Im Profil:Jassir Arafat - Undurchschaubarer Präsident der Palästinenser

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Thorsten Schmitz

Jassir Arafat hat es vom untergrundkämpfenden Terroristen zum Präsidenten gebracht - mit einem Schönheitsfehler allerdings: Er ist Herrscher über ein Volk ohne Staat. Dem Ziel, dies zu ändern, hat er sein Leben gewidmet. Zwölf Anschläge, einen Flugzeugabsturz und den Kriegsdschungel Beirut hat er überlebt und mehr Staatschefs dieser Welt geküsst als jeder andere Präsident.

In Sachen Palästina ist er schon mehrere hunderttausend Kilometer geflogen. Arafat verfügt über ein Olympiakomitee, Fernsehsender, ein parlamentarisches System, eine Börse, einen Flughafen, 40 000 Polizisten und paramilitärische Sicherheitskräfte - und weiß ein Volk hinter sich, das ihn abgöttisch verehrt.

In der Westbank und in Gaza sind die Straßen gepflastert mit seinem Konterfei und am Rückspiegel jedes Taxifahrers baumelt ein Arafat-Portrait. Die Regierungen der USA , der EU und mindestens 50 anderer Staaten dieser Welt behandeln ihn mit Respekt. Und doch muss Arafat jedesmal Israel um Erlaubnis bitten, wenn er von seinem Wohnort Gaza-Stadt mit dem Hubschrauber in die Verwaltungshauptstadt Ramallah ins Westjordanland fliegen möchte.

An diese Demütigungen hat sich Arafat bis heute nicht gewöhnen können, weswegen er bis zum letzten Atemzug für seinen Lebenstraum kämpfen wird: die Geburt Palästinas. Kritiker werfen ihm Korruption und Misswirtschaft vor und dass er seine Errungenschaften bislang nicht in ein pluralistisches Staatswesen umzuwandeln vermochte.

Arafat steckt unliebsame Kritiker gerne ins Gefängnis und schickt seine Anhänger wie in diesen Tagen auf die Straße zum Kämpfen. Der mit der vom Christentum zum Islam konvertierten Suha verheiratete Vater einer dreijährigen Tochter strickt unentwegt an der eigenen Undurchschaubarkeit.

Sein Geburtsort Jerusalem wird von Historikern in Frage gestellt wie auch Alter und Abstammung. Wer Arafat interviewt wird nicht unbedingt schlauer. Jüngst brach Arafat ein Gespräch mit der CNN-Journalistin Christiane Amanpour ab mir den Worten: "Sie haben wohl vergessen, mit wem Sie es zu tun haben."

Amanpour nennt Arafat einen "rätselhaften Menschen". Man frage sich stets, was er "wirklich" denke. Der Mysteriöse ist aber auch ein vorzüglicher Taktiker: Dass er am Donnerstag mit US-Außenministerin Madeleine Albright zu Hosni Mubarak nach Scharm el Scheich reiste ohne den israelischen Premierminister Ehud Barak, war ein Punkt für ihn.

So kann Arafat der Welt zeigen, dass ihm am Friedensschluss gelegen ist - darüber hinwegtäuschend, dass der Nahost-Gipfel im Juli in Camp David letztlich an seiner Sturheit in der Frage nach dem künftigen Status Ost-Jerusalems gescheitert war. Immerhin hat Arafat seinem wütenden Volk das Einverständnis abgerungen, dass in der PLO-Charta nicht mehr offiziell zur Vernichtung Israels aufgerufen wird.

Seine jetzt starre Haltung resultiert aus der Furcht, den Bogen zu überspannen: Er muss die Balance halten, auf internationalem Parkett seinen Ruf zu wahren - und zuhause nicht gelyncht zu werden, weil er den Israelis zu viele Konzessionen macht.

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