. Man einigte sich nach einigem Hin und Her auf die Einrichtung einer "Schiedsstelle". Diese sollte über die Freigabe von beschlagnahmten Beweisstücken entscheiden. Diesem von der Rechtsordnung nicht vorgesehenen Gremium gehörten außer Hofmann und den Staatsanwälten die Vorsitzende des Immunitätsausschusses, Erika Simm (SPD), sowie der FDP-Abgeordnete Jörg van Essen an.

Anschließend sah sich Hofmann alles an, was im Büro und in der Wohnung seines Mitarbeiters beschlagnahmt worden war. Die Beweisstücke wurden im Einverständnis aller Beteiligten in versiegelten Umschlägen der (in der Öffentlichkeit wenig bekannten) "Polizei des Bundestags" übergeben. Dort liegen sie bis heute in einem Tresor.

Wegen Weitergabe von Dienstgeheimnissen verfolgt

Das Pikante an der Durchsuchung: Sie betraf mittelbar jede Menge Unterlagen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur CDU-Spendenaffäre. Frank Hofmann war Obmann der SPD-Arbeitsgruppe in diesem Ausschuss und wurde von dem Mitarbeiter unterstützt, der wegen angeblicher Weitergabe von Dienstgeheimnissen an die Süddeutsche Zeitung verfolgt wurde. Die meisten sichergestellten Gegenstände hatten mit diesem Ausschuss zu tun: Kontaktadressen, Notizen, Diktate, vertrauliche Informationen, zwei Handys mit einer Fülle gespeicherter Telefonnummern, Telefonrechnungen mit Verbindungsnachweisen, personelle Interna des Ausschusses.

Weil das Grundgesetz für solch heikle Informationen ein Abgeordnetengeheimnis vorsieht, wollten Hofmann und zwölf seiner Fraktionskollegen die Durchsuchung vom Bundesverfassungsgericht für rechtswidrig erklären lassen. Dafür nahmen sie eine Organklage gegen ihren Parteifreund Thierse in Kauf. Der hätte nämlich nach Ansicht der SPD-Parlamentarier nie und nimmer die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion in den Räumen des Bundestags genehmigen dürfen.

"Interessante Rechtsfrage"

Was das Ganze laut Verfassungsrichter Udo Di Fabio zur "interessanten Rechtsfrage" machte: Die Aktion richtete sich ja nicht gegen einen Abgeordneten, sondern gegen einen Mitarbeiter. Schützt das Beschlagnahmeverbot auch ihn oder darf die Strafjustiz nur mit Zustimmung eines Abgeordneten gegen einen verdächtigen Mitarbeiter vorgehen? Was muss, was darf der Bundestagspräsident vor einer Genehmigung prüfen? Wie sind die Interessen der staatlichen Strafverfolgung und diejenigen von Abgeordneten am Schutz ihres Vertrauensverhältnisses zu Wählern und Informanten zu gewichten?

Die strittige Frage hat ein hoher Richter bereits entschieden: Auch solche Schriftstücke dürfen nicht beschlagnahmt werden, die das Zeugnisverweigerungsrecht des Abgeordneten berühren und sich bei einem Mitarbeiter befinden - selbst wenn gegen diesen ein Ermittlungsverfahren geführt wird. Dieses Ergebnis steht freilich nicht in einem Urteil, sondern in einem Aufsatz des Richters am Bundesgerichtshof (BGH), Ulrich Hebenstreit.

Selbstredend sehen das die Anwälte der SPD-Abgeordneten in diesem Verfahren, der Strafverteidiger Gunter Widmaier und der frühere BGH-Richter Heinrich Wilhelm Laufhütte, genau so. Widmaier fürchtete in der mündlichen Verhandlung am 14. Januar dieses Jahres eine Lähmung der Demokratie, wenn die Vertrauenssphäre der Abgeordneten und der Zweck eines Untersuchungsausschusses durch staatliche Strafverfolger gefährdet würden.

Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung erklärten, der Präsident dürfe eine Durchsuchung und Beschlagnahme nur bei offensichtlichem Missbrauch verweigern. Ein Vertreter des bayerischen Justizministeriums verteidigte das Vorgehen der Justiz mit dem Rechtsstaatsgebot der effektiven Strafverfolgung und dem Schutz des Ansehens des Parlaments.

Mit Spannung wird nun erwartet, wie heute die Richter des Bundesverfassungsgerichts urteilen werden. Der Zweite Senat muss nicht nur über die Organklage entscheiden, sondern auch über die gleichzeitig eingelegte Verfassungsbeschwerde der SPD-Abgeordneten gegen einen Beschlagnahme-Beschluss des Landgerichts München. Frank Hofmann wird sich das Urteil mit Kollegen anhören.

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