Homosexuelle Politiker:Kein Tabu - und mehr als ein Detail

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Warum uns die Homosexualität von Politikern zu Recht beschäftigt

Von Gustav Seibt

(SZ vom 21.8.2003) - Es gibt ein Staatsamt in Deutschland, in dem auch unter liberalsten gesellschaftlichen Bedingungen ein Homosexueller schwer vorstellbar wäre: das des Bundespräsidenten.

Denn auch in einem säkularisierten Verfassungsstaat kann die oberste Spitze ihren monarchischen Ursprung immer noch nicht verleugnen. Die Monarchie, das dynastische Nachfolgemodell aber setzt ein Paar voraus, das Kinder hat.

Wo ein König ist, braucht es eine Königin und - nach Möglichkeit - auch Prinzen und Prinzessinnen. Prinzen heiraten und verknüpfen ihre Familie mit anderen Herrscherhäusern. Ein Netz von Blutsverwandtschaften überzog einst den Verbund der Monarchien.

Dass nicht einfach ein Individuum an der Spitze des Staates steht, sondern ein Paar oder eine Familie, hat einen legitimen anthropologischen Sinn: Selbst in der hierarchischen Form der Monarchie wollen die regierten Menschen einen oben sehen, der ihnen gleicht, weiser, schöner, tapferer vielleicht, aber nicht grundsätzlich anders.

Die Rede vom Landesvater und von der Landesmutter - denn selbstverständlich gilt dies alles auch für Königinnen, die von den meisten Völkern ja seit alters akzeptiert wurden - fasst diesen Gleichklang von Regierenden und Regierten im Bild der Familie zusammen.

Es ist nicht einzusehen, warum das in einer Demokratie, die programmatisch von der Mehrheit geprägt wird, anders sein sollte. Im Gegenteil: Das geheime Ideal der Demokratie ist die Durchschnittlichkeit der Regierenden, und das schließt, nach Lage der Dinge, die Heterosexualität ein.

Paradoxerweise hat gerade die konservative Staatsform der Monarchie homosexuelle Herrscher eher ertragen. Zunächst deshalb, weil schwule Prinzen sich ja nicht einfach von der Erbfolge ausschließen lassen; dann aber, weil die Existenzform des Königs vor der bürgerlichen Gesellschaft repräsentativ angelegt war und die Kategorie des Authentischen nicht kannte.

Rolle und Person fielen so zusammen, dass Spielraum für allzu Individuelles, gar Seelisches, kaum vorhanden war. Liebesheiraten waren ohnehin nicht vorgesehen, und so gerieten die Ehen schwuler Monarchen eben im Zweifelsfall noch ein wenig unverbindlicher oder trauriger als es in monarchischen Ehebünden ohnehin meist der Fall war.

Friedrich der Große von Preußen oder Ludwig II. von Bayern führten Scheinehen. Lebte ein Monarch wie Heinrich III. von Frankreich seine homosexuellen Neigungen allzu skandalös aus, konnte er durch politischen Mord zugunsten des nächsten Thronanwärters beseitigt werden.

Diskretion ist verdächtig

Es ist dieser in die fernsten Überlieferungen reichende Hintergrund, der klarmacht, was für einen kulturgeschichtlichen Bruch offen schwule Spitzenpolitiker bedeuten.

Dass Klaus Wowereit sich vor der jüngsten Berliner Wahl öffentlich als Homosexueller bekannte, dass er die Wahl gleichwohl gewinnen konnte und sich seither mit normalen Beliebtheitswerten in seinem Amt behauptet, ist gerade in einem Land, das noch vor 35 Jahren die schärfste Homosexuellen-Gesetzgebung Europas hatte, das Zeichen eines enormen Mentalitätswandels.

Es mag ja auch an der Berliner Gesellschaft liegen, die ein wenig koordiniertes Agglomerat von Parallelwelten darstellt, in der die Kategorie des Außenseiterischen verdunstet; jedenfalls bedeutet die Existenz eines schwulen Landesvaters einen Schritt zu einer nichttraditionellen Öffentlichkeit, die zu ihrer Repräsentation nicht mehr auf scheinbar naturgegebene Vorbilder zurückgreifen muss.

Als Klaus Wowereit sich outete, reagierte nicht zuletzt ein Teil der liberalen Presse sehr dumm. Man interessiere sich nicht für Wowereits Privatleben oder gar seine sexuellen Vorlieben, hieß es da, mit dem Unterton: So genau wollten wir es gar nicht wissen. Tolerant sei man ohnehin, und der Rest sei Privatsache.

Nun teilt ein Mann, der seine Ehefrau öffentlich an seiner Seite auftreten lässt, erheblich mehr von seinen Neigungen mit als ein Mann, der lediglich mitteilt, er sei schwul. Und in einer Öffentlichkeit, in der mittlerweile Prominenz in jeder Gestalt auch ihre privaten Seiten ausstellt, wäre Diskretion in einem so zentralen Punkt nicht nur künstlich, sondern verdächtig.

Entscheidend aber ist, dass auch in einer nichttraditionellen Öffentlichkeit die Menschen ein legitimes Interesse daran haben, was das für einer ist, der sie regieren will. In Berlin hat sich gezeigt, dass dies geht. Wer Genaueres wissen will, kann die Boulevardpresse konsultieren - oder auch nicht.

Der schmutzige Hamburger Vorgang beweist, dass Ole von Beust falsch kalkulierte, wenn er meinte, er könnte Öffentliches und Privates so diskret auseinanderhalten, wie es vielleicht möglich war, als Homosexualität noch ein Tabu darstellte. Mit diesem Tabu fiel nämlich auch der Schutz der bürgerlichen Diskretion und - umgekehrt - auch der Anspruch, nicht mit der Privatsphäre der Politiker behelligt zu werden.

Was wir in Hamburg zerfallen sehen, sind bloß die verfaulten Reste des Tabus, die sich als konservative Diskretion tarnten. Hinter fehlender Offenheit stand bis zuletzt die alte Lüge und damit die Erpressbarkeit. Homosexuelle können inzwischen in staatliche Spitzenpositionen aufrücken. Dies aber setzt auch in einer säkularisierten Öffentlichkeit voraus, dass man sich auf eindeutige Weise erklärt.

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