Hintergrund:"Da schreibt man das Testament noch mal neu"

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Bei den Bundeswehr-Soldaten, die als erste nach Kabul fliegen, herrscht starke Anspannung.

Arne Boecker

(SZ vom 9.1.2002) - Kurz vor neun Uhr am Dienstag hebt eine Transall vom Militärflughafen Köln-Wahn ab. An Bord: 50 Fallschirmjäger sowie 20 Sanitäter und Fernmelder der Luftlandebrigade 31 aus dem niedersächsischen Oldenburg. Ihr folgt wenig später eine zweite Maschine mit Ausrüstung. Die Soldaten bilden die Speerspitze des deutschen Kontingents, das der International Security Assistance Force (ISAF) für Afghanistan unterstellt wird. Bis Ende Januar soll der deutsche Teil der UN-Schutztruppe auf etwa 800 Soldaten anwachsen. Die "Oldenburger"sind speziell für derartige Einsätze ausgebildet; die Brigade gilt als einer der flexibelsten Truppenteile der Bundeswehr.

Um 6.30 Uhr haben sich die Oldenburger Fallschirmjäger an den Sonderschaltern 2 und 3 in Köln-Wahn versammelt, um für die Flüge German Air Force 006 und 527 einzuchecken; viele telefonieren noch einmal nach Hause und knipsen Erinnerungsfotos. Zur Verabschiedung der Einheit ist Generalleutnant Friedrich Riechmann nach Köln-Wahn gekommen. Er führt in Potsdam das Bundeswehrkommando für Afghanistan. Riechmann nennt die Soldaten der Luftlandebrigade 31 "besonders einsatzerfahren", die meisten kenne er von Einsätzen auf dem Balkan. Er wünscht ihnen "Soldatenglück und Gottes Segen".

Erstes Ziel ist Eindhoven, wo 30 niederländische Fallschirmjäger, dänische Minenräumer und österreichische Verbindungsoffiziere zu der Truppe stoßen. In einer holländischen DC-10 geht es weiter nach Trabzon an der türkischen Schwarzmeer-Küste, wo es dann wieder heißt, umzusteigen in C-130 Herkules-Transporter. Sie sind mit elektronischem Selbstschutz ausgerüstet und bringen die Soldaten ins afghanische Bagram, etwa 40 Kilometer nördlich von Kabul.

Die Ausrüstung der deutschen Einheit, darunter gegen Minen geschützte Fahrzeuge vom Typ Dingo, reist getrennt. Die Bundeswehr hat von einem ukrainischen Unternehmen zwei riesige vierstrahlige Transporter des russischen Typs Antonow 124 gechartert. Sie sind mit 4500 Kilometern Reichweite und 150 Tonnen Nutzlast die zweitgrößten Transportflugzeuge der Welt. Die AN-124 sollten noch am Dienstag von Köln/Bonn zum Direktflug nach Kabul abheben.

Angeführt wird das deutsche ISAF-Kontingent von Brigadegeneral Carl Hubertus von Butler. Vor dem Abflug gibt sich Butler "sehr, sehr zuversichtlich für unsere Friedensmission". Allerdings verweist er auch auf das "robuste Mandat", mit dem die Truppe ausgestattet worden sei: "Wir werden uns in Afghanistan durchzusetzen wissen - notfalls auch mit der Waffe."

Nahezu jeder der beteiligten Offiziere hat schon in Kroatien, Bosnien oder Mazedonien gedient. Dennoch gilt das Mandat für Kabul als Feuertaufe. Während die Fallschirmjäger auf dem Balkan innerhalb vergleichsweise geordneter Strukturen operieren konnten, fliegen sie jetzt in ein Land, das seit Jahrzehnten durch Konflikte zerwühlt wird. Viele Landstriche sind vermint, Kämpfe mit Taliban oder Al-Qaida-Kräften nicht auszuschließen. In einer Selbstdarstellung der Luftlandebrigade 31 heißt es, die Fallschirmjäger seien darauf vorbereitet, "gegen irreguläre Kräfte" vorzugehen. Der Begriff umschreibt Terroristen und Stammeskämpfer.

Die ISAF soll im Großraum Kabul vor allem die Regierung und nichtstaatliche Hilfsorganisationen schützen sowie das Terrain für nachrückende Kräfte sondieren. In der vierwöchigen Ausbildung, die dem Flug nach Bagram vorausging, hat die Luftlandebrigade 31 vor allem trainiert, wie man im Stadtgebiet Konvois sichert - unter besonderer Berücksichtigung der ständigen Minengefahr.

Stabsunteroffizier Michael Barth räumt ein, "mit gemischten Gefühlen" ins 5000 Kilometer entfernte Afghanistan zu ziehen. Angst verspüre er allerdings nicht: "Das ist schließlich unser Beruf, den wir da unten ausüben." Vor drei Wochen habe er erfahren, dass er nach Kabul geschickt würde, sagt Barth, und trotzdem ein "Weihnachtsfest wie immer" verbracht.

Oberleutnant Dirk Schulze kann sich nicht vorstellen, "dass es in Kabul unsicherer zugehen wird als zu Beginn der Zeit in Bosnien". Hauptfeldwebel Hermann Falter aus Bayern bezeichnet die Minen als "hauptsächliche Gefahr". Angst spüre er nicht, aber Anspannung. "Ich war schon in Somalia und auf dem Balkan dabei", sagt der Familienvater. Auf den Einsatz jetzt in Afghanistan habe er sich "routinemäßig" vorbereitet: "Da schreibt man halt das Testament noch mal neu." Im Sommer wird seine Tochter eingeschult: "Dann wäre ich gern wieder hier."

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