Hessen-SPD:Wer viel wagt, der nicht gewinnt

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Andrea Ypsilanti hat die hessische SPD in ein tiefes Tal gestürzt. Doch ein linkes inhaltliches Erbe wird auch unter Thorsten Schäfer-Gümbel bleiben.

Bernd Oswald, Wiesbaden

Am Wahlabend geht alles ganz schnell. Schon um 18:18 Uhr, eine gute Viertelstunde nach der ersten Prognose, tritt Andrea Ypsilanti im Zimmer 510 W des Hessischen Landtages vor die Genossen. Mit versteinertem Gesicht steigt sie auf das Podium, belagert von einer Fotografen- und Fernsehmeute. Ein Blitzlichtgewitter bricht los.

Die Wähler haben Andrea Ypsilanti für ihren Wortbruch abgestraft. Auch auf manchen Wahlplakaten war der Unmut sichtbar. (Foto: Foto: Oswald)

Dann setzt Ypsilanti an: "Das Ergebnis ist eine schwere Niederlage." Sie spricht von enttäuschten Wählern, von Aufarbeitung, ehe sie kundtut, was alle erwarten: "Ich resigniere nicht und übernehme die Verantwortung für das Ergebnis. Deswegen erkläre ich heute meinen Rücktritt als Fraktions- und Landesvorsitzende". Sie macht eine kurze Pause. Die Stille im Saal wird von einem einzelnen "Bravo" durchbrochen.

Um 18:21 Uhr ist die Ära Ypsilanti in der hessischen SPD nach sechs Jahren zu Ende gegangen. Sechs turbulente Jahre, die nicht nur der SPD in Erinnerung bleiben werden. Sie übernahm die Partei 2003 in einer ähnlich schwierigen Situation, wie sie jetzt Thorsten-Schäfer Gümbel übernimmt. Damals hatte Spitzenkandidat Gerhard Bökel 29 Prozent eingefahren - das bis dahin schlechteste Ergebnis der so stolzen Hessen-SPD.

Ypsilanti übernahm "einen organisatorisch katastrophalen Landesverband", wie ihr Generalsekretär Norbert Schmitt sagt, baute wieder Kontakte zu Gewerkschaften auf, verpasste ihm ein klares linkes Profil, das auch über die hessischen Landesgrenzen hinaus wahrgenommen wurde.

Auch im Kanzleramt in Berlin, denn Ypsilanti zählte zu den offensivsten Gegnern von Gerhard Schröders Agenda 2010. Der Kanzler zürnte, er werde sich doch nicht von "den Ypsilantis" seinen Kurs vorschreiben lassen, und verhalf der Hessin so zu bundesweiter Bekanntheit.

In Wiesbaden folgte ein parteiinterner Machtkampf gegen den Fraktionsvorsitzenden Jürgen Walter, den Ypsilanti letzten Endes auf dem Landesparteitag in Rotenburg im Dezember 2006 mit 175 zu 165 Stimmen denkbar knapp gewann.

In der Folgezeit brachte Ypsilanti den Landesverband aber immer stärker hinter sich, zur Landtagswahl 2008 trat eine geschlossene SPD an, die Taktik, auf Ypsilanti "als radikalen Gegenentwurf zu Roland Koch zu setzen" (Schmitt), ging aus SPD-Sicht auf. Thorsten Schäfer-Gümbel sprach gar von einem "grandiosen Wahlsieg". Andrea Ypsilanti habe damals die SPD als linke Volkspartei wieder starkgemacht. Doch dann fügt er hinzu: "Umso schwerer wiegt das letzte Jahr."

2008 war das annus horribilis der SPD, und die hessischen Genossen tragen den größten Teil der Schuld. Im März nach der Wahl bricht Ypsilanti ihr Versprechen, nicht mit der Linken zusammenzuarbeiten. Nachdem die Darmstädter SPD-Abgeordnete Dagmar Metzger ankündigt, aus Gewissensgründen Ypsilanti nicht zur Ministerpräsidentin zu wählen, gibt die Frontfrau ihr Vorhaben zunächst auf, holt sich aber auf einem Sonderparteitag kurze Zeit später die Unterstützung der Basis für eine mögliche Zusammenarbeit mit der Linkspartei.

Auch für den zweiten Anlauf zu einer rot-grünen Minderheitsregierung von Gnaden der Linken holt sich Ypsilanti auf einem außerordentlichen Landesparteitag im Oktober das Placet der Delegierten. Gegner werfen ihr vor, sie sei zweimal mit dem Kopf gegen die gleiche Wand gerannt. Allerdings nicht im Alleingang, sondern immer mit der Billigung der Basis. Auch die Bundes-SPD und speziell Parteichef Beck geraten über die linken Machtspiele der hessischen Genossen ins Schlingern.

Drei weitere Abweichler torpedieren schließlich kurzfristig Ypsilantis geplante Wahl zur Ministerpräsidentin. Das Chaos ist perfekt, zum Wortbruch kommt nun noch der Vorwurf, unfähig zu sein, eine Mehrheit organisieren zu können. Neuwahlen sind unvermeidlich, Ypsilanti verzichtet schnell auf eine erneute Spitzenkandidatur.

Neue Personen, gleiche Inhalte

Schon damals war offensichtlich, dass die SPD die Landtagswahl mit Pauken und Trompeten verlieren wird, personelle Konsequenzen inklusive. Andrea Ypsilanti weiß das. Schon im Dezember kündigt sie an, "Verantwortung" für das Wahlergebnis im Januar zu übernehmen, im Prinzip ein vorweggenommener Rücktritt.

Den vollzieht sie schließlich am Neuwahlabend, an dem sie auch ihr Direktmandat krachend verliert. Im Januar 2008 hatte sie den Wahlkreis Frankfurt VI noch mit 41 Prozent gewonnen. Am 18. Januar 2009 kann Andrea Ypsilanti gerade noch jeden fünften Wähler von sich überzeugen, CDU-Kandidatin Gudrun Osterburg liegt fast 20 Prozentpunkte vor der Frau, die den Namen ihres geschiedenen griechischen Mannes trägt.

Was bleibt, ist die Abschaffung der Studiengebühren, die das rot-grün-rote Konglomerat zuwege brachte und ein linkes inhaltliches Profil der hessischen Sozialdemokraten. Norbert Schmitt spricht von "viel politischer Substanz".

Und auch Thorsten Schäfer-Gümbel, der sich sonst erstaunlich schnell von Ypsilanti distanziert hat, will künftig auf die gleichen Themen setzen: mehr Mittel für die Bildungspolitik, den Ausbau erneuerbarer Energien, mehr soziale Gerechtigkeit auch durch Mindestlöhne: "Die Inhalte der SPD sind nach wie vor gut und nicht abgewählt worden", sagt er direkt im Anschluss an die Ypsilanti-Rücktrittsrede. Vielleicht ist das ein kleiner Trost für die Frau, die viel wagte und viel verlor.

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