Hans Eichel:Der einsame Ritt auf dem Sparschwein

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Verärgert, verbittert, isoliert - der neue Schuldenrekord hat Eichels Position so geschwächt, dass sein Rücktritt nicht mehr ausgeschlossen ist.

(SZ vom 17.10.2003) - Berlin, 16. Oktober - Worüber redet der Mann bloß? "Will man das jetzt wirklich von ihm hören?", fragt einer der Zuhörer im voll besetzen Lichthof der Deutsche-Bank-Niederlassung in Berlin-Mitte. Hans Eichel redet über die DDR, über den Fall der Mauer, über die Wiedervereinigung. Ohne einmal die Hände zum Applaus zu heben, hören ihm die 300 Manager zu, die der Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels zu seinem Unternehmertag geladen hat.

Es scheint, als wolle Eichel die Schuldenlast von 42 Milliarden Euro, die er trägt, bei Helmut Kohl und Erich Honecker abladen.Er lamentiert über die Fehler der damaligen CDU/FDP-Regierung, über den falschen Umtauschkurs der D-Mark, über die Milliardensummen, die der Staat immer noch in den Osten pumpen muss. Das solle keine Entschuldigung sein, sagt der SPD-Politiker, er wolle die Sache "nicht weiter vertiefen". Und vertieft er sie doch.

Nach zahlreichen Windungen und Wendungen erreicht Eichel die Gegenwart und landet bei jenem Thema, das ihn derzeit bewegt wie kein anderes: dem demografischen Wandel. Die Folgen des Alterungsprozesses für die Gesellschaft und die öffentlichen Haushalte seien dramatisch, er verfolge "mit allergrößter Sorge", dass die meisten dies noch nicht begriffen hätten. Den Namen von Ulla Schmidt, der widerspenstigen Sozialministerin, nennt Eichel nicht. Doch sie ist gemeint, als er erklärt, "warum wir aus der Schuldenfalle, und ich sage das gerade jetzt, wo wir heute so hohe Schulden machen, wieder heraus müssen".

Der Job als Bundesfinanzminister ist nicht einfach, schon gar nicht in diesen Wochen, in denen ständig neue Milliardenlöcher auftauchen. Am vergangenen Wochenende musste Eichel deshalb im ZDF einräumen, dass er den Schuldenrekord von Theo Waigel aus dem Jahr 1996 toppen wird. Er verschanzte sich während des Interviews hinter einer Armada von Sparschweinen auf seinem Schreibtisch; die Lippen hatte er zusammengekniffen, die Hände zusammengepresst. Selbstbewusste Politiker sehen anders aus.

"Eine Frage des Prinzips"

Am kommenden Sonntag nun geht das Kabinett in Klausur und berät über die Zukunft der Altersvorsorge. Der Kanzler und die Seinen entscheiden auch über den Sparbeitrag von zwei Milliarden Euro, den Ulla Schmidt zugesagt hat, nun aber nicht erbringen will. Die Kürzung des Rentenzuschusses hat Eichel in sein Haushaltsbegleitgesetz eingebaut, welches auch das Vorziehen der Steuerreform regelt. An diesem Freitag wird zunächst der Bundestag darüber abstimmen; zwei Tage später will Ulla Schmidt diesen Beschluss rückgängig machen, und sie weiß weite Teile der SPD- und der Grünenfraktion dabei auf ihrer Seite; Eichel will auf gar keinen Fall nachgeben.

Der Streit darüber schwelt seit Wochen, nun droht er sich zur Kabinettskrise auszuwachsen. Es gehe am Sonntag darum, ob der Finanzminister überhaupt noch etwas durchsetzen kann, heißt es in seinem Haus: "Das ist eine Frage des Prinzips. Wenn die Koalition dem Eichel nochmal das Fell über die Ohren zieht, kann er einpacken". Noch eine Demütigung, noch eine Niederlage wäre zu viel.

Am Donnerstag voriger Woche war Eichel deshalb beim Kanzler - noch ehe Ulla Schmidt, SPD-Generalsekretär Olaf Scholz, Fraktionschef Franz Müntefering und Familienministerin Renate Schmidt hinzu kamen, um die Grundlinien für das kommende Wochenende zu besprechen. Über den Inhalt des Vier-Augen-Gesprächs ist nichts bekannt. Aber es gibt Spekulationen in Berlin, dass Gerhard Schröder und Eichel auch über einen Rücktritt gesprochen haben.

Verbittert über den Machtverlust

Diejenigen, die Eichel besser kennen, spüren jedenfalls, wie sehr er derzeit unter dem Sparunwillen in Fraktion und Kabinett leidet. Den ausgeglichenen Haushalt, den er anstrebt, wird er niemals erreichen, stattdessen geht er mit einem Schuldenrekord in die Geschichtsbücher ein. Die Beamten im Finanzministerium erleben, wie ihr Chef sich aufreibt in den endlosen Streitigkeiten um Penderpauschale, Gewerbesteuer oder die Hilfen für Alleinerziehende, und wie er, weil er seinen Machtverlust spürt, mehr und mehr verbittert wirkt.

Als die SPD-Fraktion diese Woche zum zweiten Mal binnen weniger Tage in einer Sondersitzung über eine milliardenschwere Steueränderung zugunsten der Versicherungswirtschaft stritt, wollte der Finanzminister längst in der ARD-Talkshow von Gabi Bauer sitzen. Doch die Genosse traktierten ihn über zwei Stunden mit kritischen Fragen. Man habe "auf die gruppendynamischen Prozesse in der SPD-Fraktion leider keinen Einfluss", stöhnt ein Eichel-Begleiter.

Jene in der Regierung, die es mit ihm gut meinen, warnen deshalb davor, die Leidensfähigkeit des ehemaligen Kabinettsstars noch stärker zu strapazieren. "Keine Regierung kann es sich leisten, ihren Finanzminister kaputtzuschießen", sagt ein Kabinettsmitglied, "das ist eine sehr sensible Angelegenheit." Ob dies auch Ulla Schmidt bewusst ist? Der befragte Minister zuckt ratlos mit den Schultern. Im Sozialministerium erklärt man nur lapidar, am Sonntag stünden Sachthemen auf der Tagesordnung, nicht Personalfragen; ob Eichel amtsmüde sei, sei erstmal nicht wichtig.

Tiefe Gräben zwischen Eichel und Schmidt

Es ist kein Geheimnis im Berliner Regierungsviertel, dass Eichel und Schmidt nicht miteinander können. Im Frühsommer, als die beiden sich beim Open-Air-Konzert der Rolling Stones in der Berliner Waldbühne begegneten, gingen sie einander aus dem Wege. Und am Montag dieser Woche, als die Koalitionsrunde im Kanzleramt tagte, schlug Eichel das Angebot von Schröder aus, sich auf den freien Platz zwischen ihm und Schmidt zu setzen; stattdessen verdrückte sich der Finanzminister ans Ende des langen, ovalen Konferenztisches und nahm lieber neben Wirtschaftsminister Wolfgang Clement Platz.

Dementsprechend tief sind die Gräben zwischen den beiden Ministerien: Mit Schmidts Vorgänger Walter Riester habe sich Eichel, trotz aller inhaltlichen Differenzen, immer auf einer persönlichen Ebene verständigen können, mit Schmidt sei dies nicht mehr möglich, heißt es im Finanzministerium.

Gerhard Schröder will den Streit nun noch möglichst vor dem Sonntag schlichten, denn er kann auf Eichel nicht verzichten. Die möglichen Nachfolger, die in Berlin gehandelt werden, Verteidigungsminister Peter Struck und Kanzleramtsminister Frank Walter Steinmeier, sind auf ihren Posten unabkömmlich, ansonsten drängt sich niemand um den Job. "Wir müssen amWochenende alles tun", sagt ein Minister, "damit Hans Eichel uns noch lange erhalten bleibt."

© Von Ulrich Schäfer - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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