Hartz I bis IV:Ich-AG, Minijob, Bundesagentur

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Der einstige VW-Manager Peter Hartz wollte die Zahl der Arbeitslosen halbieren, doch viele seiner Ideen funktionierten nicht.

Nina Bovensiepen

Der Kabarettist Dieter Hildebrandt hat über Hartz IV einmal gesagt, die Reform heiße so, weil ein Hartz allein gar nicht so viel Unsinn machen könne. Derzeit sorgt mal wieder der Hartz-IV-Satz für Konflikte.

Die Hartz-Gesetze haben die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland neu justiert. (Foto: Foto: dpa)

Sollen Empfänger von Arbeitslosengeld II wegen steigender Milchpreise bald mehr als 347 Euro erhalten? Und muss dann zugleich ein Mindestlohn eingeführt werden? Wie der Streit ausgeht, ist offen.

Als sicher darf indes gelten, dass es an der Reform auch künftig Kritik und Korrekturen geben wird - damit unterscheidet sich Hartz IV nicht von Hartz I, II und III.

Alle vier Reformen sind einst aus dem 343 Seiten starken Bericht zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hervorgegangen, den die Hartz-Kommission am 16. August 2002 im Französischen Dom in Berlin vorstellte.

Vor 500 Gästen kündigte der einst gefeierte, inzwischen gefallene VW-Manager Peter Hartz damals die Halbierung der Arbeitslosenzahlen und Einsparungen von 19,6 Milliarden Euro an.

Was ist daraus geworden? Welche Ideen steckten hinter den Gesetzen? Und was ist davon übrig? Ein Überblick.

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Hartz I:

Das "Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen" tritt 2003 in Kraft. Es soll die Arbeitslosigkeit vor allem über die Ausweitung der Zeitarbeit bekämpfen. Dazu werden Personal-Service-Agenturen (PSA) eingerichtet. Sie stellen Arbeitslose an und verleihen sie an Firmen. Die Regierung hofft auf den "Klebe-Effekt", sprich darauf, dass Erwerbslose von den Entleihern fest übernommen werden. Im Februar 2004 gibt es 993 PSA mit 32 700 Mitarbeitern.

Was in der Theorie gut klingt, funktioniert in der Praxis nicht. Eine 2006 erschienene Studie zu den ersten drei Hartz-Gesetzen stellt den Agenturen ein vernichtendes Zeugnis aus: Sie verschlechterten sogar die Chancen der Betroffenen auf einen Job. "Die PSA waren ein großer Flop", urteilt Raimund Becker, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit heute. 2005 wurde die Verpflichtung, in jedem Bezirk einer Arbeitsagentur eine PSA einzurichten, aufgehoben. Derzeit gibt es noch 407 Agenturen mit 5500 Mitarbeitern.

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Hartz II:

Das Gesetz, ebenfalls Anfang 2003 in Kraft getreten, bringt die Ich-AGs. Förderer preisen sie als Wunderwaffe, die aus Hunderttausenden Arbeitslosen Kleinunternehmer machen werde. Mithilfe eines über drei Jahre gestaffelten Zuschusses können Erwerbslose sich selbständig machen. Das Programm ist sehr beliebt: Auf dem Höhepunkt des Ich-AG-Booms im Februar 2005 registriert die Bundesagentur für Arbeit 235 500 Betreiber der Kleinfirmen.

Kritiker schimpfen aber bald über ein "Arbeitslosengeld de luxe", weil die Ich-AGs sehr viel kosten und häufig nicht durchschaubar ist, ob die Geschäftsideen seriös sind. SPD und Union beschließen 2006 die Abschaffung. Heute hat der Gründerzuschuss die Ich-AG und das Überbrückungsgeld ersetzt. Die Hilfe von monatlich 300 Euro wird maximal 15 Monate gezahlt. 93000 Menschen nehmen den Zuschuss derzeit in Anspruch.

Mit Hartz II steigt zudem die Verdienst-Grenze für Minijobs von 325 auf 400 Euro. Die Minijobs, auf die Arbeitgeber eine ermäßigte Sozialabgaben-Pauschale zahlen, boomen seither. Die Bundesagentur zählt gut sieben Millionen solcher Arbeitsverhältnisse. Die Minijobs sind äußerst beliebt und haben den Arbeitsmarkt flexibler gemacht, sie haben aber auch Probleme geschaffen. Viele Firmen spalten reguläre, sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse in mehrere Minijobs auf. Das verschärft die Finanznot der Sozialkassen, weil immer weniger Menschen Beiträge zahlen. Zudem bilden die Minijobs laut der Hartz-Studie keine Brücke in feste Arbeit.

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Hartz III:

Anfang 2004 wird aus der Bundesanstalt für Arbeit die Bundesagentur für Arbeit. Der neue Vorstandschef Frank-Jürgen Weise, der das Amt im Januar 2004 von dem wegen umstrittener PR-Verträge geschassten Florian Gerster übernimmt, soll den durch einen Vermittlungsskandal angeschlagenen Behördenkoloss in einen modernen Dienstleister verwandeln. Die Hartz-Studie attestiert Fortschritte. Verwaltung und Vermittlung seien effizienter und transparenter, die Arbeit der Behörde "nachvollziehbarer geworden, was eine sachliche Diskussion über die Qualität ihrer Leistungen ermöglicht", urteilen die Hartz-Forscher. Es zeigten sich aber immer noch "Übergangsprobleme und Widersprüchlichkeiten".

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Hartz IV:

Nach einem zähen Ringen im Vermittlungsausschuss tritt die Reform Anfang 2005 mit vielen Fehlern behaftet in Kraft. Ziel ist es, das jahrzehntelange Nebeneinander von Sozial- und Arbeitslosenhilfe zu beenden. Stattdessen gibt es fortan das Arbeitslosengeld II. Zudem wird das Arbeitslosengeld I nur noch kürzer gezahlt und es treten Verschärfungen für Erwerbslose in Kraft, etwa bei der Anrechnung von Partnereinkommen.

Kurz nach Reformstart steigt die Arbeitslosenzahl über fünf Millionen. Heute sind 3,715 Millionen Erwerbslose registriert. Politiker und Ökonomen streiten, inwiefern die sinkende Arbeitslosigkeit und der Aufschwung mit der Reform zu tun haben. Streiten lässt sich auch über den finanziellen Erfolg. Hartz IV hat bisher stets mehr gekostet, als in Haushaltsplänen veranschlagt - diese beruhten allerdings auf höchst optimistischen Annahmen. Im Vergleich zu früheren Jahren gab der Staat nach bisher vorliegenden Rechnungen nicht mehr Geld aus. Eine fundierte wissenschaftliche Bewertung zu Hartz IV gibt es noch nicht. Sie soll voraussichtlich 2008 erscheinen.

© SZ vom 16.08.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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