Horrorhandys:Brutalität macht Schule

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Auf den Tipp einer Mutter hin beschlagnahmt die Polizei an einer Schule im Allgäu bei Kindern zahlreiche Handys mit Horrorvideos. Kein Einzelfall.

Christoph Hickmann

Die Beamten der Polizeiinspektion Immenstadt waren einigermaßen entsetzt - blickten sie doch auf "extreme Gewaltdarstellungen, harte Pornografie und sodomitische Handlungen", wie sie später mitteilten.

Gefunden hatten sie das Material auf den Speicherchips von 15 Mobiltelefonen, die sie am vergangenen Donnerstag in den Klassen sieben bis zehn einer Hauptschule in Immenstadt, Allgäu, hatten einsammeln lassen.

208 Handys beschlagnahmten die Beamten, eingeschaltet hatte sie der Schulleiter auf den Tipp einer Mutter hin. Was dazu aus dem bayerischen Kultusministerium zu hören war, klang eher lapidar: Der Vorfall sei zwar erschreckend, teilte dessen Sprecher mit, doch handele es sich um einen "Einzelfall".

Mehr als ein Einzelfall

Bei der Polizei ist man vorsichtiger: "Diese Aussage würde ich so nicht treffen wollen", sagt ein Sprecher.

Seit einiger Zeit wird aus dem gesamten Bundesgebiet von ähnlichen Fällen berichtet. Wie verbreitet Gewaltvideos im Handyformat allerdings tatsächlich sind, lässt sich nur schwer abschätzen.

Der Erziehungswissenschaftler Jens Wiemken, dessen Büro die Computerspiele-Datenbank der Bundeszentrale für politische Bildung betreut, sagt: "Ein Einzelfall ist das sicherlich nicht, das kann ich nach jahrelanger Beschäftigung mit Jugendlichen dieses Alters sagen. "

Er gehe davon aus, dass derartige Darstellungen "mittlerweile auf so ziemlich jedem Schulhof" kursierten. Friedemann Schindler von der Jugendschutzeinrichtung der Bundesländer präzisiert: "Es ist vor allem für männliche Jugendliche zu einer Art Mutprobe geworden, solche Videos anzusehen. Und was man da sieht, ist bestialisch."

Schockierende Prügelfilme

Es gehe um Bilder von schweren Unfallverletzungen oder Prügelfilme ebenso wie um so genannte Snuff-Videos, die nach Expertenangaben zwar fast immer gefälscht, aber dennoch schockierend sind: Menschen werden darin scheinbar vor der Kamera getötet.

Schwerer als das fehlende Wissen um das tatsächliche Ausmaß wiegt für Schindler die eigene Machtlosigkeit: "Wir können kaum etwas tun." Die Filme lassen sich von bestimmten Internetseiten, so genannten tasteless sites, herunterladen und per Bluetooth-Schnittstelle von Handy zu Handy weitergeben.

Zwar seien entsprechende Seiten in Deutschland unzulässig, so Schindler, doch würden die meisten ohnehin im Ausland betrieben, die bekanntesten in den USA. Dort sind sie erlaubt.

Mehrere deutsche Internet-Anbieter haben für ihre Kunden den Zugriff auf einschlägig bekannte Seiten inzwischen gesperrt; außerdem haben sich die Betreiber fast aller deutschen Suchmaschinen bereit erklärt, per Filter das Auffinden solcher Seiten zu erschweren, die von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert sind.

Machtlose Behörden

"Aber das nützt so gut wie nichts", sagt Schindler. "Die Jugendlichen kennen die Adressen und geben sie untereinander weiter."

Bei der Bundesprüfstelle gibt man sich ebenfalls pessimistisch: "Im Prinzip haben wir keine Möglichkeit, gegen den Tausch von Gewaltvideos vorzugehen", sagt Sprecher Wilfried Schneider.

Man stehe einem "absoluten Dunkelfeld" gegenüber, schließlich lasse sich die Kommunikation über Mobiltelefone nicht überwachen. "Wir wissen nicht einmal, wer hier zuständig ist. Das hört sich natürlich nach rechtsfreiem Raum an", sagt er. "Und faktisch ist es das auch fast."

© SZ vom 15.3.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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