Hintergrund:Vor dem Abzug noch einmal kräftig aufräumen

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Mit der Tötung von Hamas-Gründer Scheich Ahmed Jassin will Israels Premierminister Ariel Scharon der Hamas und seinen Kritikern zeigen, dass die Aufgabe des Gaza-Streifens keine Schwäche ist.

Von Peter Münch

Einverstanden sind gewiss nicht alle, aber überrascht ist niemand: Die Tötung von Hamas-Gründer Scheich Achmed Jassin stand in Israel ganz oben auf dem Aktionsplan, den die Regierung vergangene Woche nach dem Doppel-Selbstmordanschlag von Aschdod beschlossen hatte. Seitdem ist auch die Armee im Gaza-Streifen auf dem Vormarsch.

Premierminister Ariel Scharon hat angekündigt, das Militär und die Siedler aus dem besetzten Gebiet am Mittelmeer abzuziehen. Doch damit niemand auf die Idee kommt, Israel weiche der Gewalt, soll vorher noch einmal kräftig aufgeräumt werden im Gaza-Streifen. Die Raketen auf Scheich Jassin sind ein sorgfältig geplanter Höhepunkt dieser Strategie.

Systematischer Krieg

Verteidigungsminister Schaul Mofaz nennt es einen "systematischen Krieg", den Israels Armee vor dem Abzug nun gegen die Terror-Organisationen begonnen habe. Beigelegt werden soll mit diesem Krieg aber nicht zuletzt ein heftiger Streit in der Regierung über den Rückzugsplan.

Denn Scharon hat mit seinem Vorstoß, der seinerzeit überrascht hat, nicht nur die Siedler, seine treueste Klientel, gegen sich aufgebracht. Auch ein Großteil des Kabinetts sowie Armeechef Mosche Jaalon warnen davor, dass der Abzug als Schwäche ausgelegt würde. Zu gut ist vielen noch das Triumphgeheul der Hisbollah in Erinnerung, als sich Israel im Jahr 2000 aus dem Südlibanon zurückgezogen hatte. Ähnlich hatten bereits Hamas-Sprecher auf Scharons Ankündigung reagiert. Vielleicht zu vorlaut, denn Israel wird den Gaza-Streifen nicht verlassen können, wenn die Gefahr besteht, dass anschließend die Hamas dort die Macht übernimmt.

Scharon aber scheint entschlossen zu sein, das strategisch verlustbringende Gebiet zu räumen - nicht zuletzt wohl auch, um damit der amerikanischen Kritik an seinen Landnahme-Plänen im Westjordanland zu begegnen. Um aber den Abzug innenpolitisch durchzusetzen und zugleich die Terrorgruppen nicht zu weiteren Aktionen zu ermutigen, glaubt er, vorher absolute Härte zeigen zu müssen. Der Angriff auf Jassin dürfte somit noch nicht das Ende der Gaza-Offensive markieren.

Scharons "Krieg gegen den Terror" geht weiter

Scharon selbst kündigte denn auch gleich am Montag die Fortsetzung seines "Kriegs gegen den Terror" an. Angesichts dieser israelischen Entschlossenheit und der zu erwartenden palästinensischen Gegenwehr könnten die kommenden Wochen von äußerst blutigen Auseinandersetzungen geprägt werden. Erreicht hat der Premierminister mit der Tötung Jassins, dass die Kritiker in seiner Likud-Partei wieder hinter ihm stehen.

Verteidigungsminister Mofaz und der Ultrarechte Uzi Landau nannten Jassin den "palästinensischen Osama bin Laden", der nun den Preis für hundertfachen Mord an Israelis bezahlt habe. Scharons Berater Amos Gilad legte gleich eine neue Fährte aus, als er verkündete, dass Palästinenser-Präsident Jassir Arafat noch gefährlicher sei als Jassin.

Auch die "Entfernung" des in Ramallah eingeschlossenen Arafat - durch Vertreibung ins Exil oder sonstwie - ist schließlich von der israelischen Regierung im September 2003 grundsätzlich beschlossen worden. Doch nicht nur die Falken in der Regierung melden sich zu Wort, sondern auch die Mahner. Innenminister Avraham Poraz und Justizminister Josef Lapid von der säkularen Schinui-Partei bekannten, sie hätten im Kabinett gegen die Jassin-Aktion gestimmt. "Der Schaden wiegt schwerer als der Nutzen", sagte Poraz.

Jossi Beilin, Initiator der Genfer Friedensvereinbarung und Chef der linken Yachad-Partei, spricht von einem "furchtbaren Fehler", für den Israel einen hohen Preis zahlen werde.

© SZ vom 23.03.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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