Humor und die Mächtigen:Eine Bühne namens Westminster

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Nirgendwo wird so viel Witz versprüht wie im Unterhaus - britische Politiker wie Tony Blair, Gordon Brown oder David Cameron müssen über sich und andere lachen können.

Wolfgang Koydl

Zum besseren Verständnis einer Sache ist es mitunter hilfreich, sich etwas vorzustellen, das total unwahrscheinlich ist. Man möge sich also denken, dass ein deutscher Sender die Comedy-Show "Sieben Tage, sieben Köpfe" wiederauferstehen ließe - zugegeben, eher grauenvoll als unwahrscheinlich - und dass sie nicht von Didi Hallervorden oder Jürgen von der Lippe moderiert würde, sondern von Marcus Söder oder Franz Müntefering. In einer solchen Welt müsste sich die Paulaner-Brauerei nicht den Kopf zerbrechen, wer nächstes Jahr die Nockherberg-Rede hielte. Wenn nicht Django Asül, warum nicht gleich Edmund Stoiber?

Was auf dem Kontinent Erstaunen und Befremden auslöst, gilt in Großbritannien und anderen Teilen der angelsächsischen Welt als normal. Politischer Humor wird als viel zu ernste Angelegenheit betrachtet, um ihn alleine professionellen Komikern zu überlassen. Die Wähler erwarten auch von ihren gewählten Repräsentanten Mutterwitz, Schlagfertigkeit und vor allem Selbstironie.

So ist es selbstverständlich, dass die Sendung "Have I Got News For You", die britische Variante eines ironischen Wochenrückblicks, ab und zu von Spitzenpolitikern moderiert wird. Manchmal ist es William Hague, der im Hauptberuf der außenpolitische Sprecher der Konservativen Partei ist; ein anderer regelmäßiger Gast ist Boris Johnson.

Der Oberklassenspross entschied sich kürzlich, für das Amt des Londoner Bürgermeisters zu kandidieren. Amtsinhaber Ken Livingston, obschon Sozialist, so doch auch humorvoller Brite, las darauf die Biographie des Gegners und befand: "Das war die erschreckendste Lektüre seit dem 'Schweigen der Lämmer'."

Blair als Sketch-Partner

Amtierende Regierungschefs sind bislang noch nicht als Showmaster aufgetreten. Aber das hat Ex-Premierminister Tony Blair nicht daran gehindert, gemeinsam mit Catherine Tate, einer der populärsten Komikerinnen des Landes, in einem Sketch zu spielen.

Gedreht wurde im Allerheiligsten der Downing Street, in Blairs Amtszimmer, der Regierungschef spielte sich selbst und vermochte sogar nach Meinung von Gegnern als komisches Talent zu überzeugen. "Nicht auszudenken, was aus ihm hätte werden können, wenn man ihn entdeckt hätte, bevor er in die Politik ging", spottete ein Journalist.

Nun ist es natürlich auch in Großbritannien nicht so, dass Politiker ständig in Comedyshows auftreten. Ihre Bühne ist eher das Unterhaus, wo die Debatten und Zwischenrufe lebhafter, witziger und erbarmungsloser als in anderen Volksvertretungen ablaufen. Wem es an der nötigen Schlagfertigkeit gebricht, dem ist zumindest das gnadenlose Gespött seiner Kollegen sicher. Humorlosigkeit kann sich durchaus nachteilig auf die Karriere auswirken.

Blair war ein Virtuose des verbalen Florettgefechts. Seine große Stunde schlug mittwochmittags um zwölf bei Prime Minister's Questions, der wöchentlichen Fragestunde. Bei seinem Abschiedsauftritt riss er mit einer derart spritzigen und funkelnden Vorstellung die Abgeordneten buchstäblich zu einer Ovation von den grünen Lederbänken.

Er habe, so teilte er dem Hohen Hause unter anderem mit, mit der Post ein Formular bekommen, adressiert an "Blair, Vorname T, Mister, Mistress oder andere Anrede". "Dieses Formular ist wichtig für Sie, verlieren Sie es nicht", las Blair weiter zur allgemeinen Erheiterung vor. Jeder wusste, worum es ging: Das Formular P45 wird vom Finanzamt allen Beschäftigten zugeschickt, die den Job verlieren.

Auf dem Labour-Parteitag im Jahr zuvor hatte Blair mit einer einzigen entwaffnenden Bemerkung eine Situation entschärft, welche die Partei leicht hätte zerreißen können. Während der Rede von Blairs designiertem Nachfolger Gordon Brown hatte Ehefrau Cherie Blair verächtlich und vor allem deutlich vernehmbar gezischt: "Lügner".

Gespannt warteten die Delegierten, wie Blair reagieren würde. "Zumindest muss ich mir keine Sorgen machen", stellte er grinsend fest, "dass meine Frau mit dem Kerl von nebenan durchbrennt". Brown residierte als Schatzkanzler im Haus Downing Street Nummer 11.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieso Winston Churchill das Vorbild aller britischen Politiker ist.

Dem neuen Regierungschef traut man derartige Schlagfertigkeit nicht zu. Brown redet immer so, als ob er aus amtlichen Verlautbarungen zitiere, und bei seiner ersten parlamentarischen Fragestunde stellte er erneut unter Beweis, wie sehr es ihm an Witz fehlt. Erstmals konnte sogar Sir Menzies Campbell, der farblose Führer der Liberaldemokraten mit einer Pointe punkten: Als Brown ihm beteuerte, dass seine Tür immer zur Zusammenarbeit offenstehe, erwiderte Campbell mit bewegungsloser Miene: "Bei Ihnen ist das wohl eher eine Falltür." Natürlich bestimmen auch die Briten ihre Regierungen nicht danach, welche Kandidaten sie am besten erheitern.

Aber sie sind stolz auf ihren sense of humour, der auch im Alltag über Zu- oder Abneigung entscheidet. "Humor ist unser Standardmodus", hat die britische Anthropologin Kate Fox beobachtet. "Wir können ihn nicht absichtlich an- oder abschalten." Die Gesetze des Humors seien "das kulturelle Gegenstück zu den Naturgesetzen - wir gehorchen ihnen automatisch, wie wir dem Gesetz der Schwerkraft gehorchen".

Mindestens ebenso wichtig für den britischen Charakter ist die Selbstironie. Es gilt als gesellschaftliche Todsünde, sich selbst für wichtig oder zu ernst zu nehmen. In der politischen Auseinandersetzung bedeutet dies, dass man nicht nur den Gegner mit süffigen Sottisen verletzt, worin ja auch manche deutsche Politiker von Franz Josef Strauß über Herbert Wehner bis zu Joschka Fischer versiert waren. Sympathien erntet nur, wer imstande ist, über sich selbst zu lachen. Denis Thatcher war so ein Mann, und damit glich er die Humorlosigkeit seiner Gattin Margaret aus. Als er kurz nach dem Wahlsieg der eisernen Lady gefragt wurde, wer denn bei ihm zu Hause die Hosen anhabe, erwiderte er entwaffnend: "Ich natürlich. Und ich wasche und bügele sie auch."

Goldstandard Churchill

Gleichsam der Goldstandard für treffenden politischen Witz bleibt Kriegspremier Winston Churchill. Er litt fast schon physisch unter dem für seinen Mangel an Humor berüchtigten französischen Präsidenten Charles de Gaulle. "Verdammter de Gaulle", tobte er einmal nach einem Gespräch mit dem General. "Hatte die Unverschämtheit, mir zu sagen, dass ihn die Franzosen für die Wiedergeburt der Jungfrau von Orleans halten." Kunstpause, dann die Pointe: "Ich hielt es für notwendig, ihn daran zu erinnern, dass wir (Engländer) die erste (Jungfrau) verbrennen mussten."

Ein bevorzugtes Ziel von Churchills Spott war der Labour-Politiker Clement Attlee, der ihn bei den Wahlen 1945 überraschend besiegte. Ein "Schaf im Schafspelz", nannte er ihn, und einen "bescheidenen Mann, der guten Grund hat, bescheiden zu sein".

Noch nicht einmal bei privaten Begegnungen konnte Churchill sein Mundwerk im Zaum halten - wie bei einem Zusammentreffen in der Herrentoilette des Unterhauses. "Na Winston, bisschen hochnäsig heute", rief Attlee dem am Pissoir stehenden Churchill zu, der sich beim Eintreten des neuen Premiers abwandte. "Nein, überhaupt nicht", blaffte Sir Winston über die Schulter zurück. "Nur vorsichtig. Ich weiß doch: Wenn du irgend ein großes Stück siehst, dann verstaatlichst du es gleich."

Britischem Witz ist allerdings auch die Erkenntnis zu verdanken, dass der politische Alltagsprozess an sich enormes Witzpotential birgt. Die Fernsehserie "Yes, Prime Minister", in der eine mit allen Wassern gewaschene Berufsbeamtenschaft einen überforderten Premierminister nach allen Regeln der Kunst an der Nase herumführt, war angeblich Margaret Thatchers Lieblingssendung. Nicht dass sie viel darüber gelacht hätte. Sie bezog vielmehr wertvolle Lektionen über den Umgang mit ihren Beamten daraus.

© SZ vom 07.08.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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