Holocaust-Gedenkstätte:"Von Auge zu Auge, von Person zu Person"

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Wer den Neubau des Museums Yad Vashem betritt, findet sich wieder in der dunklen Zeit des Völkermordes. Ziel des Umbaus war es, einen ganz persönlichen Kontakt zu den Opfern zu ermöglichen.

Die Straßenlaternen in Israels jüngstem Holocaust-Museum haben Einschusslöcher aus dem Jahr 1943; sie kommen aus dem Warschauer Ghetto. Zyklon-B-Kanister sind auf dem Boden gestapelt. Die Brillen, Schuhe, Zahnbürsten und Tagebücher wirken, als seien sie gestern abgelegt worden.

Im Neubau der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem, der nach zehn Jahren Planungs- und Bauzeit eröffnet wurde, findet sich der Besucher in der dunklen Zeit des Völkermordes wieder.

Der Neubau sei von dem Wunsch getrieben, sagt der Yad-Vashem-Vorsitzende Avner Schalev, "einen ganz persönlichen Kontakt zu ermöglichen; von Auge zu Auge, von Person zu Person."

"Angriff auf grundlegende Werte menschlichen Zusammenlebens"

Von den einzelnen Geschichten über Massaker, über den Massenmord und Genozid am jüdischen Volk könne man zu seiner universellen Bedeutung vordringen. "Es war ein Angriff auf die grundlegenden Werte menschlichen Zusammenlebens."

Mit dem umgerechnet 41 Millionen Euro teuren Projekt reagierte die israelische Regierung auf das steigende Interesse am Holocaust 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg.

Zahlreiche Gedenkstätten sind in den zurückliegenden Jahren weltweit entstanden, viele mit aufwendigeren Ausstellungen als das 1973 eröffnete Yad Vashem.

Viele Israelis waren der Ansicht, ihr eigenes nationales Erinnerungszentrum bedürfe dringend einer Überarbeitung. Zudem wurde kritisiert, dass dem Widerstand gegen die Nationalsozialisten aus politischen Motiven ein zu großes Gewicht gegenüber den Opfern eingeräumt worden sei.

Bilder, in denen sich Juden selbst porträtierten

Die meisten Fotos aus der Zeit des Dritten Reiches stammen von Deutschen, die Juden als minderwertig und verabscheuenswürdig darstellen wollten. Die Kuratoren des "neuen" Yad Vashem haben deswegen versucht, Bilder, Erzählungen und Fotos zu finden und auszustellen, in denen Juden sich selbst porträtierten.

Ein an die Eingangswand projiziertes Video zeigt den jüdischen Alltag in Europa in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Die Besucher können durch das Wohnzimmer einer Familie gehen, die 1930 in Deutschland lebte. Es ist mit den echten Möbeln ausgestattet.

Die Leszno-Straße aus dem Warschauer Ghetto ist originalgetreu nachgebaut, mit Kopfsteinpflaster, Straßenbahngleisen und den schon erwähnten Laternen.

Die Ausstellungsstücke hat die polnische Regierung zur Verfügung gestellt. Zu sehen ist auch eine Holzbaracke aus einem Konzentrationslager sowie ein Viehwagen, mit dem Juden in Vernichtungslager gebracht wurden. Daneben steht ein kleines Fischerboot, in dem dänischen Juden die Flucht nach Schweden gelang.

Der israelisch-amerikanische Architekt Moshe Safdie hat den Neubau entworfen: Ein 200 Meter langer, prismaförmiger Betonriegel, der wie ein Nagel durch den Jerusalemer Berg der Erinnerung geschlagen ist. Durch das spitz zulaufende Dach dringt Tageslicht.

In unterirdischen Galerien wird der Besucher mit Hitlers Plänen für eine "Endlösung" vertraut gemacht - von den Nürnberger Rassegesetzen über erste Razzien bis zu Massenerschießungen und schließlich den Vernichtungslagern.

In rund 100 Videos werden kurze Dokumentationen, Schilderungen von Zeugen sowie historische Aufnahmen gezeigt. Eine Überlebende erinnert sich in einem Film an die schreckliche Angst, die sie als kleines Mädchen kurz vor dem Abtransport hatte. "Ich hab mich an das Bein meiner Mutter geklammert, als wir uns dem Zug näherten."

Die Perspektive der Täter

Das Museum gewährt aber auch Einblicke in die Perspektive der Täter: In vielen scheinbar verstreuten schwarzen Boxen liegen Lebensläufe und Erinnerungen von Menschen, die am Massenmord beteiligt waren.

In einer Galerie wird die Exekution einer Gruppe Juden durch eine so genannte Einsatzgruppe aus dem Jahr 1941 dokumentiert.

Fotos der Beteiligten zeigen, wie die Opfer von Lastwagen in einen Wald getrieben werden. Dort bekommen sie Spaten in die Hand gedrückt und müssen eine Grube ausheben. Offenbar ist ihnen nicht klar, dass sie sich ihr eigenes Grab schaufeln.

Minuten später werden die Menschen erschossen. Ein Arzt untersucht die Körper und sorgt dafür, dass auf diejenigen, die noch leben, abermals geschossen wird. "Die Exekution wurde mit Gewehrfeuer aus einer Entfernung von zwölf Metern durchgeführt", heißt es in dem Bericht der Einsatzgruppe. Nach den Schüssen sei die Einheit "mit einem Gefühl der Befriedigung" zurückgekehrt.

© Steven Gutkin - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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