Heldenepos der UA 93:Telefonate vom Todesflug

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Marc Hujer

(SZ, v. 14.09.01)

Washington, 13. September - Es ist nicht überliefert, ob die Helden des Fluges UA93 noch Frühstück bekommen haben. Aber sie haben noch Scherze gemacht: Man könne ja die Frühstücksmesser der United Airlines nehmen und damit die Terroristen im Cockpit überwältigen. Sie haben sich beraten in den hinteren Reihen der Boeing 757, und es sieht so aus, als wären sie noch überein gekommen, etwas gegen den nahenden Tod zu unternehmen. Immer wieder haben sie mit ihren Familien telefoniert, sie haben sich in die Bordtoilette gezwängt und ihre Handys angestellt, sich informiert, erzählt, sich ausgiebig verabschiedet von ihren Familien und dabei zahlreiche Momentaufnahmen von den Ereignissen an Bord hinterlassen, die sich nun zusammenfügen lassen zum Heldenepos von Flug UA 93.

Flug UA 93 war der letzte der vier Terrorflüge gegen Amerika. Die offiziellen Flugdaten ergeben, dass er um 8.43 Uhr vom New Yorker Flughafen Newark startete, kurz bevor das erste Flugzeug ins World Trade Center stürzte. Eine Dreiviertelstunde muss alles nach Plan gelaufen sein, die Boeing 757 hatte Kurs auf San Francisco genommen, als etwa gegen 9.30 Uhr, kurz vor Cleveland im US-Bundesstaat Ohio, die Piloten überfallen wurden. Die Passagiere wurden in die hinteren Reihen des Flugzeugs gedrängt, mit 38 Passagieren und sieben Crew-Mitgliedern war die Maschine nur spärlich besetzt. Wenig später, um 9.37 Uhr, verließ die Maschine plötzlich ihren Kurs und drehte in Richtung Washington ab. Später heißt es, sie hätte Kurs auf das Weiße Haus oder das Kapitol genommen, in dem der amerikanische Kongress untergebracht ist. Washington war weniger als eine Flugstunde entfernt.

Es sind die kleinen Zufälle, die jetzt ihre große Bedeutung bekommen, weil sie über Leben und Tod von Menschen entschieden haben. Mark Bingham, 31, Chef einer PR-Firma, hätte eigentlich schon am Montag wieder in San Francisco sein wollen, er fühlte sich aber so krank, dass er den Flug auf Dienstagmorgen umbuchte. Fast hätte er sogar noch Glück gehabt, weil er seinen Wecker überhört hatte. Flug UA 93 erreichte er gerade noch rechtzeitig und schaffte es sogar noch, sich einen Platz in der First Class zu angeln, den mit der Nummer 4D.

Die Muskulösen und Großen an Bord, so ist es überliefert, handelten in der Krise am schnellsten. Eine rettete sich zunächst auf die Bordtoilette und wählte die Notfallnummer 911, um die Entführung zu melden. Jeremy Glick, ein 31-jähriger Einmeterneunzig-Mann, rief zunächst seine Frau in New Jersey an und berichtete von "drei arabisch aussehenden Männern mit roten Stirnbändern", die das Flugzeug entführten. Die Männer bedrohten sie mit Messern. Die drei Entführer seien im Cockpit verschwunden. Glick telefonierte fast eine halbe Stunde mit seiner Frau, die es sogar schaffte, eine Konferenzschaltung mit der Polizei herzustellen. "Jeremy", sagt sie, "hat der Polizei Sekunde für Sekunde alle Details übermittelt. Er klang traurig und verängstigt, aber gleichzeitig auch ruhig."

Bald wussten die Passagiere an Bord, was sich wenige Minuten vorher in NewYork ereignete und ihnen wurde klar, dass auch ihnen einen ähnliches Schicksal drohte. Familienvater Thomas E. Burnett, 38, ein früherer Footballspieler, rief viermal zu Hause an. Zuerst berichtete er seiner Frau nur von der Entführung, dann von einem verletzten Passagier, später von dessen Tod und schließlich wollte er Details über die Katastrophe in New York wissen. "Ich konnte heraushören, wie alarmiert er war und wie er versuchte, die Teile des Puzzles zusammenzusetzen", sagt Frau Burnett in einem Fernsehinterview. "Er gab nicht auf, und ich konnte spüren, dass er alles tun wollte, um das Problem zu lösen."

Um 10.10 Uhr ist das entführte Flugzeug etwa 120 Kilometer von Pittsburgh entfernt im US-Bundesstaat Pennsylvania abgestürzt, nicht einmal eine halbe Flugstunde entfernt von Washington. Das Flugzeug soll davor noch zwei merkwürdige Manöver gemacht haben, danach ist es mit voller Wucht in den Boden gerammt. Die Fernsehsender zeigen die weinenden Witwen, die letzten Familienbilder von Mr. Und Mrs. Burnett und ihren drei Töchtern. Frau Burnett hat ihren Mann noch gebeten, sitzen zu bleiben und sich "möglichst unauffällig zu verhalten." "Nein, nein", soll er geantwortet haben, "wir müssen etwas tun."

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