Humor im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf:Witzeln ist Macht

Lesezeit: 5 min

Wer in den Vereinigten Staaten erfolgreich regieren will, muss auch über sich lachen können. George W. Bush tut das - mit Hilfe sorgfältig vorformulierter Pointen. Herausforderer John Kerry aber kann es nicht.

Von Wolfgang Koydl

Deutschland hat Harald Schmidt, Bayern Bruno Jonas und Amerika? George W. Bush.

Wenn es um Schlagfertigkeit und politischen Witz geht, gebührt dem amerikanischen Präsidenten ein besonderer Platz in der Galerie politischer Kabarettkultur - so wie übrigens fast allen amerikanischen Spitzenpolitikern, die ebenfalls täglich in Konkurrenz zu professionellen Spaßmachern treten.

Erst unlängst wieder lag das Publikum Bush glucksend und prustend zu Füßen. Er machte sich über seine eigenen Probleme mit der englischen Sprache lustig ("Wenn Worte sterben wollen, begeben sie sich auf meine Lippen") und sprach über die Reihe jüngster Enthüllungsbücher, die sich mit Schwachstellen und Skandalen seiner Regierung befassten:

"Ich verstehe gar nicht, wie meine Kritiker behaupten können, dass ich nicht genug für die Wirtschaft getan hätte", fragte der Präsident mit gespielter Entrüstung. "Sehen Sie sich doch nur mal an, was ich alleine für die Buchverlage geleistet habe."

Vorformulierte Pointen

Bushs Lacherfolge waren allerdings nicht unfreiwillig, sondern durchaus gewollt - und sorgfältig vorformuliert und erprobt. Der Präsident sprach auf dem noblen White-House-Correspondents-Dinner, zu dem sich alljährlich Anfang Mai im Washingtoner Hilton-Hotel die Creme des Hauptstadt-Journalismus mit Spitzenpolitikern, Showstars und Sportlern trifft.

Einer der Redner ist dabei der Präsident, der bei dieser Gelegenheit zeigen muss, was wirklich in ihm steckt.

Nein, nicht Durchsetzungsstärke, Führungskraft und Verhandlungsgeschick, sondern eine andere Eigenschaft, die den Amerikanern nicht weniger wichtig ist: Humor und die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen.

Witz und Humor sind unverzichtbare Bestandteile der politischen Kultur in den Vereinigten Staaten - anders als in europäischen Ländern, wo sich demokratisch gewählte Präsidenten und Premiers oft mit der Aura verflossener Sonnenkönige und Prinzregenten umgeben.

"Humor muss von unten nach oben fließen", beschreibt Jon Macks das demokratische Prinzip, wonach der Herrscher selbst die Glöckchenhaube des Hofnarren überstreift.

"Es ist okay, Witze über seinen Boss zu machen, aber für den Boss ist es nie okay, sich über seine Untergebenen zu amüsieren. Je höher er steht, desto mehr muss er Witze machen, die auf seine eigenen Kosten gehen."

Macks weiß, wovon er spricht, schließlich verdient er seit Jahren sein nicht unerhebliches Gehalt unter anderem damit, dass er Personen des öffentlichen Lebens Aperçus, Aphorismen und Allerweltswitze aufschreibt, mit denen sie Reden und Ansprachen würzen können.

Er gehört zur Gilde der professionellen "joke writers", auf deren Dienste in den USA niemand verzichten kann, der irgendwo, irgendwann, irgendwie öffentlich eine Ansprache halten muss.

Macks ist einer der besten seines Faches: Er hat nicht nur ein Dutzend Politiker unter Vertrag; auch die vermeintlich so mühelos hingeworfenen Bemerkungen, mit denen der Conferencier jedes Jahr bei der Oscar-Verleihung von Preisträger zu Preisträger überleitet, stammen aus seiner Feder.

Darüber hinaus gehört Macks zu jenem Ideenstab, der Tag für Tag Komisches, Skurriles und Absurdes für Jay Lenos "Tonight Show" ausbrüten muss. Diese Sendung und deren Konkurrenzprodukte von David Letterman und Conan O'Brien standen Pate für die Harald-Schmidt-Show und verzeichnen in den USA hohe Einschaltquoten.

Die wichtigsten Gründe für den Erfolg: Amerikaner wollen über ihre Politiker intelligent lachen können; die Late-Night-Talker sorgen dafür, dass jeder Politiker jedweder Couleur gleichermaßen kräftig sein Fett abbekommt; und sie zucken nicht einmal vor den heikelsten Themen zurück: "US-Truppen haben im Irak eine Hochzeitsgesellschaft bombardiert", meinte unlängst Leno. "Naja, Bush glaubte, es sei eine Schwulen-Hochzeit."

Seitdem die flotten Komik-Shows Anfang der neunziger Jahre ihren festen Platz im TV-Programm eroberten, haben sie - und darin sind sich amüsierte Zuschauer mit ernsten Politikstrategen völlig einig - die politische Landschaft der USA nachhaltig verändert.

Denn selbst von langweiligen und farblosen Kandidaten für öffentliche Ämter wird nun verlangt, dass sie Witz, Esprit und Selbstironie verströmen - und wenn es noch so schmerzt.

"In Washington gibt es keine ernstere Angelegenheit, als die, spaßig zu sein", erkannte der angehende demokratische Redenschreiber Jeff Nussbaum.

Wie wichtig die Spaß-Sendungen geworden sind, belegte eine jüngste Meinungsumfrage des angesehenen Pew-Institutes: Demnach beziehen immer mehr gebildete junge Wähler ihre politischen Informationen in erster Linie von Leno und Letterman und nicht aus der New York Times und Newsweek.

Effektiv wie ein Defibrillator auf einen Leichnam

Das aber sind schlechte Nachrichten für den demokratischen Präsidentschaftsbewerber John Kerry, der jede doppeldeutige Bemerkung sauertöpfisch und verschreckt auf mögliche politische Konsequenzen abhorcht.

Er beschäftigt zwar mittlerweile eine Vielzahl von Witzeschreibern für seine eigenen Reden, aber deren Bemühungen haben bislang ebenso viel Effekt gehabt wie ein Defibrillator auf einen Leichnam.

Lustig, wenn auch eher unfreiwillig, wirkt der Senator mit der Physiognomie eines Felsen-Standbildes immer nur dann, wenn er vor Reportern poltert: "Was mich aufregt ist, dass niemand erkennt, was für ein Fun-Typ ich eigentlich bin."

Für Kerrys Wahlchancen könnte sich dieses Humor-Manko unter Umständen als katastrophal erweisen. Abschreckendes Vorbild ist der ehemalige demokratische Präsidentschaftskandidat Michael Dukakis, der als humorlosester Politiker aller Zeiten in die Geschichte eingegangen ist.

Der Autor Mark Katz, der Dukakis damals flotte Sprüche aufschreiben musste, verglich die undankbare Aufgabe mit jener eines Fotografen für das Wall Street Journal: als völlig überflüssig, denn diese Zeitung veröffentlicht gar keine Fotos.

Kerry, so höhnt man denn auch jetzt schon, sei so wie der andere Langeweiler: Al Gore - nur ohne dessen prickelnde Ausstrahlung.

Und über das jüngste Treffen Kerrys mit dem ebenfalls nicht gerade vor Charme überschäumenden Politiker Ralph Nader spottete Leno, dass die Welt Zeuge eines neuen kosmischen Phänomens geworden sei - der Bildung eines schwarzen Charisma-Loches.

Propaganda auf der Stoßstange

Ohne böse und bissige Witze ist kein amerikanischer Wahlkampf denkbar. Das ist, wenn schon nicht immer, so doch zumindest seit der Präsidentschaftswahl des Jahres 1840 so gewesen.

Damals schlug William Harrison den Amtsinhaber Martin van Buren - und er verdankte seinen Erfolg in nicht geringem Maße leicht eingängigen und witzigen Wahlkampf-Slogans.

Daran hat sich bis heute nichts geändert, und das konsequente Endergebnis dieser Entwicklung sind T-Shirts mit witzigen politischen Aufdrucken oder der Bumper-Sticker, mit dem der amerikanische Autofahrer auf der Stoßstange seines Wagens seine politische Überzeugung spazieren fährt: Deutlich genug, um nicht missverstanden zu werden und witzig genug, um potenziell tödliche Aggressionen anderer Verkehrsteilnehmer auszulösen.

Zur Zeit scheinen die Demokraten bei diesen Aufklebern die Nase vorne zu haben. Sie haben gleich eine ganze Reihe von Stickern auf den Markt geworfen, die vorgeben, für das Team Bush/Cheney zu werben - mit dunklem Hintersinn und schwarzer Satire. Zitat: "Bush/Cheney - weil die Wahrheit allein einfach nicht gut genug ist."

Es ist freilich ein schmaler Grat, auf dem sich der politische Humor bewegt, zumal dann, wenn Spitzenpolitiker selbst witzige Bemerkungen machen. Ein falscher Zungenschlag nur, und ganze Wählergruppen könnten verprellt werden.

Das gilt vor allem dann, wenn man sich über den Gegenkandidaten lustig macht. Grobschlächtiger Haudrauf-Humor nach Art eines Michael Moore erweist sich dabei meist als kontraproduktiv, wie John Kerry unlängst erfuhr. Als er hörte, dass Bush von einem Mountain Bike gestürzt sei, fragte er Hohn triefend: "Da sind wohl die Stützräder abgebrochen?"

Doch der Demokrat erntete nur wenige Lacher. Vielmehr erinnerte man sich in der Öffentlichkeit daran, dass Kerry selbst vor wenigen Monaten beim Snowboard-Fahren gestürzt war und einen Sicherheitsbeamten über den Haufen gefahren hatte.

Das fand Kerry gar nicht komisch. Er schob die Schuld dem Secret-Service-Mann zu und schnaubte: "Ich falle nie hin."

© SZ vom 26.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: